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Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (l.) und Sozialsenator Mario Czaja besuchen eine Flüchtlingsunterlunft in Lichtenberg. Czaja war wegen der Korruptionsaffäre um Berliner Flüchtlingsheime unter Druck geraten.
© DAVIDS/Sven Darmer

Korruptionsvorwürfe um Flüchtlingsheime in Berlin: Sozialsenator Mario Czaja degradiert Lageso-Chef Franz Allert

Mario Czaja (CDU) hat den Bericht externer Wirtschaftsprüfer vorgestellt - die urteilen sinngemäß: Es herrschte Chaos im überforderten Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Die Affäre um das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hat personelle Konsequenzen. Lageso-Präsident Franz Allert ist nicht mehr für die Flüchtlingsunterbringung zuständig. Er bleibt zwar an der Amtsspitze, die Suche nach Asylbewerberheimen aber übernehmen von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ausgewählte Fachleute. Er reagierte damit am Donnerstag auf den Bericht externer Wirtschaftsprüfer.

 Franz Allert, Chef des Landesamts für Gesundheit und Soziales Berlin, in der Gemeinschaftsküche des Flüchtlingsheims Hellersdorf.
Franz Allert, Chef des Landesamts für Gesundheit und Soziales Berlin, in der Gemeinschaftsküche des Flüchtlingsheims Hellersdorf.
© Doris Spiekermann-Klaas

Dokumentationsmängel - bei Privatfirmen und Sozialverbänden

Darin werden nicht nur schwere Mängel bei den Vereinbarungen zwischen Lageso und privaten Baufirmen festgestellt, sondern auch im Umgang mit gemeinnützigen Betreibern wie der Awo: Keiner der geprüften 22 Verträge sei korrekt, beanstandungsfreie Ausschreibungen fehlten, die Aktenführung sei so lückenhaft, dass das Handeln der Lageso-Beamten nur „eingeschränkt nachvollzogen“ werden könne. Das Lageso belege nicht, ob es sich an Grundsätze von „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ gehalten hat – kurz: Es fehlten Vergaberegeln. „Es existierten keine verbindlichen Dienstanweisungen“, sagte Czaja. „Das habe ich mir nicht vorstellen können.“ Lageso–Chef Allert stehe nun unter so hohem „Aufarbeitungs- und Rechtfertigungsdruck“, dass man sich darauf geeinigt habe, die Flüchtlingsunterbringung nur dienstrechtlich, also formal beim Lageso zu belassen. Nun wird eine De-Facto-Sonderabteilung aufgebaut, die fachlich direkt Staatssekretär Dirk Gerstle (CDU) untersteht. Dort sollen 50 Beamte aus dem Lageso und der Senatsfinanzverwaltung arbeiten. Die neue Einheit leiten werden Petra Hildebrandt, einst SPD-Abgeordnete und Prokuristin einer Wohnungsbaugesellschaft, und Stephan Herting, langjähriger Finanzexperte.

Stephan Herting war auch schon hoher Beamter in der Senatsfinanzverwaltung - und soll sich bald um Flüchtlingsheime kümmern.
Stephan Herting war auch schon hoher Beamter in der Senatsfinanzverwaltung - und soll sich bald um Flüchtlingsheime kümmern.
© promo

Prüfer: Chaos, aber kein Beleg für Bereicherung

Die Wirtschaftsprüfer gaben auch Empfehlungen ab: So müssten Standards für die Aktenführung und Vergabe-Richtlinien durchgesetzt werden. Außerdem sei „aktives Controlling“ und eine nicht nur anlassbezogene Innenrevision nötig. Auch wenn die Prüfer von durchweg „intransparenten“ Akten sprechen, gebe es keine Hinweise auf „persönliche Bereicherung oder Bevorteilung“. Kaum zu ermitteln wird sein, inwiefern dem Land, also dem Steuerzahler, Schaden entstanden ist. Dazu müssten „retrospektive Alternativmodelle simuliert“ werden, also Jahre zurückliegende Angebote und etwaige Preisschwankungen verglichen werden. Zudem wird empfohlen, die Immobilien- und Betreiberakquise zu trennen – was Czaja durch den Bau landeseigener Heime seit 2014 tut. Ob sich der Bericht auf das Disziplinarverfahren gegen Allert auswirkt, ist unklar. Die Prüfer hatten 16 Heime der umstrittenen Pewobe und Gierso untersucht – sie sollen dem Amt fragwürdig hohe Kosten berechnet haben, der Auslöser des Skandals. Dazu wurden sechs Vergleichsverträge – etwa mit der Awo – geprüft.

Petra Hildebrandt arbeitet bislang für eine Wohnungsbaugesellschaft - und bald für den Sozialsenator.
Petra Hildebrandt arbeitet bislang für eine Wohnungsbaugesellschaft - und bald für den Sozialsenator.
© promo

Opposition zu Czaja: "politische Verantwortung", "plötzlicher Aktionismus" und "Leugnen"

Für die Sozialexperten der Opposition im Abgeordnetenhaus ist die Lageso-Affäre nicht geklärt. Elke Breitenbach (Linke) sagte, sie wundere sich über den „plötzlichen Aktionismus des Senators“, schließlich habe man seit Jahren auf Pannen hingewiesen. Und: „Wenn Allert ein Amt leiten kann, muss er nicht degradiert werden. Wenn er kein Amt leiten kann, hätte er nicht bleiben dürfen.“ Canan Bayram (Grüne) sieht die „politische Verantwortung“ bei Czaja selbst, während seiner Amtszeit habe im Amt ein „laxer Umgang mit Steuergeldern“ geherrscht, er habe „Missbrauch durch dubiose Betreiber Vorschub geleistet“. Auch Fabio Reinhardt (Piraten) sieht die Verantwortung „ganz klar“ beim Senator, der erst aktiv geworden sei, „als Leugnen nicht mehr möglich war“.

Das Lageso: Chronik einer Berliner Affäre

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Moabit ist völlig überlastet - und sorgt immer wieder für Ärger.
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Moabit ist völlig überlastet - und sorgt immer wieder für Ärger.
© Felix Zahn/dpa

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) steht schon länger unter Druck.

SEPTEMBER 2012

Wegen der Kriege im Nahen Osten kommen immer mehr Asylbewerber. Das Lageso sucht dringend Gebäude.

NOVEMBER 2012

Lageso-Chef Franz Allert trifft seinen Patensohn wieder, der für die Gierso arbeitet, die in Moabit ein Heim betreibt.

FEBRUAR 2013

In den Bezirken gibt es Widerstand gegen Bemühungen von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), Flüchtlingsheime einrichten zu lassen.

APRIL 2013

Der SPD-CDU-Senat bleibt dabei: Das Land baut keine Unterkünfte, sondern bezahlt dafür Firmen und Sozialverbände.

NOVEMBER 2013

Anwohner des Gierso-Heimes in Moabit werden nach Betrugsvorwürfen gegen die Betreiber des Hauses verwiesen.

MÄRZ 2014

Anzeige gegen Lageso-Chef Allert: Gierso bekomme Geld vom Lageso, obwohl sie ihre Aufgaben nicht erfülle.

OKTOBER 2014

Auch die Pewobe soll für ein Heim in Neukölln zu viel Rechnung gestellt haben. Firmen weisen Vorwürfe zurück.

DEZEMBER 2014

Sozialsenator Mario Czaja lässt Vorgänge durch Externe prüfen. Erstes landeseigenes Wohncontainerdorf in Köpenick eröffnet.

MAI 2015

Pewobe-Chef weist Vorwürfe zurück und wird weiter vom Lageso beauftragt. 26.000 Flüchtlinge im Jahr 2015 erwartet.

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