Berliner Flughafen Tegel schließt endgültig: „Ein früheres Ende hätte sicher Geld gespart“
Am Dienstag erlischt die Betriebserlaubnis für den Flughafen Tegel. Bis heute verursacht er hohe Kosten, sagt FBB-Chef Engelbert Lütke Daldrup im Interview.
Herr Lütke Daldrup, am 8. November 2020 ist die letzte Maschine von Berlin-Tegel aus abgehoben. Der Flughafen war eine Ikone. Viele haben ihn geliebt. Was empfinden Sie mit einigen Monaten Abstand, wenn Sie heute die leere Anlage sehen?
Die Schließung von Tegel war auch für mich ein sehr emotionaler Moment. Ich bin selbst oft von dort in die Welt geflogen. Aber natürlich hat die Corona-Pandemie ein bisschen unseren Blick verändert. Der Flugverkehr ist sehr stark eingebrochen. Wir haben gesehen das Flugzeughallen zu Testzentren und später zu Impfzentren umgenutzt geworden sind. Da haben wir ein bisschen Abstand gewonnen. Es ist ein Übergang: Wir fliegen jetzt vom BER und machen in Tegel Platz für einen Zukunftsstandort Wir geben Tegel mit einem guten Gefühl ab, weil wir wissen, dass dort ein schönes, modernes Stück Stadt entsteht.
Am 4. Mai erlischt die Betriebserlaubnis für den Flughafen Tegel. Ein Standort weniger, um den Sie sich kümmern müssen. Sind Sie froh, dass Sie das Gelände dann los sind?
In den letzten sechs Monaten haben wir uns nur noch wenig um Tegel kümmern müssen. Wir hatten jetzt dort noch 20 Mitarbeiter, früher waren es 500. Wir haben uns voll auf den Betrieb am BER konzentriert. Das ist für uns ein Prozess, der schon lange vorgeplant war und jetzt zur Umsetzung kommt.
Die Betriebsgenehmigung galt noch für die ersten sechs Monate nach Inbetriebnahme des BER. Stand vor der Schließung jemals ernsthaft im Raum, davon Gebrauch machen zu können?
Aus unserer Sicht hätte Tegel am 8. November 2020 definitiv geschlossen werden können. Es war allen Beteiligten am Flughafen klar, dass wir nicht zurückkehren können. Das wäre so kompliziert und aufwendig gewesen, dass das eine eher theoretische Option gewesen ist. Die Väter des Planungsrechts haben sich das vor 15 Jahren anders vorgestellt, wir wussten aber dass wir den BER nach der langen Testphase ohne Schwierigkeiten betreiben können. Insofern war diese Regelung aus unserer Sicht nicht erforderlich. Aber keiner wollte das Planungsrecht nochmal anfassen, weil alle eine erneute Debatte um die Schließung vermeiden wollten.
Obwohl der Flugbetrieb Geschichte war, mussten Sie sich bislang weiter um das Gelände kümmern. Welche Aufgaben hat das genau umfasst?
Wir haben Gebäude zurückgebaut. Etwa das behelfsmäßige Terminal C3 und die Fußgängerbrücke zwischen Terminal A und C. Alle unsere Büroflächen sind freigezogen und wir haben vieles andere getan, was wir schon tun konnten, ohne die Betriebsfähigkeit in Frage zu stellen. Wir mussten etwa die IT- und Energieversorgung der Gebäude weiter sicherstellen und haben natürlich mit Sicherheitspersonal das Gelände bestreift. Jetzt ziehen wir am Dienstag ab, dann können auch der Wetterdienst, die Flugsicherung und die Bundespolizei ihre Räume zurückgeben.
Welche Kosten sind Ihnen dadurch noch entstanden?
Jeden Monat einige Hunderttausend Euro.
Hätten Sie angesichts der problematischen Finanzlage der Flughafengesellschaft das Geld lieber gespart und die Übergabe früher gemacht?
Das hätte sicher Geld gespart. Wir haben auch vor zwei, drei Jahren die Frage gestellt, ob man nicht diese sechs Monate einkürzen könnte. Das wollte aber die Senatsumweltverwaltung nicht. Man wollte diesen Sicherheitspuffer behalten. Da sind wir als Flughafengesellschaft gehalten, das umzusetzen. Wir haben allerdings den Aufwand in Tegel massiv heruntergefahren. Wir haben wirklich nur das aller nötigste getan, weil wir sehr streng aufs Geld gucken.
Bis zuletzt gab es viele Befürworter der Idee, Tegel offen zu halten. Dann kam Corona und hat den Flugverkehr zum Erliegen gebracht. Könnte es dennoch irgendwann am BER so eng werden, dass man sich wünschen würde, Tegel sei noch da?
Wir waren uns schon 2017 sicher, dass wir am BER bis zu 58 Millionen Passagiere abwickeln können, wenn man die Kapazität dort komplett ausbaut. 2019 hatten wir 35,6 Millionen Passagiere. Manche haben dann fantastische Zahlen genannt, wie das Wachstum weitergeht. Ich war nie jemand, der daran geglaubt hat. Das hat mich immer an die Debatte nach der Wende erinnert, als von Berlin als Fünf-Millionen-Stadt schwadroniert wurde.
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Jetzt haben wir 30 Jahre später gerade mal 3,8 Millionen Einwohner. Man muss bei Entwicklungen auch mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Wir sind nicht London, wir sind nicht Paris mit Agglomerationen von mehr als 15 Millionen Menschen.
Heute ist eher die Frage, wann Sie das Niveau von 2019 wieder erreichen werden.
Wir hoffen, dass es spätestens 2025 wieder der Fall sein wird. Wir wissen aber auch um den Klimawandel und die Fernverkehrsentwicklung der Deutschen Bahn. Dafür haben wir einen wunderbaren Bahnhof am Flughafen, der die innerdeutschen Verkehrsströme neu strukturieren kann. Zugleich haben wir Wachstumspotenzial für längere Verbindungen, insbesondere nach Nordamerika und Asien.
[Lesen Sie auch: "16 Gates, 16 Erinnerungen von Honecker bis Podolski" – Tagesspiegel-Autoren über ihre Beziehung zu Tegel.]
Wenn Sie mich fragen, wie es in zehn Jahren aussieht, dann werden wir am BER deutlich mehr Langstreckenflüge haben. Bei unserem Brot-und-Butter-Geschäft im Europaverkehr werden wir weiterhin sehr stark sein. Wir werden aber weniger Kurzstreckenflüge sehen, weil die auf die Schiene verlagert werden.
Im vergangenen Jahr sind nur 9,1 Millionen Passagiere in Berlin geflogen. Aber auch die Pandemie wird hoffentlich irgendwann enden. Warum geht es danach nur so zögerlich zurück auf das Vorkrisenniveau?
Alle Unternehmen in der Luftfahrtindustrie haben momentan dramatische Verluste. Das heißt, alle werden sehr streng auf ihre Kosten schauen. Das wird dazu führen, dass nicht jeder Flug, der angeboten werden könnte, auch angeboten wird. Man wird sich nur schrittweise wieder an das frühere Niveau heranarbeiten können.
Wie wird sich das auf Privat- und Geschäftsreisen verteilen?
Die Privatreisen kommen wieder, digitaler Urlaub funktioniert nicht. Die Menschen wollen sich treffen und Neues sehen. Der Geschäftsreiseverkehr hingegen wird auf absehbare Zeit nicht wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Alle Unternehmen haben gelernt, digitale Meetings abzuhalten. Wir werden vielleicht nur noch 70 Prozent dieser Reisen wiedersehen. Diese Krise hat eine Disruption eines bestimmten Verkehrssegments herbeigeführt.
Auch der Klimawandel gewinnt in der öffentlichen Debatte weiter an Bedeutung. Was heißt das für den Luftverkehr?
Mancher fragt sich privat, ob er sich anders verhalten kann. Da wird sicherlich der innerdeutsche Verkehr zum Teil ersetzt werden können, wenn die Bahn mehr ICEs auf die Strecke bringt. Das alles heißt für uns, dass wir nicht mehr 55 Millionen Passagiere für 2040 erwarten, sondern nur noch um die 45 bis 50 Millionen. Unsere Ausbauvorhaben werden dadurch langsamer vonstattengehen und erst in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre beginnen.
Was bedeutet diese neue Kalkulation für die Airport-City?
Die Airport-City wird sich vielleicht sogar dynamischer entwickeln können, als wir das unter normalen Bedingungen erwarten könnten. Berlin ist ein sehr attraktiver Immobilienmarkt, das wird bleiben. Vom Flughafen ist man ab 2025 in 20 Minuten am Hauptbahnhof. Wir sind ein Standort, der extrem gut angebunden ist ans Berliner Zentrum, die gesamte Region und darüber hinaus an die gesamte Welt. Das ist einmalig.
Zuletzt kam die Debatte wieder auf, ob die U7 zum BER verlängert werden soll. Wie stehen Sie dazu?
Ein Flughafenbetreiber wünscht sich eine optimale Verkehrsanbindung, da wäre die U7 eine große Hilfe. Die Eigentümer Berlin und Brandenburg müssen entscheiden, ob es finanzierbar ist. Wir sind heute schon mit der S- und Regionalbahn und den ICs gut angebunden. Aber natürlich wäre die die U7 nochmal eine gute zusätzliche Anbindung. Vor allem für die insgesamt 800.000 Berliner, die im Einzugsbereich wohnen.
Der in der vergangenen Woche gebilligte Jahresabschluss der FBB fällt verheerend aus. Glauben Sie, dass die FBB da finanziell überhaupt langfristig wieder herauswachsen kann?
Wir sind ein Standort, der eine sehr hohe Schuldenlast tragen muss, weil wir anders als andere Flughäfen in der Vergangenheit große Teile des Flughafenbaus privat finanziert haben. Dafür haben wir 4,5 Milliarden Euro an Krediten aufgenommen. Diese Last kann der Flughafen aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr alleine tragen. Die Teilentschuldung ist ein Instrument, mit dem man den Flughafen auf wirtschaftlich erfolgreiche Beine stellen kann.
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Wenn wir 2025 das Verkehrsniveau von vor der Krise wieder erreicht haben, was ja eher konservativ geschätzt ist, dann können wir wieder auf eigenen Beinen stehen. Ein Flughafen mit 30, 40 Millionen Passagieren verdient Geld und kann auch Darlehen bedienen.
[Engelbert Lütke Daldrup ist Chef der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg. Nicht nur in Tegel ist nun Schluss, der Flughafenchef hört auf – vorzeitig, im September dieses Jahres. Der heute 64-Jährige übernahm den Posten 2017, unter ihm eröffnete der BER im vergangenen Herbst. Zwangsläufig wurde damit Tegel geschlossen.]
In Berlin gibt es in der Koalition bei den Grünen Zweifel, ob man die Gelder bereitstellen soll. Was würde passieren, wenn sich einer der Eigner weigern würde, zu zahlen?
Ich setze da ganz nüchtern auf die Vernunft. Von den 4,5 Milliarden Darlehen, die wir aufgenommen haben, sind 3,5 Milliarden von der öffentlichen Hand verbürgt. Keiner wird Interesse daran haben können, die Flughafengesellschaft in Schwierigkeiten zu bringen. Denn das würde allemal teurer werden. Insoweit ist das Entschuldungskonzept mit 1,2 Milliarden Euro und die Liquiditätshilfen für die nächsten Jahre auch unter Corona-Bedingungen das deutlich sinnvollere ökonomische Konzept. Bei allem Frust, dass der BER acht Jahre später ans Netz gegangen ist: Jetzt ist er endlich da, jetzt kann er etwas leisten für die Wirtschaft in ganz Ostdeutschland.
Kommen wir nochmal zum Flughafen Tegel: Sie sind selbst Stadtplaner. Was zeichnet aus Ihrer Sicht die künftigen Pläne aus?
Besonders spannend ist der Ansatz, dass man in Tegel versucht, viele neue Technologien für die Stadt der Zukunft zu erproben. Sei es im Umgang mit Regenwasser, sei es in der energetischen Behandlung von Gebäuden oder das gesamte Holzbauquartier. Aber es ist auch die Möglichkeit mit dem 200 Hektar großen Landschaftspark ein Stück weit neue Parklandschaft zu schaffen.
Und last but not least ist die Idee, in der Urban Tech Republic Technologie und Hochschule in einem neuen Innovationshub zusammenzubringen, eine spannende Sache. Es gibt kaum eine Stadt in der Welt, die 450 Hektar mitten in der Stadt hat, wo sie so ein riesiges Stadtentwicklungsprojekt neugestalten kann.