Volksentscheid gescheitert: Zu wenig Kreuze für Pro Reli
Mehr "Nein"- als "Ja"-Stimmen, nur 29,2 Prozent Wahlbeteiligung. Pro Ethik-Schirmherr Walter Momper (SPD) ist befriedigt, dass es für die Initiative nicht gereicht hat. Pro-Reli-Chef Christoph Lehmann wirft dem Senat unfaires Spiel vor.
- Werner van Bebber
- Sabine Beikler
- Jan Oberlaender
Für Pro Reli hat es nicht gereicht. Nach Auszählung von 100 Prozent der abgegebenen Stimmen votierten laut Landeswahlleiter Andreas Schmidt von Puskás 51,3 Prozent der Teilnehmer am Volksentscheid mit "Nein" und damit gegen ein Wahlpflichtfach Religion. 48,5 Prozent stimmten mit "Ja", 0,2 Prozent der Stimmen waren ungültig. Damit bleibt es beim bisherigen Berliner Modell, wonach der vor drei Jahren eingeführte Ethikunterricht Pflichtfach und Religionsunterricht ein freiwilliges Angebot ist.
Die Wahlbeteiligung lag bei 29,2 Prozent. Das sind 6,9 Prozent weniger als beim Volksentscheid zum Weiterbetrieb des Flughafens Tempelhof, bei dem sich insgesamt 36,1 Prozent der Stimmberechtigten beteiligten. Der Entscheid scheiterte vor fast genau einem Jahr, am 27. April 2008, an der Anzahl der nötigen "Ja"-Stimmen.
Die meisten Abstimmungsberechtigte beteiligten sich in Steglitz-Zehlendorf (41,4 Prozent), die wenigsten in Marzahn-Hellersdorf (21,6 Prozent).
Walter Momper (SPD), Schirmherr des Bündnisses Pro Ethik, freute sich über die Abstimmung: „Die Berliner sind helle und lassen sich nicht einlullen“. Das Engagement von Pro Ethik in den letzten Wochen habe sich gelohnt, weil die Mehrheit der Abstimmenden sich für das Fach Ethik ausgesprochen habe. Dies sei gerade auch in Hinblick auf die Integration von Migrantenkindern so wichtig. Auch wenn sich die Kirchen keinen Gefallen getan hätten, indem sie sich einer Kampagne von CDU und FDP angeschlossen hatten, seien sie wichtige gesellschaftliche Institutionen, sagte Momper, der in den vergangenen Wochen stark wegen seines Pro-Ethik-Engagements kritisiert worden war, weil sich dieses nicht mit seiner Funktion als Abgeordnetenhauspräsident vertrage.
Der SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller sah im Ergebnis des Volksentscheids "eine große Unterstützung für die bildungs- und integrationspolitische Linie der rot-roten Koalition". Alle Beteiligten am Streit um den Ethik- und Religionsunterricht sollten aber jetzt abrüsten und aufeinander zugehen." Carola Blum, Fraktionsvorsitzende der Linken, sagte: "Das Ergebnis hat gezeigt, dass eine intolerante Debatte über ein tolerantes Modell zum Scheitern verurteilt war. Das hat die Stadt weiter gespalten. Es gibt die Möglichkeit, die Kirchen am Ethik-Unterricht zu beteiligen." Das sieht Volker Ratzmann, Fraktionschef der Grünen, ähnlich: "Das Ergebnis ist zwar eindeutig, doch es gibt überhaupt keinen Grund zur Häme. Vielmehr kommt es nun darauf an, Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Ethik-Unterricht einzubeziehen und für Verbesserungen zu sorgen."
Kritik an der Politik des Senats gab es von mehreren Seiten. CDU-Landes- und Fraktionschef Frank Henkel erwartet "nach der Niederlage der Initiative ein Zeichen der Versöhnung des Regierenden Bürgermeisters." Wowereit habe alles getan, um die Stadt zu spalten. Pro-Reli-Chef Christoph Lehmann war zwar stolz darauf, trotz des verfehlten Quorums "eine ganze Menge in dieser Stadt bewegt" zu haben. Dem Senat warf er aber vor, an einigen Stellen "unfair gespielt" zu haben. Der Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky sagte in einer Reaktion auf das Abstimmungsergebnis: "Die Initiative hat Mut gemacht, weiter zu kämpfen." Der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber kündigte an, mit dem Senat über die Inhalte des Ethikunterrichts zu sprechen. Der neue FDP-Fraktionschef Christoph Meyer sagte: "Man muss nun darüber nachdenken, welches Angebot der Senat denen machen könne, die sich sehr stark für den Religionsunterricht in Berlin eingesetzt haben. Denkbar ist eine stärkere Einbeziehung von Religion in den Ethikunterricht."
Die Befürworter und die Gegner des Wahlpflichtfachs Religion hatten bis zur letzten Minute für ihre Ansicht geworben. In Gottesdiensten wurden die Besucher gebeten, zur Abstimmung zu gehen. In einer katholischen Kirche stellten Kinder brennende Kerzen zur Lichterkette auf, um den Gläubigen den Weg zur Abstimmung zu weisen. Die Befürworter des Wahlpflichtfachs Religion hatten vor allem in den Ostberliner Bezirken noch einmal kräftig mobilisiert und Schilder mit der Aufforderung, "zur Wahl" zu gehen und "mit Ja" zu stimmen. Mancher fühlte sich belästigt - zumal die Bischofsbriefe kamen nicht bei einigen nicht so gut an. Nach Angaben der Polizei kam es aber am Wahltag zu keinen Zwischenfällen.
Davon abgesehen ist und bleibt Berlin Single-Metropole. Pro Reli oder pro Ethik - das war eben doch ein Thema für Eltern mit schulpflichtigen Kindern - wenn die nicht ohnehin an diesem schönen Sonntag morgen andere Interessen als einen Spaziergang zum Wahllokal hatten. Sogar in der CDU-Fraktion, die am Sonntagmittag ihren Jahresempfang in der Kalkscheune gab, war die Stimmung nicht überbordend-erwartungsvoll. Rund 612.000 Ja-Stimmen - das traute man der Inititative bei aller Begeisterung für deren Engagement dann doch nicht zu. Bereits nach Auszählung von rund 45 Prozent der Stimmbezirke war es für Pro Reli unmöglich geworden, das notwendige Quorum zu erreichen. Nach Angaben des Landeswahlleiters hatten zu diesem Zeitpunkt bereits 141.490 Berliner mit "Nein" votiert oder ihren Stimmzettel ungültig gemacht.
Beteiligung und abgegebene Stimmen beim Volksentscheid über die Einführung des Wahlpflichtbereichs Ethik/Religion am 26. April 2009 in %. Ausgezähltes Ergebnis (bei 100%: Vorläufiges Ergebnis)
Beteiligung und abgegebene Stimmen beim Volksentscheid über die Einführung des Wahlpflichtbereichs Ethik/Religion am 26. April 2009 - absolut. Ausgezähltes Ergebnis (bei 100%: Vorläufiges Ergebnis)
Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg
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