Fahrverbote für Diesel in Berlin und 33 Mal Tempo 30: Diese acht Streckenabschnitte werden gesperrt
Der Berliner Senat hat eine Novelle des Luftreinhalteplans beschlossen. Es soll mehr Tempo-30-Zonen und Parkgebühren von bis zu vier Euro pro Stunde geben.
Lange hatte es sich angekündigt, nun macht der Berliner Senat ernst: Im Laufe des August, spätestens aber Anfang September soll es in Berlin wegen der Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid erstmals Dieselfahrverbote geben. Das kündigte Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne) unmittelbar nach der Sitzung des Senats am Dienstagvormittag an. Die Regierung hatte kurz zuvor die zweite Fortschreibung des Luftreinhalteplans beschlossen und damit einen „wichtigen Schritt für Berlin“ getätigt, wie Günther erklärte.
Wichtigster und wohl auch folgenreichster Baustein des Plans ist die Einführung sogenannter „Durchfahrverbote“ für Dieselfahrzeuge mit der Abgasnorm 5 und älter – besser bekannt als Dieselfahrverbot. Sie sollen künftig auf acht Straßen beziehungsweise Straßenabschnitten gelten, die bekanntesten davon die Leipziger Straße.
Künftig dürfen zwischen Leipziger Platz und Charlottenstraße nur noch Benziner oder Dieselfahrzeuge der jüngsten Generation fahren, genau wie in der Friedrichstraße auf dem Abschnitt zwischen Unter den Linden und Dorotheenstraße. Ausnahmeregelungen gelten unter anderem für Anwohner sowie den Wirtschaftsverkehr, zu dem auch Taxis zählen. Insgesamt werden 2,9 des 5452 Kilometer langen Berliner Straßennetzes mit Dieselfahrverboten belegt. Das entspricht 0,05 Prozent aller Straßenkilometer.
Weitere Maßnahmen des Luftreinhalteplanes sind die Nachrüstung und Flottenerneuerung bei Linienbussen der BVG sowie der Umstieg von Diesel auf Elektrobusse sowie die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung innerhalb des S-Bahn-Rings. Künftig sollen statt der bisher 40 Prozent aller Parkplätze 75 Prozent der Parkflächen im Innenstadtbereich bewirtschaftet – sprich mit Gebühren belegt werden.
21 Straßenkilometer mehr Tempo-30-Zonen
Außerdem soll der Höchstpreis pro Stunde, der aktuell bei drei Euro liegt, zukünftig auf vier Euro erhöht werden dürfen. Die Regelung gelte ab sofort, wie Günther erklärte. Tatsächlich müssen aber zunächst die Gebührenordnung des Landes angepasst und die Gebührenautomaten umgestellt werden, weshalb die Preiserhöhung noch einige Tage auf sich warten lassen dürfte.
Eine weitere Maßnahme ist die Ausweitung der Tempo-30-Zonen um weitere 21 Straßenkilometer, insgesamt gilt Tempo 30 dann auf zehn Prozent und etwa 1500 Kilometer der Hauptverkehrsstraßen. Laut Günther ist an 59 hochbelasteten Abschnitten auf 33 Straßen die Anordnung von Tempo 30 aus Gründen der Luftreinhaltung vorgesehen. Auf diesem Wege soll der Gehalt von Stickstoffdioxid in der Luft um ein bis drei Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gesenkt werden. Davon betroffen sind unter anderem Teile der Danziger, der Invaliden-, der Hermann- und der Torstraße.
Sukzessive Einführung geplant
Unklar ist, ab wann die Maßnahmen greifen. Einen Stichtag, an dem die Neuerungen in Kraft treten werden, gibt es nicht. Während der Pressekonferenz sprach Günther von einer „sukzessiven Einführung“ der Dieselfahrverbote und der Temporeduzierungen. Zunächst würden Anhörungen mit den für die Umsetzung der Maßnahmen zuständigen Bezirken stattfinden.
Um den Prozess zu beschleunigen, sollen diese nicht wie ursprünglich geplant vier, sondern lediglich zwei Wochen andauern. Mit entscheidenden Änderungen der nun im Luftreinhalteplan beschlossenen Maßnahmen rechnet die Senatorin nicht, sagte aber, dass Anpassungen möglich sind.
Unklar blieb zunächst, wie die Einhaltung der Dieselfahrverbote kontrolliert und durchgesetzt werden soll. Zuständig dafür ist die Polizei. Diese wiederum gilt als überlastet, zumal sich die Kontrolle der Fahrzeuge in der Praxis kompliziert gestalten dürfte. Weil eine Plakette fehlt, an der sich die jeweilige Abgasnorm eines Dieselfahrzeugs oder die Berechtigung zum Durchfahren einer Verbotszone ablesen ließe, sind die Beamten auf Stichprobenkontrollen angewiesen.
25 Euro Bußgeld
Für die Gewerkschaft der Polizei erklärte deren Sprecher Benjamin Jendro am Dienstag: „Der Personalkörper der Berliner Polizei gibt es nie im Leben her, dass wir alle Verbotszonen dauerhaft im Blick behalten“. Er kritisierte, eine Durchsetzung des Fahrverbots könne über „medienwirksame Großeinsätze und allenfalls Stichproben“ nicht hinausgehen.
Günther dagegen zeigte sich davon überzeugt, Fahrer der von den Dieselfahrverboten betroffenen Autos würden sich auch ohne ständige Kontrollen an die Regelungen halten. Sie kündigte an, ein Verstoß gegen die Neuregelung werde mit einem Bußgeld von 25 Euro geahndet. Trete das Fehlverhalten mehrfach auf, können auch höhere Strafen fällig werden. Darüber hinaus kündigte sie an, im kommenden Jahr eine Evaluierung der Maßnahmen mit Bezug auf die Luftreinhaltung durchzuführen.
Sollten die Grenzwerte weiterhin überschritten werden, müssten härtere Maßnahmen ergriffen werden. Denkbar sei eine Ausweitung der Verbotszonen auf die Abgasnorm 6 oder die Sperrung eines Fahrstreifens auf mehrspurigen Straßen. Für den Moment jedoch zeigte sich Günther zufrieden und erklärte: „Wir sind der Überzeugung, mit diesem Paket einen gesunden Ausgleich gefunden zu haben.“
Umwelthilfe kritisiert „Flickenteppich“
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte durch eine erfolgreiche Klage im Oktober 2018 vor dem Verwaltungsgericht eine Ausweitung der Fahrverbote erwirkt. Das Verwaltungsgericht hatte damals elf Streckenabschnitte in der Innenstadt für Fahrverbote benannt. Dort wurde der Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm besonders stark überschritten. Die Verwaltung hatte dann die Aufgabe, den Luftreinhalteplan entsprechend den Vorgaben des Gerichts zu überarbeiten.
Am Dienstag nannte die Deutsche Umwelthilfe den Berliner Luftreinhalteplan für „unzureichend und rechtswidrig“. Trotz Rekordbelastung von bis zu 59 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft enthalte der Plan zu wenige wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Luftverschmutzung.
Die Umwelthilfe kritisiert den „Flickenteppich“ von Diesel-Fahrverboten an einzelnen Straßenabschnitten und generelle Ausnahmen für Lieferverkehre statt eines konsequenten und wirksamen zonalen Diesel-Fahrverbots. Auch entlang der Stadtautobahn A 100 müsse der Senat Maßnahmen treffen, um die Grenzwertüberschreitungen einzudämmen.
CDU und FDP lehnen Fahrverbote ab
Die Berliner IHK begrüßte das „ausgewogene Maßnahmenkonzept“ des Senats, das flächenhafte Fahrverbote ausschließe. Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung sei sinnvoll, solange sie die Bedarfe der ansässigen Unternehmen berücksichtige. Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg dagegen halten die Fahrverbote für unverhältnismäßig. Die Streckensperrungen könnten zu Ausweichverkehren führen. Dadurch könnten die Emissionen noch steigen.
Statt auf den Ausbau von ÖPNV- und Radverkehr sowie E-Mobilität zu setzen, würden dem Senat nur Fahrverbote und Tempo 30 einfallen, kritisierte die CDU. Sie fordert die Verlängerung von S- und U-Bahnen, die Erweiterung der Tarifzone B bis zum ersten Halt hinter der Stadtgrenze und die Ausweitung von Sharing-Angeboten an den Stadtrand, um Pendler zum Umsteigen zu bewegen.
Die FDP lehnt Fahrverbote ebenfalls ab und fordert den Senat auf, an allen Stellen, wo Fahrverbote verhängt werden, Messstationen einzurichten, um die Luftqualität messen zu können. Die Umrüstung kommunaler Flotten müsse ebenso beschleunigt werden wie der Aufbau einer digitalen Verkehrslenkung.