Nach Rücktrittsankündigung von Ulrich Nußbaum: Dilek Kolat wird in SPD-Kreisen als neue Finanzsenatorin gehandelt
Am 11. Dezember tritt Ulrich Nußbaum von seinem Amt als Finanzsenator in Berlin zurück - aus "persönlichen Gründen". Das freut die potenziellen Nachfolger Klaus Wowereits, vor allem Parteichef Jan Stöß. In der SPD erwartet man eine große Senatsumbildung.
Der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) tritt zurück. Er habe den drei Kandidaten für die Nachfolge Klaus Wowereits - Stadtentwicklungssenator Michael Müller, SPD-Fraktionschef Raed Saleh und SPD-Landeschef Jan Stöß - in einem Brief mitgeteilt, er stehe nach dem 11. Dezember für das Amt nicht mehr zur Verfügung, sagte Nußbaum auf einer Pressekonferenz am Freitagmittag. Sein Rückzug habe ausschließlich persönliche Gründe, sagte der Senator, der in einem schwarzen Anzug erschienen war, wie man ihn auf Trauerveranstaltungen trägt. Am 11. Dezember will Wowereit im Abgeordnetenhaus offiziell vom Amt des Regierenden Bürgermeisters zurücktreten.
"Ulrich Nußbaum hat viel für die Stadt geleistet und wesentliche Impulse gegeben", erklärte Wowereit kurz nach Nußbaums Rückzugserklärung. Er habe "die persönliche Entscheidung des Finanzsenators mit Respekt zur Kenntnis genommen und bedanke mich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit". Nußbaum "stand und steht dafür, dass der Konsolidierungskurs in der Berliner Finanzpolitik erfolgreich fortgeführt wird". Er, Wowereit, hoffe, "dass er der Stadt auch in Zukunft verbunden bleibt".
CDU-Chef Henkel kritisiert die SPD ungewöhnlich offen
Der CDU-Landesvorsitzende und Innensenator Frank Henkel erklärte, er habe mit dem Finanzsenator "persönlich gut zusammengearbeitet" - sparte aber auch nicht mit kritischen Bemerkungen. "Natürlich hatten wir gelegentlich unterschiedliche Auffassungen, etwa beim Personal oder bei der Beamtenbesoldung", erklärte Henkel. "Aber das liegt auch an unseren unterschiedlichen Rollen und Aufgaben." Am Ende hätten er und Nußbaum oftmals Kompromisse gefunden, "die zu konkreten Verbesserungen geführt haben, etwa bei Polizei und Feuerwehr". Nußbaum habe zudem seinen Anteil daran, "dass Berlin in der bisherigen Regierungszeit der Großen Koalition keine neuen Schulden aufgenommen hat".
Henkel verband sein Statement mit einer ungewöhnlich offenen Kritik am Zustand seines Koalitionspartners. "Sorge" bereite es ihm, "dass sich mit diesem Rückzug die Personalprobleme der SPD noch einmal verschärft haben". Es sei nicht gut, dass der Koalitionspartner mit Wowereit und Nußbaum "seine beiden wesentlichen Leistungsträger" verliere. "Es bleibt Sache der SPD, diese Personalkrise aufzulösen." Die Sozialdemokraten hätten sich "für einen sehr langwierigen Weg entschieden, das Führungsvakuum zu füllen". Die CDU erwarte nun, dass die SPD anschließend stabil genug sei, um die Koalition fortzuführen. "Es wird Zeit, dass es wieder einen klaren Ansprechpartner gibt."
Kritische Worte fand auch der Generalsekretär der Berliner CDU, Kai Wegner: "Wir erwarten vom Nachfolger eine aktivere und flexiblere Liegenschaftspolitik, um den Herausforderungen einer wachsenden Stadt noch besser gerecht zu werden", erklärte er. "Für die Landesbetriebe wünschen wir uns eine verlässliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem neuen Finanzsenator, bei der die Betriebe ihre Eigenständigkeit erhalten und ihre Aufgaben im Rahmen der Daseinsvorsorge erfüllen können."
"Neue Aufgaben werden sich stellen"
Nußbaum selbst sagte in seinem fünfminütigen Statement vor der Presse, es handele sich bei seinem Schritt nicht um einen Rücktritt, er werde nur bei der Bildung eines neuen Senats nicht mehr antreten: "Die Entscheidung ist in mir seit längerem gereift, jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich will das parteiinterne Auswahlverfahren der SPD nicht beeinflussen. Es ist eine persönliche Entscheidung, unabhängig vom Ausgang des Auswahlverfahrens der SPD." Die sechs Jahre in Berlin haben sich aus Nußbaums Sicht gelohnt: "Wir haben etwas geleistet." Das Wichtigste für ihn sei die Sanierung des Landeshaushalts. Im dritten Jahr in Folge werde ein Überschuss erzielt, das eröffne nun Spielraum für Investitionen. "Wir haben eine neue Liegenschaftspolitik und einen transparenten Umgang mit Landesunternehmen", so Nußbaum weiter. Auch habe sich der Wert der Unternehmen erhöht durch seine Arbeit. Zudem seien durch die "City-Tax" sowie die höhere Grunderwerbsteuer die Einnahmen des Haushaltes erhöht worden.
Der Finanzsenator kündigte an, Berlin erhalten bleiben zu wollen - was die Vermutung nahelegt, dass er bereits einen neuen, lukrativen Job in der Stadt im Aussicht hat, wenngleich der frühere Fischunternehmer dies als Multimillionär zumindest finanziell nicht mehr nötig hat. Zur Frage, ob er BER-Aufsichtsrat werden wolle, sagte Nußbaum: "Neue Aufgaben werden sich stellen."
Persönliche Abneigung gegen Michael Müller, Probleme mit Stöß
Berliner SPD-Kreise führen den Rücktritt von Nußbaum unter anderem auf dessen tiefe persönliche Abneigung gegen Michael Müller zurück. "Nußbaum hat in kleiner Runde immer wieder gesagt, dass er mit Müller als Regierendem Bürgermeister keinen Tag zusammen arbeiten werde", sagte ein Mitglied des SPD-Landesvorstandes dem Tagesspiegel. Im Kandidatenrennen um die Wowereit-Nachfolge gilt Stadtentwicklungssenator Müller SPD-intern inzwischen als Favorit vor seinen beiden Mitbewerbern, Parteichef Stöß und dem Fraktionschef Saleh. Das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung zur Wowereit-Nachfolge soll am Samstag am späteren Nachmittag vorliegen.
Zwischen den Senatoren Nußbaum und Müller war es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Reibereien gekommen, in letzter Zeit hatten sie allerdings bei strittigen Themen wie Liegenschaftspolitik,Wohnungsbauförderung oder Nahverkehrsplanung eine konstruktive Arbeitsebene gefunden, wie es in SPD-Kreisen einschränkend heißt.
Auch die beiden anderen Kandidaten für Wowereits Nachfolge, Saleh und Stöß, haben sich immer wieder an Nußbaum gerieben. Vor allem Stöß und Nußbaum sind nie wirklich miteinander warm geworden, wie in SPD-Kreisen betont wird. Der SPD-Landesvorsitzende ließ daher am Freitag als einziger ausdrücklich erkennen, dass er Nußbaums Schritt begrüßt. Neben Dankesworten für die Leistungen des Finanzsenators erklärte er: "Mit seiner Entscheidung gibt Ulrich Nußbaum dem neuen Regierenden Bürgermeister und seiner Nachfolgerin bzw. seinem Nachfolger die Möglichkeit, bereits in den Verhandlungen zum Doppelhaushalt eigene Akzente zu setzen." So habe er, Stöß, in seinem 100-Tage-Programm dargelegt, "wo wir zukünftig mehr investieren sollten, damit Berlin weiterhin erfolgreich bleibt: in bezahlbare Mietwohnungen, in eine leistungsfähige Verwaltung und starke Bezirke" - Vorhaben, die in dem von Stöß angestrebten Umfang von Nußbaum sicher nicht mitgetragen worden wären.
Am ehesten hätte der scheidende Finanzsenator nach Einschätzung aus SPD-Kreisen mit Saleh als künftigem Regierenden Bürgermeister kooperiert: "Mit dem kam er klar, der hat ihn immer wieder aktiv unterstützt", heißt es aus SPD-Kreisen. Offiziell kommentierte Saleh die Entscheidung des Finanzsenators mit freundlichen Worten. "Er hat als Senator viel für die stabilen Finanzen Berlins geleistet", erklärte der SPD-Fraktionschef. "Seine Umsetzung der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe ist ein großer Erfolg." Berlin sei Nußbaum "zu Dank verpflichtet". Auch Müller sprach Nußbaum offiziell seinen Dank aus und drückte seinen "Respekt für die geleistete Arbeit für das Land Berlin" aus.
In der SPD gibt es für den Fall, dass Senator Müller zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt wird, bereits Spekulationen über eine Senatsumbildung. Als Nachfolger für Müller im Senatorenamt ist dessen Staatssekretär Christian Gaebler im Gespräch. Die bisherige Sozial- und Integrationssenatorin Dilek Kolat wird in SPD-Kreisen als Finanzsenatorin gehandelt. Zudem gibt es Überlegungen, im Falle von Müllers Sieg unterlegene Kandidaten einzubinden, indem zum Beispiel Parteichef Stöß das Sozialressort übernimmt.
Das Gerücht über einen bevorstehenden Rücktritt Nußbaums hatte es in den vergangenen Wochen immer wieder gegeben, angefeuert unter anderem durch Streitereien der Senatoren Nußbaum und Heilmann. Offiziell äußerte die Berliner CDU allerdings vor allem Lob über Nußbaums Arbeit. Er werde "den Berlinern als Finanzsenator in Erinnerung bleiben, der den erfolgreichen Konsolidierungskurs der Großen Koalition mit deutlicher Handschrift umgesetzt hat", erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Florian Graf. "Gemeinsam haben wir in dieser Legislaturperiode - früher als erwartet - einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt und begonnen die Schuldenlast abzubauen. Dafür gebührt ihm unser Dank. Diesen erfolgreichen Kurs einer nachhaltigen und wachstumsorientierten Finanzpolitik werden wir als Koalition konsequent fortsetzen." Und der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende und Berliner Bundestagsabgeordnete Frank Steffel erklärte: "Ulrich Nußbaum war ein erfolgreicher Finanzsenator. Er hat einen hervorragenden Job gemacht. Sein Rückzug ist ein Verlust für Berlin." Er bedauere seinen Abschied insbesondere, weil er einer der wenigen Unternehmer in der Berliner Politik ist.“
"Neuwahlen wären der einzig anständige Weg"
Deutlich kritischer die Stimmen der Opposition. "Nußbaum scheint im Senat keinen Rückhalt mehr gehabt zu haben", sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Ramona Pop. "Die Vertrauensgrundlage im Senat ist nicht mehr gegeben." Sie versteht den Rücktritt als Folge nicht nur der Auseinandersetzungen um das Gas- und Stromnetz, bei denen Nußbaum keine glückliche Figur gemacht hat. "Es ist ihm auch der Haushalt aus dem Ruder gelaufen, seine Ausgabenlinie ist Makulatur."
Aus Sicht des Linken-Fraktionschefs im Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, sind bereits mit dem angekündigten Rücktritt von Klaus Wowereit "alle Probleme der rot-schwarzen Koalition offen zutage getreten". Dass Finanzsenator Nußbaum jetzt das Handtuch schmeiße, sei daher folgerichtig. "Offensichtlich war ihm vollkommen unklar, wie diese Koalition weiter zusammen arbeiten soll." Nußbaums Konsolidierungshaltung sei zuletzt das einzige gewesen, was SPD und CDU noch diszipliniert habe. Der Umgang mit Konflikten wie beim Thema Personal, beim Gasnetz oder bei den öffentlichen Unternehmen lasse allerdings vermuten, dass es dem Finanzsenator "erheblich an Rückhalt fehlt". Mit Nußbaums Rücktritt werde "unübersehbar, dass diese Koalition inhaltlich und personell am Ende ist". Der SPD-interne Wahlkampf um Wowereits Nachfolge habe Berlin politisch lahmgelegt. "Diese Koalition wird sich politisch nicht mehr erholen." Wolfs Fazit: "Deshalb wären Neuwahlen der einzig anständige Weg."
"Große Fußabdrücke"
In der Berliner Wirtschaft wurde Nußbaums Schritt mit großem Bedauern aufgenommen. „Mit dem angekündigten Rückzug von Ulrich Nußbaum verliert Berlin nicht nur seinen nach Umfragen beliebtesten Politiker, sondern auch einen profilierten Finanzexperten", erklärte der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Eric Schweitzer. Nußbaum habe – auch dank seiner persönlichen unternehmerischen Erfahrungen – den erfolgreichen Konsolidierungskurs Berlins fortgesetzt. Die IHK verliere "einen wichtigen und verlässlichen Ansprechpartner im Berliner Senat, mit dem uns die Überzeugung verbindet, dass eine gesunde Stadt auf einer funktionierenden Wirtschaft fußt". Nußbaum hinterlasse "große Fußabdrücke – auf seinen Nachfolger warten herausfordernde Themen". So müsse der Konsolidierungskurs der vergangenen Jahre fortgesetzt werden. Auf Bundesebene brauche Berlin "eine starke und kompetente Stimme bei wichtigen und strittigen Fragen rund um Länderfinanzausgleich und Schuldenbremse". Durch den Rückzug von Ulrich Nußbaum stehe der neue Regierende Bürgermeister "noch vor Amtsantritt vor einer weiteren großen Herausforderung".
Ein ausführliches Tagesspiegel-Porträt von Nußbaum finden Sie unter diesem Link.