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Keine Hebamme und in der Wunschklinik abgewiesen - werdende Eltern haben es schwer in Berlin.
© Stefan Sauer/dpa

Geburten in Berlin: Die Versorgung für werdende Eltern wird immer schlechter

Die Berliner bekommen immer mehr Babys. Das birgt ungeahnte Probleme für die Eltern: von der Suche nach einer Hebamme bis zum Erhalt der Geburtsurkunde.

Ein echter Berliner ist nur, wer in Berlin geboren wird – und es werden immer mehr. Fast 42.000 Kinder sind 2016 in Berlin auf die Welt gekommen, rund 5000 mehr als im Jahr zuvor.

Das sind zwar nur die Zahlen eines Babynahrungsherstellers, aber auch das statistische Landesamt, das noch keine endgültigen Daten herausgibt, verzeichnet zumindest bei den vorläufigen Zahlen der ersten drei Monate 2016 einen ziemlichen Zuwachs im Vergleich zu 2015 – der Trend hält somit an. In Zeiten, in denen alle über den demografischen Wandel sprechen, klingt das nach einer guten Nachricht – für die werdenden und jungen Mütter und Väter ist die Entwicklung aber weniger schön.

Denn die Infrastruktur, die sie brauchen, ist darauf nicht ausgelegt: Sie finden keine Hebamme für die Nachsorge – geschweige denn eine Beleghebamme zur Unterstützung im Kreißsaal. Sie werden an ihrer Wunschklinik abgewiesen, wenn sie sich mehrere Monate vor dem errechneten Termin dort anmelden wollen. Es kommt vor, dass Frauen trotz Anmeldung ihr Kind in einem Büro neben den Kreißsälen zur Welt bringen, weil alle Geburtsräume belegt sind. Die angestellten Hebammen schauen dabei ab und zu kurz zur Tür hinein. Und wenn das Baby auf der Welt ist, bekommt es keine Geburtsurkunde. Wir haben uns angesehen, was alles in Berlin rund um die Geburt nicht funktioniert.

Die Hebammen

Wer in Berlin eine Hebamme für die Nachsorge braucht, kann mit der Suche danach nicht früh genug beginnen: Am besten greift man unmittelbar nach Vorliegen des positiven Schwangerschaftstests zum Hörer, um sich durch die unterschiedlichen Telefonlisten, etwa vom Hebammenverband, zu wählen. Doch selbst wenn jede Frau sich so zeitig wie möglich um eine Hebamme bemüht, ist damit das Problem nicht gelöst, dass es schlicht zu wenig Hebammen in Berlin gibt – und am Ende eine gewisse Anzahl von Frauen übrig bleibt, die in ihrer Wochenbettzeit komplett auf sich allein gestellt sind.

Susanne Rinne-Wolf, Vorsitzende des Berliner Hebammenverbands, beschreibt die Versorgungssituation als „katastrophal“. Und dies betreffe nicht nur die Situation in den Kreißsälen, sondern insbesondere auch die Wochenbettbetreuung. Genaue Zahlen für die Unterversorgung gibt es nicht, jedoch steigen immer mehr Hebammen wegen der schlechten Arbeitsbedingungen aus ihrem Beruf aus, während die Zahl der Geburten in Berlin zunimmt. „Ich habe viele Kolleginnen, die am Abend ihren Anrufbeantworter abhören, mit bis zu fünfzig Anrufen und anschließend all diese Frauen zurückrufen müssen, um ihnen abzusagen", sagt die Sprecherin der Berliner Hebammen.

Etwa 750 freiberufliche Hebammen listet der Berliner Hebammenverband, darunter fallen aber auch viele, die außerdem eine Teilzeitstelle in einer Klinik haben. Wenn eine Frau aus dem Krankenhaus entlassen wird, hat sie Anspruch auf eine Hebammenbetreuung; mindestens für die ersten acht Wochen nach der Geburt. Die Hebamme zeigt den Müttern nicht nur, wie das Kind gewickelt und versorgt wird, sondern unterstützt sie bei Stillproblemen und postnatalen Komplikationen wie einer Wochenbettdepression. Und sie kann seltene Krankheiten beim Kind erkennen. Die Krankenkasse bezahlt für diese Dienstleistung. Ob eine Frau aber eine Hebamme findet oder nicht, ist ihr selbst überlassen.

Hilfe gibt es beim Zentralen Hebammenruf Berlin, bei dem 150 der Berliner Hebammen registriert sind. Doch diese sind bis Mitte Dezember ausgebucht, wie Mitarbeiterin Ingrid Wolff am Telefon mitteilt. „Wir bekommen 40 bis 50 Anrufe am Tag“, sagt sie, „müssen aber fast allen Frauen momentan absagen.“ Besonders in den Randbezirken sei die Situation schlimm, und in den Sommermonaten sieht es für alle werdenden Mütter in Berlin schlecht aus, da viele Hebammen Familie haben und Urlaub machen.

Dieses Bild spiegelt sich auch in der Facebook-Gruppe „Hebammenvermittlung Berlin“ wieder. Hier beklagen Frauen aus Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln oder Tempelhof, dass sie keine Hebamme für die Nachsorge finden. Täglich kommen neue Gesuche hinzu. Besonders schlimm ist das für Frauen, die ihr erstes Kind bekommen – noch nie ein Neugeborenes in ihren Händen gehalten haben. „Viele Familien in Berlin sind auf sich alleine gestellt, haben keine Bezugsperson wie die Mutter oder die Schwiegermutter in der Nähe, die ihnen helfen kann“, sagt Rinne-Wolf. Die Verunsicherung sei groß, normalerweise nimmt die Hebamme den frischgebackenen Eltern viele Ängste – jetzt sind sie teilweise ganz auf sich alleine gestellt.

Die Krankenhäuser

Volle Kreißsäle, von Bett zu Bett hetzende Hebammen, verärgerte Krankenhausleiter – die Berliner Geburtskliniken werden seit ein paar Jahren immer stärker beansprucht. Und im Sommer kommen noch mehr Kinder zur Welt als im Winter, wobei nur zehn Prozent von ihnen am errechneten Termin geboren werden. Das macht es für die Kliniken nicht einfacher. Regelmäßig müssen Rettungswagen auf andere Kliniken ausweichen, weil in einer Geburtsstation alle Betten belegt sind. Zuweilen kümmert sich eine Hebamme um drei, vier, manchmal fünf Frauen pro Schicht.

Der Chefarzt Michael Abou-Dakn, Leiter der Frauenklinik im St. Joseph-Krankenhaus in Tempelhof, will diesen Druck vermeiden: „Wir versuchen dafür zu sorgen, dass eine Hebamme pro Schicht nur noch zwei Mütter betreut.“ Dies bedeute aber auch, weniger Geburtstermine auszumachen. Vergangenes Jahr kamen im St. Joseph-Krankenhaus rund 4500 Kinder zur Welt, was bundesweit Rekord ist, in diesem Jahr soll es dann bei möglichst 4100 Geburten bleiben.

Auch in anderen Kliniken sind die vielen Geburten ein ständiges Thema. Die landeseigenen Vivantes-Kliniken meldeten sich zuletzt öfter bei der Leitstelle der Feuerwehr ab, damit die Rettungswagen bestimmte Häuser nicht mehr anfahren. „Wir weisen aber keine Schwangere, die bei uns ankommt, ab“, sagt eine Vivantes-Sprecherin. „Bislang haben wir immer einen Platz gefunden.“ Noch ist in Berlin kein Fall bekannt, wonach eine Mutter oder ihr Kind wegen einer überfüllten Station zu Schaden gekommen sei. Jede Frau wird behandelt, nur eben nicht in ihrer Wunschklinik.

Neben dem Hebammenverband fordern auch Klinikmanager und die Ärztekammer eine bessere Betreuung – also mehr Hebammen pro Klinik. Das jedoch berührt die Finanzarithmetik des Gesundheitssystems. Die Kliniken bekommen von Krankenkassen und Bundesländern bewusst nur knappe Mittel, um weniger rentable Häuser zum Schließen zu zwingen.

Die Standesämter

Elterngeld, Kindergeld, Krankenversicherung. Das alles bekommt nur, wer auch offiziell existiert. Doch wer in Berlin eine Geburtsurkunde haben möchte, muss oft lange warten, weil die Standesämter notorisch überlastet sind. „Die Geburtenerfassung dauert bei uns aktuell im Schnitt zwölf Wochen“, sagt die für Bürgerdienste zuständige Stadträtin in Mitte, Sandra Obermeyer (parteilos für die Linke).

Dort werden aktuell Geburten im März bearbeitet. In anderen Bezirken ist die Lage nicht besser. In Lichtenberg und Marzahn, wo man sich elektronisch einen Termin für die Geburtenerfassung geben lassen muss, gibt es für Juni keine Termine mehr, in Spandau erst ab dem 20. Juni.

Wenigstens einen Besuch beim Standesamt kann sich sparen, wer in der Charité in Mitte oder dem St. Joseph Krankenhaus in Tempelhof gebärt: Dort werden zum Beispiel die Anträge direkt im Krankenhaus entgegengenommen und an die Standesämter weitergeleitet. Die Wartezeit verkürzt sich dadurch aber nicht. Für alleinerziehende und finanziell schlechter gestellte Menschen sind solche Wartezeiten ein Problem, denn auch wenn man die Geburtsurkunde mal hat, dauert die Bearbeitung von Kinder- und Elterngeldanträgen noch mal einige Wochen. Immerhin: Das verpasste Geld bekommt man rückwirkend erstattet.

Beschleunigen lässt sich die Warterei oft mit einer Beschwerde. Ein einfaches Schreiben an die jeweiligen Standesämter kann, so berichteten mehrere Mütter, helfen. Der Kostenpunkt bleibt in jedem Fall bei zehn Euro. Auch ein Anruf bei der Krankenkasse, die Babys oft nur die ersten sechs Wochen über die Mutter mitversichern, kann die Situation entspannen. Sind die Probleme erst mal erklärt, werden oft unbürokratische Lösungen zur Überbrückung gefunden.

Rat und Unterstützung

Unterversorgung

Frauen, die keine Hebamme finden, können das online melden unter. www.unsere- hebammen.de/mitmachen/unterversorgung-melden/

Hilfe nach der Geburt

Wer Hilfe beim Stillen braucht, kann etwa die Stillberatung des St. Joseph Krankenhaus in Tempelhof kontaktieren (www.sjk. de/de/kliniken/klinik-fuer-geburtshilfe/stillen-und-stillberatung.html). Auch Familienzentren und Geburtshäuser bieten Stillgruppen an. Der Verein Wellcome kann zwar keine Hebammen ersetzen, die Ehrenamtlichen, die zu jungen Familien kommen, bieten aber Rat und Unterstützung (http://wellcome-online.de). Rat gibt der Verein auch unter www.elternleben.de. Die Beratungsstelle Familienzelt in Prenzlauer Berg hilft etwa bei einer postnatalen Depression (Tel. 32 23 071, www.familienzelt-berlin.de).

Infos zu postnatalen Depressionen gibt es auch unter www.schatten-und-licht. de, etwa einen Test für Mütter, die sich nicht sicher sind, ob ihre Stimmungsschwankungen krankheitsbedingt sind.

Übersichtskarte

Die Plattform Kindaling hat eine BVG-Übersichtskarte für Schwangere in Berlin erstellt. Unter www.kindaling.de/blog/schwanger-in-berlin-bvg-uebersichtskarte finden sich Hebammenpraxen, Geburtshäuser, Krankenhäuser, Beratungsstellen und Familienzentren.

Lobbyarbeit

Im Verein Mother Hood haben sich bundesweit Eltern zusammengeschlossen, die die Situation in der Geburtshilfe verbessern wollen . Auf der Internetseite des Vereins gibt es Infos zu den Themen Geburt, Stillen und Wochenbett: www.mother-hood.de

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