Berliner Finanzsenator im Porträt: Ulrich Nußbaum, ein Senator ohne Fluchtreflex
Der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum gilt als Erfolgsmensch und ist als rauflustig gefürchtet. Jetzt könnten für ihn schwere Zeiten anbrechen.
Zuweilen spielt er den Lümmel von der ersten Bank. Neulich im Berliner Abgeordnetenhaus beispielsweise lehnt sich Ulrich Nußbaum zurück, er feixt und tuschelt mit den Nachbarn auf der Senatsbank. Gerade erklärt der Staatssekretär dem Parlament weitschweifig, dass die Charité keine schwarzen Kassen habe. Fast jeder im Plenarsaal kennt den Druck, der auf dem Uni-Klinikum lastet und denkt sich seinen Teil. Aber keiner zeigt so offen, was er vom Missmanagement in der Charité hält wie Berlins Finanzsenator. Ulrich Nußbaum lacht.
Eine ganze Weile geht das so heiter weiter, bis es dem Regierenden Bürgermeister zu viel wird. Klaus Wowereit greift zum Tischtelefon, es sagt nicht viel, aber das scheint zu sitzen. Das Lachen des Finanzsenators erstirbt sofort, er schaut jetzt wieder sehr amtlich drein. Wowereit ist einer der wenigen, die Nußbaum ungestraft rüffeln dürfen. Der parteilose Großhändler aus Bremerhaven ist, seitdem er im Mai 2009 die Nachfolge von Thilo Sarrazin antrat, ein mächtiger Mann geworden. Einer, der in allem mitmischt, was nur entfernt mit öffentlichen Einnahmen und Ausgaben zu tun hat. Oder dem üppigen Landesvermögen, knapp 52 Milliarden Euro.
Streit hat er noch nie gescheut
Ulrich Nußbaum hat noch nie Streit gescheut, in letzter Zeit aber scheint er ihn fast zu suchen. Als vor zwei Wochen die Senatsmitglieder von SPD und CDU im Roten Rathaus zu einer Vorbesprechung einberufen wurden, konfrontierte Nußbaum seine verdutzten Kollegen mit der Nachricht, dass das landeseigene Unternehmen „Berlin Energie“ das Vergabeverfahren um das Berliner Gasnetz gewonnen habe. Sein neuester Coup allerdings löste erheblichen Ärger aus: Bei den Christdemokraten fühlten sich viele überrumpelt, der unterlegene Mitbewerber Gasag zieht vor Gericht, und das Bundeskartellamt prüft, ob die Vergabeentscheidung gegen das Wettbewerbsrecht verstößt. Da kommen schwere Zeiten auf Nußbaum zu.
Zufrieden ist zumindest die Berliner SPD, die nach den Wasserbetrieben auch das private Gas- und Stromnetz kommunalisieren will. Nußbaum trägt das mit, wenn auch nicht unbedingt aus ideologischer Überzeugung, sondern eher aus politischer Opportunität. Man könne durchaus nach der „Sinnhaftigkeit der Operation" fragen, sagte er beim Unternehmerfrühstück der Berliner Kaufleute und Industriellen. Aber es gebe eine breite Stimmung in vielen deutschen Kommunen, dass die Menschen sich wohler fühlten, wenn die Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand sei. Aber der Finanzsenator kann mit der Rekommunalisierung auch eigene Interessen durchsetzen: die Formierung eines großen Stadtkonzerns. Grüne und Christdemokraten sprechen bereits spöttisch vom „VEB Nußbaum“. Um schwarze Zahlen schreiben zu können, hält Nußbaum, selbst mittelständischer Unternehmer, die landeseigenen Beteiligungen schon jetzt kurz.
Wie der Millionär Nußbaum in die Politik kam
In den Bilanzen der Krankenhaus-Holding Vivantes, der Berliner Stadtreinigung oder den städtischen Wohnungsbaugesellschaften hat der robuste Kurs des Finanzsenators tiefe Spuren hinterlassen. Etliche Führungswechsel fallen in seine Amtszeit. Die Chefin der Stadtreinigung, Vera Gäde-Butzlaff, gab entnervt auf. Der ehemalige Vivantes-Chef Joachim Bovelet ging, sein Verhältnis zu Nußbaum galt als zerrüttet. Bovelets Freund, der Bankier Karl Kauermann, verließ den Aufsichtsrat der landeseigenen Krankenhäuser. Vorher schon gab Kauermann den Aufsichtsratvorsitz des Berliner Wohnungsunternehmens Degewo ab. Holger Lippmann, Chef des landeseigenen Liegenschaftsfonds, wurde 2013 abgelöst. Stellung bezieht Nußbaum zu solchen Personalien nicht. Aber kein Manager der öffentlichen Daseinsvorsorge hat es leicht mit ihm. Nußbaum nennt es „sich tief in die Augen schauen“, wenn Geschäftsführer gemaßregelt werden.
Auch die Charité hat Nußbaum im Visier
Auch die Charité, Europas größtes Universitätsklinikum, hat Nußbaum im Visier. Vorstandschef Karl Max Einhäupl hätte wohl längst gehen müssen, wenn nicht Wowereit den renommierten Neurologen schützen würde. Es ging um 330 Millionen Euro für dringend nötige Investitionen, um die Sanierung des Bettenhochhauses in Mitte und die Zukunft des Benjamin-Franklin-Klinikums. Als Mitglied des Aufsichtsrats scheute Nußbaum weder den Konflikt mit dem Vorstand noch mit den jeweiligen Wissenschaftssenatoren. In seiner beharrlichen Kritik am Management sieht er sich nun voll bestätigt, seitdem Wirtschaftsprüfer versteckte Konten der Charité fanden.
Auch wenn Wowereit sich hinter Einhäupl stellt, die harte Linie seines Finanzsenators trägt der ehemalige Haushaltspolitiker voll mit. Auch in anderen Fragen sind beide Politiker nicht weit auseinander, und Nußbaum nimmt für sich in Anspruch, mit dem Regierungschef auf Augenhöhe zu verhandeln. Doch er akzeptiert, dass Wowereit bei regierungsinternen Konflikten das letzte Wort hat. Und fährt gut damit. Aber am wohlsten fühlt sich der promovierte Einser-Jurist, der im harten Geschäft der Hochseefischerei ein Millionenvermögen machte, wenn er seine Kräfte messen kann, ohne dass ihm jemand Zügel anlegt. Ein versierter Verhandlungspartner, mal ruppig, mal charmant, der im politischen Wettbewerb Grenzen erst dann akzeptiert, wenn er sie bis zum Letzten ausgelotet hat. Ein Erfolgsmensch, ohne Fluchtreflexe, der auf Angriff umschaltet, wenn er Unheil wittert. Da kann es passieren, dass er einen aufmüpfigen Kollegen im Aufsichtsrat vorschlägt: „Wir können auch gern mal vor die Tür gehen!“
Auch mit 57 Jahren wirkt er noch jugendlich
Mit 57 Jahren wirkt Nußbaum noch relativ jugendlich, auch wenn sich die Zahl der Fältchen um die Augen deutlich vermehrt hat. Mit federndem Schritt tritt er auf, das farblich passende Einstecktuch im Jacket, wahlweise mit edler Krawatte oder modischem Schal. Den Gesprächspartnern schenkt er ein augenzwinkerndes Lächeln, gern legt er jovial die Hand auf fremde Schultern. Nußbaum redet pointiert, kontrolliert seine Gestik. Ein schlauer Kopf, der nicht nur fließend Englisch spricht, sondern auch die Verhandlungen in der Pariser Veolia-Zentrale über den Rückkauf der Wasserbetriebe auf französisch führte.
In Genf, London und Straßburg hat er studiert. Nach der Dissertation wollte Nußbaum eigentlich noch promovieren über das Parteiensystem in Luxemburg. Aber er stieg auf: vom persönlichen Referenten bei Flamingo-Fisch in Bremerhaven zum geschäftsführenden Gesellschafter der Sea Life Harvesting Gruppe, spezialisiert auf den internationalen Handel mit Tiefkühlfisch. Nebenbei hat sich Nußbaum eine intellektuelle Nische bewahrt. Er lehrt als Honorarprofessor an der privaten Jacobs University in Bremen Internationales Recht.
Als Sarrazin ging, fand sich zunächst niemand, der an dem schwierigen Job Interesse zeigte. Auf den ehemaligen Bremer Finanzsenator wurde Wowereit eher zufällig aufmerksam. Nachdem er Nußbaum am Rande des Schaffermahls, dem weltweit ältesten Festessen von Honoratioren im Bremer Rathaus, 2009 näher kennengelernt hatte, schien die Chemie zu stimmen. Er und „der Uli“ sind zwar keine dicken Freunde geworden, aber zwei Alphatiere in guter Zweckgemeinschaft. Nußbaum hilft dem Regierenden Bürgermeister, wenn es darum geht, trotz knapper Gelder und dem immer noch reformbedürftigen Landesvermögen wenigstens kleine politische Spielräume zu nutzen.
Warum Wowereit und Nußbaum so gut miteinander können
Das größte Verdienst Nußbaums dürfte es sein, die 2002 eingeleitete Sparpolitik fortgeführt zu haben. Nicht so spektakulär wie der Vorgänger, aber doch so, dass der Stabilitätsrat von Bund und Ländern mit der Haushaltskonsolidierung des Landes zufrieden ist. Berlin kommt seit 2012 ohne neue Schulden aus, und die meisten Landesunternehmen werfen Überschüsse ab. Die gute Konjunktur und niedrige Zinsen helfen dabei kräftig mit. Aber Nußbaum kann für sich in Anspruch nehmen, gute Arbeit geleistet zu haben. Zudem ist er Wowereits wichtigster Kontaktmann zur Privatwirtschaft. Als der Senator beim Verband der Kaufleute eine Rede hielt, begrüßte ihn der Präsident Markus Voigt überschwänglich: „Bei anderen Finanzsenatoren könnte das langweilig sein, aber nicht, wenn ein Unternehmer zu Unternehmern spricht.“ Auch Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, freut sich über den „Mann der Wirtschaft“.
Auch wenn Nußbaum im Politikbetrieb als rauflustig gefürchtet ist – in den Meinungsumfragen steht er als einer der beliebtesten Berliner Politiker weit oben. Helfen wird ihm das nicht. Wenn Wowereit geht, wird wohl auch Nußbaum gehen müssen. Schon vor der Wahl 2011 hätten ihn manche gerne ins weniger einflussreiche Wirtschaftsressort abgeschoben, aber Wowereit wollte die Finanzen nicht den Genossen Dilek Kolat oder Jan Stöß überlassen. Erst recht nicht der CDU.
Er ist zufrieden mit dem, was er ist. Sagt er
So gesehen klang es ehrlich, als Nußbaum vor ein paar Monaten sagte: „Ich bin zufrieden mit dem, was ich bin.“ Andere sind damit weniger zufrieden. Auf der SPD-Fraktionsklausur in Braunschweig sprach die Arbeitssenatorin Dilek Kolat kein Wort mit Nußbaum, und Stadtentwicklungssenator Michael Müller schaut am Finanzsenator am liebsten vorbei. Auch SPD-Landeschef Jan Stöß zählt nicht zu seinen Freunden und führende CDU-Politiker fordern intern, der Mann müsse in die Schranken gewiesen werden. Etwa beim Umgang mit Landesimmobilien. So führte eine strittige Grundstücksliste der Finanzverwaltung kürzlich dazu, dass die Christdemokraten im Vermögensausschuss mit Grünen und Linken stimmten. Und dann kam die Sache mit dem Gasnetz.
Dass Wowereit seinen Senator nicht öfter zurückpfeift, dürfte schlicht daran liegen, dass sich die beiden in ihrer schnoddrigen Eigenwilligkeit eben mögen. Wowereit ist ein Gewohnheitsmensch und regiert mit wenigen engen Vertrauten, einem kleinen Zirkel der Macht. Früher gehörten der frühere SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller dazu, Innensenator Ehrhart Körting und Finanzsenator Sarrazin. Dann verschob sich die politische Tektonik. Müller wurde entmachtet, Körting ging in den Ruhestand und Sarrazin zur Bundesbank.
Jetzt sind es der SPD-Fraktionschef Raed Saleh und Ulrich Nußbaum, auf deren Loyalität sich Wowereit stützt. Ein Triumvirat, das zwar nicht reibungsfrei, aber ziemlich geräuschlos funktioniert. „Mein Freund, der mächtigste Mann in der Stadt, nach dem Regierenden Bürgermeister und mir.“ So spricht Saleh über Nußbaum. Mit einem Augenzwinkern.
Eine kluge Überlebensstrategie
Der hält sich an diese Rangfolge im Dreigestirn. Eine kluge Überlebensstrategie, wenn er seine machtvolle Rolle weiter offensiv nutzen will. Er weiß, dass seit 1947 aus keinem seiner 15 Amtsvorgänger ein Regierender hervorgegangen ist und mit dieser Tradition vermutlich auch erstmal nicht gebrochen wird. Bestimmt fühlte er sich geschmeichelt, als er vor der Abgeordnetenhauswahl 2011 als Kronprinz Wowereits gehandelt wurde. Aber bei den Sozialdemokraten hat der Mann inzwischen mehr Gegner als Freunde, und ihm fehlt noch immer das SPD-Parteibuch, das er schon in Bremen ablehnt hatte. Über seine Zukunft redet Nußbaum bisher nicht. Notfalls wartet ja in Bremerhaven, gleich neben dem Weser-Strandbad, ein gut gehendes Unternehmen auf ihn.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.