GEW ruft Lehrkräfte zum Warnstreik auf: Diese 28 Berliner Schulen sind am Mittwoch vom Streik betroffen
Die GEW will eine maximale Klassengröße in Berlin festschreiben. Schulen aus zehn Bezirken sind aufgerufen, vor den Parteizentralen zu demonstrieren.
Die Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft (GEW) flankiert die Sondierungsgespräche der Berliner Parteien mit einem ganztägigen Warnstreik. Am Mittwoch sind Schulen aus zehn Bezirken aufgerufen, vor den Parteizentralen zu demonstrieren.
Die Gewerkschaft fordert den Abschluss eines Tarifvertrages zum Gesundheitsschutz, in dem die Klassengröße an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen verbindlich festgeschrieben wird. Angesichts des Berliner Lehrkräftemangels und des Corona-bedingten Unterrichtsausfalls stieß die GEW überwiegend auf Unverständnis für ihr Vorhaben.
Laut GEW wurden bereits im Juni die zuständigen Senatoren dazu aufgefordert, Tarifverhandlungen über einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz aufzunehmen, die der Finanzsenator abgelehnt habe. „Daher bleibt als nächster Schritt nur die Möglichkeit, mit einem Warnstreik Druck auf den Arbeitgeber auszuüben.“
Lehrkräfte von 28 Schulen, darunter Grund- und Sekundarschulen, Gymnasien und Oberstufenzentren, wurden zur Streikteilnahme aufgerufen. „Uns ist bewusst, dass der Unterrichtsausfall der letzten Monate durch Corona für die Familien eine enorme Belastung war“, sagte der GEW-Vorsitzende Tom Erdmann. Gleichzeitig bat er die Eltern um Solidarität, da auch ihre Kinder von kleineren Klassen profitieren würden.
Während des Warnstreiks am Mittwoch ist eine Fahrraddemonstration geplant, die am Oranienplatz starten soll. Eine Abschlusskundgebung ist im Wedding vor der SPD-Zentrale geplant.
Zweifel am Vorgehen der GEW
Der Aufruf erfolgte am Montag, dem Tag, an dem die Maskenpflicht an den Schulen aufgehoben wurde. Mit der damit unter Umständen einhergehenden höheren Infektionsgefahr hat die GEW-Forderung nach weniger großen Klassen allerdings nichts zu tun. Vielmehr verfolgt die Gewerkschaft unabhängig von der Pandemie schon lange das Ziel, die Lerngruppen zu verkleinern. Dass sich dieses alte Ziel allerdings über das Mittel eines Tarifvertrags erreichen lässt, ist allerdings umstritten.
"Es dürfte sehr zweifelhaft sein, ob die Klassengröße in einer Zusatzvereinbarung zum Tarifvertrag rechtlich festgelegt werden kann", gab Arnd Niedermöller, der Sprecher der Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB) auf Anfrage zu bedenken.
Die für Tarifverhandlungen zuständige Senatsverwaltung für Finanzen lehnt denn auch das Ansinnen ab, da es „in die organisatorische Entscheidung der Arbeitgeberin Land Berlin eingreift“, wie es auf Anfrage hieß. Die Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) sei der Auffassung, dass Fragen der Personalbemessung und somit auch der Personalentlastung zum Organisationsrecht des Arbeitsgebers gehöre.
Das aber bedeute, dass es „einer tarifvertraglichen Regelung nicht zugänglich“ sei. Ein entsprechender Antrag für Tarifverhandlungen würde daher von der TdL abgelehnt werden, erwartet die Finanzverwaltung. Das Land Berlin strebe einen derartigen „Alleingang“ nicht an.
Die Gewerkschaft korrigiert sich
Zur Verwirrung führte auch, was bis gestern zum Thema auf der Homepage der Bundes-GEW stand. Dort hieß es nämlich:
"Viele Maßnahmen, die die GEW und mit ihr viele Beschäftigten zu ihrem Schutz einfordern, sind organisatorische Entscheidung der Arbeitgeber: Kleine und feste Gruppen in Kitas, Wechselunterricht, die AHA+L Regeln einhalten oder eben auch die Entscheidung, sich an den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts zu orientieren. Sie sind tariflich nicht regelbar und sind daher keine arbeitsrechtlichen Streiks, zu dem die GEW und die anderen Gewerkschaften aufrufen dürfen".
Auf Nachfrage wurde diese widersprüchlich wirkende Passage nicht mehr erläutert. Vielmehr äußerten auch hochrangige Gewerkschaftsmitglieder Zweifel an dem Vorgehen der GEW-Spitze.
Am Dienstagvormittag dann kündigte der Bundes-GEW-Tarifkoordinator Oliver Brüchert an, man werde auf der Homepage der Bundes-GEW die Formulierung "korrigieren, um Missverständnisse zu vermeiden", was dann auch mittags passierte.
Zudem erläuterte GEW-Sprecher Markus Hanisch, warum die Gewerkschafts-Spitze sich entgegen der Interpretation der Senatsverwaltung für Finanzen im Recht sieht: "Wir streiken nicht abstrakt für den Gesundheitsschutz in Pandemiezeiten, sondern für die Tarifierung einer konkreten Regelung, die zum Gesundheitsschutz beiträgt. Das Verhältnis von Lehrkräften zu Schüler*innen. Das trägt zum Gesundheitsschutz bei und lässt sich tarifvertraglich regeln", so Hanisch.
An diesen Schulen wird zum Streik aufgerufen:
- Charlottenburg-Wilmersdorf: Anna-Freud-Schule, OSZ für Sozialwesen I
- Friedrichshain-Kreuzberg: Nürtingen-Grundschule, Lina-Morgenstern-Schule, Refik-Veseli-Schule, Hector-Peterson-Schule
- Marzahn-Hellersdorf: Virchow-Oberschule, Otto-Nagel-Gymnasium
- Mitte: Willy-Brandt-Schule
- Neukölln: Walter-Gropius-Schule, Fritz-Karsen-Schule, Karlsgarten-Schule, Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg, Ernst-Abbe- und Hannah-Arendt-Gymnasium
- Lichtenberg: Johann-Gottfried-Herder-Gymnasium, Mildred-Harnack-Schule
- Pankow: Rosa-Luxemburg-Gymnasium, Heinrich-Schliemann-Gymnasium
- Spandau: Kant-Gymnasium, Hans-Carossa-Gymnasium, Martin-Buber-Sekundarschule, Carlo-Schmid-Sekundarschule, B.-Traven-Gemeinschaftsschule, Knobelsdorff-Schule OSZ Bautechnik I
- Tempelhof-Schöneberg: Teltow-Grundschule, Robert-Blum-Schule
- Treptow-Köpenick: Sophie-Brahe-Gemeinschaftsschule, Emmy-Noether-Gymnasium
Volle Klassen gibt es insbesondere in Gymnasien, wo bis zu 32 Schüler pro Raum die Regel sind. Für die Grund- und Sekundarschulen gelten zwar geringere Richtgrößen. Der Raum- und Lehrkräftemangel hat aber dazu geführt, dass diese immer wieder überschritten werden. So kommt es vor, dass in Grundschulklassen 29 statt 25 Kinder sitzen, was aber rechtlich bisher zulässig ist. Hier setzt die Forderung der GEW an.
Einen Kommentar zum Warnstreikaufruf finden Sie HIER.
Im Bundesvergleich fallen die Berliner Klassengrößen allerdings nicht aus dem Rahmen. Vielmehr ist die Relation Schüler-Lehrkraft sogar günstiger als im Schnitt der Länder. Das liegt daran, dass es in Berlin mehr Zusatzkräfte als bundesweit üblich für die Sprachförderung und die Integration gibt.
Es kommt daher häufiger als in anderen Bundesländern vor, dass zwei Pädagogen in einer Klasse sind. Diese Zusatzbetreuung fällt aber wegen Krankheitsfällen häufig aus, da es in Berlin keine Vertretungsreserve gibt. In der Folge sind Lehrkräfte selbst in Brennpunktschulen mit vielen Kinder pro Klasse allein. Das will die GEW mit der Festschreibung kleinerer Klassengrößen verhindern.
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"Die GEW versäumt es seit Jahren, in diesen Punkten die Interessen der Beschäftigen zu vertreten. Dass die Gewerkschaft dieses Versäumnis nun bei der Klassengröße kurz vor den Koalitionsverhandlungen und einer sich abzeichnenden Verbeamtung der Lehrkräfte nachholt, erscheint mir ein leicht zu durchschauendes Manöver, um für sich selbst Punkte zu sammeln", lautet die Einschätzung des VOB-Sprechers Niedermöller.
Hinsichtlich des Streikaufrufs meinte er allerdings, aktuell sei "jeder Unterrichtstag für die Kinder und Jugendliche sehr wertvoll". Die Auseinandersetzung zur Klassengröße sei momentan aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler "nicht vertretbar", zumal die Gewerkschaft diesen Kampf seit Jahren nicht geführt habe.
Aufholen nach Corona wird so zum Parken auf der Standspur"
"Da hätte man einen für die Schüler:innen günstigeren Zeitpunkt wählen können. Aufholen nach Corona wird so zum Parken auf der Standspur", meint Niedermöller, der das Immanuel-Kant-Gymnasium in Lichtenberg leitet. Der Schulleiter war vergangene Woche zum Vorsitzenden der Bundesdirektorenkonferenz gewählt worden - der erste Berliner in dieser Position seit 48 Jahren.
"Das grundsätzliche Ziel der GEW Berlin, die Lehrkräfte zu entlasten, ist richtig und berechtigt. Allerdings ist die Problematik der Arbeitsbelastung im Bildungswesen ein sehr komplexes, das sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht einfach mit einem 'Tarifvertrag Gesundheitsschutz' und einer pauschalen Verkleinerung der Klassen ohne Folgeprobleme auflösen lässt", meinte am Abend der neu gewählte SPD-Abgeordnete Marcel Hopp. In den kommenden Koalitionsgesprächen komme es darauf an, dass man sich "auf sinnvolle Arbeitsentlastungen und auf einen effektiven Weg zur Personalgewinnung" einige, um das Problem nachhaltig anzugehen.
Das sagen die Abgeordneten
"Dabei sollten wir auch grundsätzlich über konkrete Belastungskriterien sprechen, nach denen wir Lehrkräfte bedarfsgerecht entlasten, statt mit der Gießkanne für alle effektiv kaum Entlastung im System zu schaffen," so der Bildungspolitiker weiter.
Der FDP-Bildungsexperte Paul Fresdorf nannte kleinere Klassen "natürlich erstrebenswert, jedoch muss dazu erst einmal das Personal an den Schulen bereitgestellt werden“.
Dirk Stettner von der CDU bezeichnete das Vorhaben als „Egomanie zur Unzeit auf Kosten von Eltern und Kindern“. Der jetzige Streik sei "die vollkommen falsche Prioritätensetzung zu Lasten unserer Kinder und Eltern". Ich bin mir sicher, dass die Berliner Lehrerinnen und Lehrer, die ich immer als engagiert und sehr verantwortungsvoll erleben durfte, dies ebenso sehen. Generell unterstützen Verbände, Parteien und Elternvertreter die Forderung nach kleineren Klassen. Allerdings führt der Lehrkräftemangel dazu, dass diese Forderung schon seit langem nicht erhoben wird. Vielmehr gibt es aktuell sogar Befürchtungen, dass die Klassen noch größer werden könnten, um diesen Mangel zu kompensieren. Der Landeselternausschuss hatte daher zuletzt an die Politik appelliert, die Anzahl der Schüler pro Klasse nicht zu erhöhen.
450 offene Stellen an Berliner Schulen
Anlass für diesen Elternappell sind aktuelle Berichte aus den Schulen, die berlinweit über offene Stellen klagen. Nach Informationen des Tagesspiegels sind zurzeit rund 450 Stellen vakant. Die scheidende Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte allerdings zum Schuljahresbeginn von nur 80 vakanten Stellen berichtet.
Der Gesamtpersonalrat hatte diese Angabe von vorn herein als nicht nachvollziehbar bezeichnet, da bereits zu diesem Zeitpunkt Anfang August von den bezirklichen Personalräten wesentlich höhere Vakanzen genannt worden waren. Ein Sprecher der Bildungsbehörde begründete die Diskrepanz unter anderem mit einer überdurchschnittlich hohen Zahl von Schwangerschaften sowie den vielen Kündigungen.
Unabhängig davon ist offensichtlich, dass es trotz der massenhaften Einstellung von Quereinsteigern nicht mehr gelingt, alle Lücken zu füllen. Fachleute rechnen daher damit, dass die Bildungsverwaltung zu drastischen Maßnahmen greifen wird. Das könnte etwa eine Verschärfung der Teilzeitregelungen sein: Die diskutierte Rückkehr zur Verbeamtung der Lehrkräfte würde einen rigideren Umgang mit Teilzeitanträgen erleichtern.