Lehrermangel in Berlin: Die Stunde der Pensionäre
Wegen des Lehrermangels braucht Berlin auch Pädagogen jenseits der 65. Aber finanziell lohnt sich ein Zuverdienst als Pensionär kaum. Wie Berlin den "Goldstaub" aus seinen Lehrerzimmern trotzdem behalten könnte.
„Goldstaub“ nennt man sie an Berlins Schulen: Lehrer, die Mangelfächer wie Physik oder Musik unterrichten. Tausende von ihnen gehen in den nächsten Jahren in Pension, aber nur wenige rücken aus den Universitäten nach. Dennoch gibt es keine Anreize für Pädagogen, die über die Pensionsgrenze hinaus in ihren Schulen bleiben und dem Mangel abhelfen wollen. Sie sitzen daher lieber zu Hause oder betreuen die Enkelkinder.
„Ich habe drei Monate lang an meiner Schule weiter unterrichtet und dafür nicht einmal den Mindestlohn bekommen“, sagt Regina Fietz (Name geändert), die ihre Schüler nicht im Stich lassen wollte und sich deshalb für drei weitere Monate verpflichtete. Der erste Blick in ihre Gehaltsabrechnung verdarb ihr aber die Freude, denn pro Stunde hatte sie nur wenige Euro verdient. Deshalb will sie jetzt vollständig in den Ruhestand gehen, obwohl sie die unterversorgten Mangelfächer Physik und Mathematik gern an ihrer Schule abdecken wollte. „Ich gehörte zum Goldstaub, und jetzt bin ich weg“, sagt die Studienrätin. In ihren Fächern, vor allem in Physik, gibt es nur wenige Referendare pro Bezirk, während hunderte pensioniert werden.
Trotzdem volles Gehalt erhalten
Dass sich der Zuverdienst für Pensionäre wie Fietz nicht lohnt, liegt am Beamtenversorgungsgesetz, erläutert Dieter Haase vom Gesamtpersonalrat die Rechtslage. Es sichert den Staatsdienern zwar eine – im Vergleich zu den Angestellten – üppige Pension von 71,75 Prozent der letzten Monatsbesoldung. Aber wer dazuverdient, behält kaum was übrig.
Denn dieser Verdienst wird auf die Pension angerechnet, „wenn er über 325 Euro liegt“, nennt Haase die Obergrenze, bis zu der sich die Zusatzbeschäftigung finanziell überhaupt lohnt. Anders sieht es aus, wenn man Teilzeit gearbeitet hat. In diesem Fall ist die Spanne größer, weil die Pension geringer ausfällt. Haase erwartet nicht, dass sich an der Regelung im Beamtenversorgungsgesetz Berlins etwas ändert, da es sich am Bundesbeamtenrecht orientiert.
Ralf Treptow vom Verband der Oberstudiendirektoren hat einen anderen Vorschlag: „Die Lehrer können doch beantragen, über die Pensionsgrenze hinaus regulär zu arbeiten“, nennt er eine weitere Möglichkeit, den Schulen zu helfen. Dann würden sie nämlich nicht nur 71,75% Prozent ihres Gehaltes beziehen, sondern weiterhin ihr volles Monatsentgelt. „Wir stehen solchen Anträgen auf Verlängerung der Arbeits- oder Dienstzeit grundsätzlich sehr aufgeschlossen gegenüber“, hieß es am Donnerstag aus der Bildungsverwaltung.
Seiteneinsteiger in allen Fächern gesucht
Bislang hat die Behörde allerdings eher das gegenteilige Problem, nämlich dass kaum ein Lehrer bis zur gesetzlichen Altersgrenze arbeiten will oder kann. Jedes Jahr steigen hunderte Lehrer wegen Dienstunfähigkeit vorfristig aus. Im Schuljahr 2012/13 gab es nur 99 Lehrer, die jenseits der 65 noch im Dienst waren. Dabei handelt es sich aber vor allem um Lehrer oder Schulleiter, die im laufenden Schuljahr ihr 65. Lebensjahr vollendet hatten und einfach bis zu den nächsten Ferien weiterarbeiteten.
Dieter Haase vom Gesamtpersonalrat glaubt allerdings nicht, dass viele Lehrer den von Treptow vorgeschlagenen Weg gehen und ihre Pensionierung verschieben möchten. „Wir veranstalten Seminare zum Übergang in den Ruhestand. Dort sagen viele Lehrer, dass sie zwar etwas weiterarbeiten, aber keine Verpflichtung mehr eingehen wollen“, hat Haase beobachtet. Dies aber ist aufgrund der erwähnt geringen Zuverdienstmöglichkeiten unattraktiv.
Wie berichtet, nimmt der Lehrermangel zum Sommer solche Ausmaße an, dass sich in fast allen Fächern auch Seiteneinsteiger bewerben können. Haase bedauert, dass es so weit gekommen ist: „Das Land Berlin hatte 15 Jahre Zeit gegenzusteuern“, sagt Haase. Schon früh sei klar gewesen, dass die Pensionierungswelle zu Engpässen führen werde. Alle Appelle der Gewerkschaften, trotz des vorübergehenden Lehrerüberhangs einen größeren Einstellungskorridor zu lassen, seien verhallt. Zudem habe es jahrelang keine Tariferhöhungen gegeben. „Man ist sehenden Auges in die Katastrophe geschlittert“, steht für Haase fest.
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