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Schulabschluss ohne Abschlussprüfungen. Das streben die Berliner Schüler wegen der Coronakrise an.
© dpa/Armin Weigel

Schulabschluss trotz Coronakrise: Ein Land probt den Alleingang zum Notabitur

Plötzlich ist die Kieler Bildungsministerin vorangeprescht und plädiert für einen Verzicht auf Prüfungen für Abiturienten und Zehntklässler. Und Berlin?

Der Paukenschlag kam Dienstagnachmittag: Da gab die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), bekannt, für den Verzicht auf alle Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) und zum Abitur zu plädieren. Ihr entsprechendes Votum für ein „Anerkennungsabitur“ soll am Mittwoch dem Kieler Kabinett zur Entscheidung vorgelegt und am Donnerstag in der Kultusministerkonferenz (KMK) diskutiert werden.

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Somit wächst der Druck auf Berlin, Hamburg und Brandenburg, sich ebenfalls zu positionieren, denn die drei Länder gehören wie Schleswig-Holstein,zu den vier Bundesländern, die sich durch ihre frühen Ferientermine wegen der Schulschließungen in einer vergleichbar schwierigen Situation befinden: Die Schule endet hier bereits Ende Juni. Somit hätten es diese Länder besonders schwer, die MSA- und Abiturprüfungen durchzuziehen.

Bislang ist nur Rheinland-Pfalz auf der sicheren Seite, da es das einzige Bundesland mit einem „Frühlingsabitur“ ist – eine Folge des dortigen 12,5-jährigen Weges zur Reifeprüfung. Hessen hat zwar bereits – trotz der steigenden Ansteckungsgefahr – damit angefangen, Abiturprüfungen schreiben lassen, ist aber noch mittendrin.

Die Kieler Bildungsministerin Karin Prien wurde 2019 bekannt als Vertreterin des liberalen CDU-Flügels.
Die Kieler Bildungsministerin Karin Prien wurde 2019 bekannt als Vertreterin des liberalen CDU-Flügels.
© Monika Skolimowska/zb/dpa

Die komfortabelste Lage haben Bayern und Baden-Württemberg

Alle anderen Länder haben ihre Termine längst auf den Mai verschoben, wobei Bayern und Baden-Württemberg damit die geringsten Problem haben: Das Schuljahr dauert dort noch bis in den September hinein.

In den Ländern mit frühem Abitur wächst seit Tagen die Unruhe: Die Vereinigung der Oberstudiendirektoren in Berlin (VOB) mit ihrem Vorsitzenden Ralf Treptow hatte sich bereits am Sonnabend im Tagesspiegel auf die Forderung festgelegt, das Abitur nur auf Grundlage der Semesternoten zu vergeben. Das würde das Gleiche bedeuten, wie das „Anerkennungsabitur“, das nun Schleswig-Holstein präferiert. Am Sonnabend hatte Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Verschiebung der Abiturprüfungen von dieser Woche auf den Mai bekannt gegeben.

Scheeres will "Alternativen vorbereiten"

Auch Scheeres betonte am Dienstag, dass es unter den aktuellen Umständen zurzeit „eine Zumutung wäre, so wichtige Prüfungen abzuhalten – für den Abiturjahrgang aber auch für die Lehrkräfte und das weitere Schulpersonal“. Schüler könnten sich nicht auf ihr Abitur vorbereiten, „während die Angst vor Ansteckung, Sorgen um Angehörige und Freunde und massive Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens allgegenwärtig“ seien. Es ist daher „zwingend geboten, praktikable, lebensnahe und gerechte Alternativen vorzubereiten“.

Sandra Scheeres (SPD), Berlins Bildungssenatorin, gerät immer mehr unter Rechtfertigungsdruck.
Sandra Scheeres (SPD), Berlins Bildungssenatorin, gerät immer mehr unter Rechtfertigungsdruck.
© dpa/Gregor Fischer

„Gerecht“ bedeute dabei vor allem, dass der Abiturjahrgang durch die Coronavirus-Krise keine Nachteile haben dürfe. Daher sei es geboten, dass die Länder einen „alternativen Weg“ zum Abitur verabreden müssten. Denkbar sei etwa „die An- und Hochrechnung bisheriger Leistungen in den Abifächern, eventuell mit einer zusätzlichen Gewichtung von Noten aus Prüfungssituationen“. Eine gerechte Lösung benötigten auch diejenigen, „die durchzufallen drohen und ihr Abi nun nicht mehr durch gute Prüfungen retten könnten“. Scheeres betonte aber auch, dass Berlin sich „sicherheitshalber auch auf eine unverhofft positive Entwicklung der Lage vorbereitet, die uns reguläre Prüfungen an den ursprünglich geplanten Terminen erlauben würde“

Andere wollen an Prüfungen festhalten

Unumstritten ist der Vorstoß der Kieler Ministerin nicht: Erst am Montag hatte der Kieler Erziehungswissenschaftler Olaf Köller, der auch Hamburg und Berlin berät, von einem reinen „Anerkennungsabitur“ abgeraten. Ähnlich positionierte sich am Dienstag der Bayerische Philologenverband.

Hamburg bedauert Priens "Alleingang"

"Ich bedaure es, dass Schleswig-Holstein im Alleingang ohne die anderen Länder zu informieren, die Abiturprüfungen komplett ausfallen lässt", kommentierte am Dienstagabend Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD). Bisher seien sich die Kultusminister darin einig gewesen, die Abiturprüfungen nicht ausfallen zu lassen. "Durch die überraschende Absage des Abiturs in Schleswig-Holstein ist eine neue Lage entstanden. Alleingänge sind in dieser wichtigen Frage nicht vernünftig", distanzierte sich Rabe offen.

Deshalb werde Hamburg jetzt zusammen mit den anderen Ländern prüfen, "welche Auswirkungen die Entscheidung in Schleswig-Holstein auf das Abitur in allen anderen Ländern und in Hamburg haben wird: "Wir wollen hier zügig für Klarheit sorgen,“ betonte der Hamburger Politiker.

"Weder gerecht noch gerechtfertigt"

Der geplante Kieler Weg sei "gegenüber den früheren und allen kommenden Jahrgängen weder gerecht noch gerechtfertigt, sondern ungerecht", kritisierte der preisgekrönte Berliner Lehrer und Lehrerausbilder Robert Rauh. Zumindest zwei Prüfungen für ein Kurzabitur sollten möglich, fordert Rauh.

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