zum Hauptinhalt
Das Foto aus einer Videosequenz, mit dem die Berliner Polizei um Mithilfe bei der Identifizierung mehrerer Männer bittet, zeigt den brutalen Angriff auf eine junge Frau in einem U-Bahnhof im Berliner Stadtteil Neukölln.
© dpa

Attacke am Berliner U-Bahnhof Hermannstraße: Ein Kopfgeld auszusetzen, hat einen Preis

Bei der öffentlichen Fahndung nach dem Berliner U-Bahn-Treter wurden Gefühle und Druck erzeugt. Beides kann Nachteile haben. Ein Kommentar.

Mit der Fahndung nach Verbrechern ist es ein wenig wie mit dem Fußball. Die, die sich für die größten Könner halten, sitzen vor Bildschirmen oder auf Tribünen und schauen zu. Nur so ist die Kritik zu erklären, die Polizei habe zu lange gezögert, die unfassbaren Bilder eines mutmaßlich bulgarischen Gewaltkriminellen zu zeigen, der auf einer Neuköllner U-Bahn-Treppe eine junge Frau in den Rücken trat. Wie zum Beweis des Staatsversagens tauchen dann auch noch Halbprominente auf, die eine Fangprämie ausloben. Ihre Botschaft: Seht her, die Polizei schafft es nicht alleine, nicht ohne uns. Bürger, erhebt euch.

Die vorläufige Bilanz dieses, es muss in dieser Situation leider so genannt werden, Spektakels, fällt zwiespältig aus. Derzeit scheint es, als könne sich der Verdächtige in seine Heimat abgesetzt haben. Steigt der öffentliche Fahndungsdruck, erhöht sich neben den Chancen, dass ein Täter festgesetzt wird, auch das Risiko, dass er flieht. Das ist einer von mehreren Gründen, weshalb Ermittler auf eine Massenmedienfahndung erst dann zurückgreifen, wenn andere Maßnahmen ausgeschöpft sind. Was gibt es an dieser kriminalistischen Einsicht zu korrigieren? Nichts.

Kopfgelder haben zwei Seiten einer Medaille: Einerseits eine verständliche Reaktion ein Zeichen zu setzen, ein Ventil gegen die Hilflosigkeit. Andererseits ein falsches Signal an die Polizei: Wir trauen es euch nicht zu die Täter zu fassen. Das ist nicht OK

schreibt NutzerIn 1964

Von Leuten, die Geld genug haben, Preisgelder für sachdienliche Hinweise zu versprechen, kann erwartet werden, auch über solche unerwünschten Folgen nachzudenken. Hinzu kommen die nicht immer selbstlosen Motive, aus denen sich die Wohlmeinenden hervortun, sowie der Charakter ihrer Prämie als möglicher Lohn für Denunziantentum. Hat ein Verräter aus dem Umfeld des Gesuchten diesen nur verraten, weil es einen Sack Cash gibt? Dann kann das moralistische Heldentum der Auslober im Zwielicht erscheinen.

Privates Engagement in der Strafverfolgung hat aus guten Gründen enge Grenzen, ebenso ihre Öffentlichkeit. Natürlich wecken die Bilder Mitgefühl, das ungefühlt bliebe, wenn es sie nicht gäbe. Aber was fühlen wir noch, wenn wir eine Frau im Moment der wohl schlimmsten Hilflosigkeit ihres Lebens betrachten? Es könnte auch Scham sein, wie sie allein durch unsere Blicke erneut zum Opfer wird. Und natürlich Wut auf den Täter. Menschliche Regungen, mit denen allein noch kein Verbrecher gefasst worden ist. Es ist dringend zu hoffen, dass es trotzdem klappt.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Zur Startseite