Ehemaliger Regierender Bürgermeister Berlins: Eberhard Diepgen erklärt, wie man durchregiert
Senator gegen Regierenden, Fraktion gegen Senat: Es geht zur Sache unter Michael Müller. Einer seiner Vorgänger kennt ein paar Tricks.
Soll keiner sagen, früher war alles besser. Eberhard Diepgen würde das schon gar nicht behaupten. Dabei war er lange, 15 Jahre lang, in wechselnden Koalitionen, Chef des Berliner Senats. Mit der FDP hat er es getan, mit der SPD – und sogar als Fraktionschef in einer Minderheitsregierung, toleriert von den Freien Demokraten.
Das "Sprachrohr für alle Senatskollegen"
So lange Zeit an den Schaltern der Macht – undenkbar ohne feinsinniges Gespür für die Themen der Stadt sowie Talent in der Kunst des Regierens – auch wenn seine Gegner ihn Mitglied der „Betonfraktion“ schimpften.
Wenn auch wohlwollendere Stimmen den langjährigen Regierungschef schon mal „blass“ nannten, verkennen sie dabei, dass Diepgens staatsmännisches Auf- und Eintreten für die Landesregierung und dessen eher im ungefähren abstrakter Leitlinien gehaltene Reden just zur Logik seines Regierungsstils gehörten. „Der Regierende muss Sprachrohr für alle Senatskollegen sein, das macht seine Autorität aus“, sagt er.
Nicht im Traum hätte es sich Diepgen einfallen lassen, „im Abgeordnetenhaus Senatskollegen abzuwatschen“. Auf den Umgang von Michael Müller mit Mario Czaja (CDU) bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise spielt Diepgen dabei an und auf die Kontroverse um die Besetzung der Freien Volksbühne zwischen Müller und Kultursenator Klaus Lederer (Linke), dem die Warnung nachgesagt wird: „Ich mach’ hier nicht den Czaja!“
Undenkbar unter Diepgen. Sogar „die Koalitionsausschüsse habe ich gemieden“, um Kontroversen zu schlichten, sagt er – „das persönliche Gespräch“ suchte er stattdessen.
Zwischen Müller und Saleh "ist Loyalität nicht zu erkennen"
Das alles funktionierte nur, weil die andere Flanke befriedet war: An der Spitze der Fraktion stand Diepgens Vertrauter Klaus Landowsky. „Das hat so gut funktioniert, weil ich ertragen konnte, wie er seine Bedeutung betont hat.“ Wenn der Regierungschef den Fraktionschef von seiner Meinung überzeugte, verkaufte das Landowsky gerne als die eigene. Und als sich Diepgen für die Fusion mit Brandenburg aussprach und Landowsky öffentlich dagegen, war der Regierungschef nicht amused. „Aber im Ergebnis hat er für die Fusion gestimmt“, sagt Diepgen. „Im Endeffekt stand Landowsky loyal zum Senat“, und durch diese Kontroversen habe er „die Leute mitgezogen“.
Politische Strategie war das, die Diepgen in Berlins SPD, aber auch in Merkels CDU vermisst. „Zwischen Müller und dem Fraktionsvorsitzenden der SPD ist Loyalität nicht zu erkennen“, sagt Diepgen. Aber auch in der Bundesregierung habe Kauder selten die Position der Fraktion vertreten, er gebe stattdessen den „treuen Vasall“ der Bundeskanzlerin.
Wenn dann einer schon als Rebell gilt, weil er eine eigene Meinung äußert, dann bringe das nur einen stromlinienförmigen Abgeordneten-Typus hervor – und die Fraktion um ihre Vitalität.
Frühwarnsystem gegen politisches Feuer
Auffällig am Regierungsstil Müllers sei auch die Aufgabenverteilung in der Senatskanzlei. Es wurden zusätzliche Stellen geschaffen, damit alle drei Fraktionen auf Augenhöhe mitregieren. Nur, das beschneide wiederum die Ausübung der Richtlinienkompetenz. Diepgen hält das für falsch. Die politischen Linien müssten vorher abgestimmt werden, und wenn Themen wie die Volksbühne hochkochen, auf kurzem Wege zwischen Senator und Regierendem gelöst werden.
Deshalb hatte in Diepgens Senatskanzlei jeweils ein Fachreferent die Themen der Senatsverwaltungen einzuordnen, damit der Chef der Senatskanzlei frühzeitig melden konnte, was politisch relevant werden würde. Ein Frühwarnsystem, damit aus dem Funkenflug kein Feuer wird.
Und wenn doch mal ein Senator die öffentliche Fehde sucht wie damals Ulrich Roloff-Momin? Der reihte sich bei der feierlichen Einweihung der Neuen Wache, an der Diepgen als Regierungschef auch einen Kranz ablegte, in die Reihen der Demonstranten gegen diese – damals umstrittene – Ehrung von Kriegsopfern ein. „Dann bleiben nur zwei Möglichkeiten“, sagt Diepgen: Rausschmeißen oder ignorieren. Der damalige Regierungschef entschied sich für letzteres. „Eine Frage der Taktik“, sagt er. Nur so sei die Empörung begrenzt geblieben.