Hommage für Harald Juhnke: Durchzechte Nächte
Vor zehn Jahren starb Harald Juhnke. Sein Freund Gunter Gabriel gibt am Dienstag zusammen mit Weggefährten ein Hommage-Konzert im Wintergarten - Restkarten sind noch erhältlich. Der Sänger wünscht sich ein Denkmal für den „rebellischen Bonvivant“ am Ku’damm.
Gunter Gabriel schreitet in die Currywurstbude 195 am Kudamm und für einen Moment ist es fast wie früher. Der Entertainer betritt die Bühne; ein Kerl, der mit allen kann und alles darf: „Mann, siehst du gut aus“, sagt Gabriel zu einem wildfremden Mann mit zurückgegeltem Haar und streicht ihm übers Gesicht. Männer und Frauen jenseits der 50 wollen Fotos machen. Am Tresen macht sofort ein Mann seinen Platz frei: „Komm, ick lad’ dir ein.“ Und Gabriel spielt für sie den Unterhalter – er feixt und lacht, klopft Schultern, posiert mit einer Gitarre, spielt ein kleines Lied: „Ich bin ein Berliner / Und darauf bin ich stolz / Denn wir Berliner / Wir sind aus ganz besonderem Holz.“ Für einen Moment ist Gabriel der unbestrittene Herrscher über 30 Quadratmeter Würstchenbude.
Aber natürlich ist es doch nicht ganz wie damals, als hier ein anderer Entertainer Hof hielt: Harald Juhnke. Gunter Gabriel ist schon rein äußerlich kein Ersatz: Er trägt Adidas Trainingshose und eine rosa Baseballcap, die viel zu klein auf seinem großen, von Falten durchzogenen Gesicht thront. Einen Smoking würde er nicht tragen. Und Juhnke war natürlich nie nur Entertainer, sondern eben auch ein begnadeter Schauspieler, der Shakespeare und Molière ebenso gespielt hat, wie den Hauptmann von Köpenick.
Bier’s Kudamm 195 war Juhnkes Stammlokal
Aber der Ort stimmt: Bier’s Kudamm 195 war das Stammlokal von Harald Juhnke. Gabriel hat, als Juhnke noch lebte, hier öfter mit ihm zusammengesessen, Currywurst gegessen und wenn es dann spät wurde, kamen eben auch Dom Pérignon oder Asbach Uralt dazu. Jetzt bleibt es für Gabriel bei einem kurzen Plausch und einem Foto hinter der Theke. Das Trinken hat er längst aufgegeben. Aber den Tisch, an dem sie früher gesessen haben, gibt es noch. „Ich und Harald, wir haben immer am Künstlertisch direkt neben der Theke gesessen.“
Am Mittwoch ist Harald Juhnke zehn Jahre tot, manches in der Stadt erinnert noch an ihn. Am Abend vorher wird es im Wintergarten Varieté ein Hommage-Konzert geben – Gunter Gabriel wird auch auftreten, zusammen mit anderen Weggefährten wie Barbara Schöne, Helmut Baumann, Judy Winter und Ralf Wolter. Und er wird einen unveröffentlichten Song singen, den er für Juhnkes letztes, nie fertiggestelltes Album geschrieben hat.
Gabriel hat Juhnke vor 35 Jahren am Flughafen Tempelhof kennengelernt. Er selbst war damals ein noch unbekannter 28-jähriger Songschreiber. Harald Juhnke saß an der Bar, wartete auf seinen Flug nach Zürich und begrüßte Gabriel und dessen Begleiter um halb zehn Uhr morgens mit den Worten: „Jungs, ’nen doppelten Asbach?“– „Da sagt man natürlich nicht nein.“ Die nächste Runde ging auf den Kellner, die übernächste auf Gabriel und irgendwann waren die Flieger weg, es wurde Abend und der Flughafen machte dicht. „Wir waren die Letzten im Gebäude. Wir sind dann mit dem Taxi in die Stadt und haben die Nacht in einer Klavierbar gesungen.“
"Wir litten beide an Einsamkeit"
Sie haben sich danach immer wieder gesehen, häufig am Ku’damm. „Wenn wir uns gesehen haben, dann haben wir uns geküsst und umarmt.“ Und manchmal haben sie dann auch ein Lied zusammen gesungen, am Klavier in einer der vielen Bars um den Ku’damm. Kris Kristoffersons „Help me make it through the night“ konnte jeder Pianist spielen und es passte zur Stimmung der Nächte: ein Song über die Einsamkeit und den Wunsch, jemanden neben sich im Bett zu haben. „Wir litten beide an Einsamkeit. Wir wussten beide nicht, was wir machen sollten, wenn wir alleine auf unseren Hotelzimmern saßen.“ Das sei das Tragische gewesen an Juhnke: „Du wusstest: der ist schwerer Alkoholiker, aber wenn der sein Maul aufgerissen hat, dann hast du geweint.“
Dann zückt Gabriel etwas überraschend einen Gedichtband von Erich Kästner und liest mit seiner lauten Brummstimme aus „Die Entwicklung der Menschheit“ vor – ein Gedicht über Männer, die Atome spalten können und das Weltall erforschen; aber „bei Lichte betrachtet sind sie im Grund noch immer die alten Affen“. Gabriel hatte das Gefühl in Juhnke jemanden getroffen zu haben, der ihm ähnlich war, jemanden, der „tragisch-authentisch war“ und für den er Songs schreiben konnte.
Gabriel wünscht sich ein Denkmal für den Bonvivant
Dass sie absolut nicht den gleichen Musikgeschmack hatten, war da erst mal egal. Juhnke wollte Frank Sinatra sein und Gabriel der deutsche Johnny Cash. Aber „über Typen wie ihn, über zerbrochene Männer, kann man einfach gute Songs schreiben“. Gabriel hat dann Songs für ein ganzes Juhnke-Album geschrieben, kurz vor dessen Tod, darunter auch das Lied, dass er jetzt zu Juhnkes Ehren am Dienstag singen wird. „Der Hecht“ heißt es: „Die Zeit verging und ich wurde ein Mann, aber ich kriegte nie den Hecht an den Haken ran.“ Es ist ein unkapriziöses Lied über einen unerfüllten Lebenstraum.
Zum Schluss erzählt Gabriel noch, wie er sich ein Denkmal für Harald Juhnke vorstellen würde. Auf dem Ku’damm müsste es sein, eine Reliefplatte an einer Häuserwand, mit einer Liedzeile: „Barfuß oder Lackschuh / so geht es bei mir zu / Nie die goldene Mitte, immer volles Risiko.“ Darüber wäre dann Juhnke zu sehen, fröhlich lächelnd im Smoking, die Hosen zu kurz, die Füße barfuß. Ein charmanter, bodenständiger und etwas rebellischer Bonvivant – so möchte Gabriel Harald Juhnke in Erinnerung bringen. Am Dienstag mit dem Lied vom Hecht. In Grunewald gibt es schon eine Gedenktafel.
Juhnke-Hommage am 31. März um 20 Uhr im Wintergarten Varieté, Potsdamer Straße 96, Tiergarten, Restkarten unter www.wintergarten-berlin.de
Johannes Böhme