Dritter Versuch: Die SPD wird Sarrazin nicht so einfach los
Muss Berlins ehemaliger Finanzsenator die SPD verlassen? Thilo Sarrazin will im Fall eines Parteiausschlusses bis zum Europäischen Gerichtshof gehen.
Auch im dritten Ausschlussverfahren kommen bei Thilo Sarrazin keine Zweifel auf, dass er ein guter Sozialdemokrat ist. In einer persönlichen Erklärung, die der frühere Berliner Finanzsenator am Mittwoch während der Verhandlung des Ordnungsverfahrens vor der SPD-Kreisschiedskommission Charlottenburg-Wilmersdorf vorbrachte, teilte er mit: „Ich sehe nicht, dass ich der SPD in irgendeiner Form geschadet habe. Im Gegenteil. Hätte die Partei meine Analysen zur Einwanderung und Demografie ernst genommen, ginge es ihr heute besser.“
Wenn er nicht von den eigenen Genossen ausgegrenzt worden wäre, sondern eine offene Debatte stattgefunden hätte, „wären Gründung und Aufstieg der AfD möglicherweise verhindert worden“, so Sarrazin. Der SPD-Parteispitze warf er vor, mit ihren Vorwürfen „meine gesamte Vorgeschichte mit und in der Partei abzuschneiden“ und erst im Jahr 2009 einzusetzen, „als ob ich damals vom Himmel gefallen sei“. Dabei habe er sich als Sozialdemokrat 45 Jahre in vielen Ämtern, wenn auch nie in Parteifunktionen, „stets sehr erfolgreich für die Programmatik und die Inhalte der SPD eingesetzt“.
Er sei im November 1973 Mitglied geworden, weil er eine realistische Außenpolitik, eine moderne Wirtschafts- und Finanzpolitik und einen starken Sozialstaat gewollt habe. „Das will ich auch heute noch“, versicherte Sarrazin. In der heutigen SPD vermisse er Leitfiguren wie damals Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Walter Arendt. Er selbst sei immer dem Grundsatz gefolgt, dass die Wahrheit überparteilich sei. Die Aufgabe politischer Parteien sei die Formulierung politischer Ziele und die Gewinnung und Ausübung von Macht. Sie seien „keine Autoritäten für die Gewinnung von Wahrheit und Erkenntnis, und sie haben kein Mandat, darüber zu befinden“.
Vom laufenden Verfahren, dass der SPD-Parteivorstand im Dezember 2018 angestrengt hatte, erhoffte sich Sarrazin einen kurzen Prozess zu seinen Gunsten. Sein Rechtsanwalt Andreas Köhler hatte beantragt, das Begehren des Bundesvorstands auf Parteiausschluss gleich in erster Instanz zu kippen. Und zwar so, dass eine Fortsetzung des Verfahrens auf Landes- oder Bundesebene nicht möglich ist. Er begründete dies dem Vernehmen nach damit, dass der Parteivorstand schwerwiegende Mängel in der Beweisführung, die vom Schiedsgericht bereits im Mai intern gerügt wurden, bis zur Verhandlung am Mittwoch nicht beseitigt habe.
Keine Einstellung in erster Instanz
Eine Einstellung des Verfahrens in erster Instanz wurde von der Schiedskommission am Mittwoch jedoch abgelehnt. Zwar hatte die Kommission unter Leitung des früheren Verwaltungsgerichts-Vizepräsidenten Hans-Peter Rueß dem SPD-Vorstand im Mai mitgeteilt, dass die Vorwürfe gegen Sarrazin nicht „den Begründungserfordernissen“ entsprächen. Parteischädigendes Verhalten müsse „im Einzelnen“, also durch konkrete Belege oder Zeugen, nachgewiesen werden. Der Parteivorstand reichte daraufhin aber weitere Schriftstücke ein.
Nach der dreieinhalb Stunden dauernden Verhandlung im Rathaus Charlottenburg fällte die Kreisschiedskommission erwartungsgemäß kein Urteil. „Wir warten jetzt gespannt auf die Entscheidung, die uns in drei Wochen vorliegen wird“, sagte der Chef des SPD-Kreisverbands Charlottenburg-Wilmersdorf, Christian Gaebler, dem Tagesspiegel.
Thilo Sarrazin geht davon aus, dass auch das dritte Parteiordnungsverfahren gegen ihn scheitern wird. Sollte das Verfahren in erster Instanz nicht niedergeschlagen und der Fall vor dem Landes- und Bundesschiedsgericht der SPD fortgesetzt werden, droht Sarrazin damit, im Rechtsstreit mit der eigenen Partei notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen.
Auch Lars Klingbeil nimmt am Verfahren teil
Zur Verhandlung der SPD-Schiedskommission Charlottenburg-Wilmersdorf waren nur Parteimitglieder zugelassen. Eine öffentliche Sitzung, die Sarrazin beantragt hatte, wurde abgelehnt. Ab 10 Uhr verfolgten etwa 35 Genossen die Beratung im Helene-Lange-Saal des Bezirksrathauses, darunter viele Mitglieder der AG „Migration und Vielfalt". Die Stimmung im Saal sei angespannt gewesen, berichteten Teilnehmer. An der Verhandlung nahm auch der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil teil, er vertrat bei seinem Plädoyer den Parteivorstand.
Der SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf, dessen Mitglied Sarrazin (in der Abteilung Westend) ist, wurde durch den Bezirkschef Gaebler vertreten. Er bat nach der parteiöffentlichen Beratung um Verständnis, sich nicht inhaltlich äußern zu können. Aber der Vorsitzende der Schiedskommission, Hans-Peter Rueß, habe in der Sitzung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich alle Verfahrensbeteiligten und sonstige Teilnehmer der Verhandlung „jeder Äußerung zur Sache außerhalb des Verfahrens zu enthalten“ hätten.
Zwei Verfahren scheiterten bereits
Es ist der dritte Versuch, den ungeliebten Genossen aus der Partei zu entfernen. Das erste Verfahren gegen Sarrazin endete im März 2010 mit einem „Freispruch“, das zweite Verfahren wurde im April 2011 mit einem Vergleich beendet, nachdem sich Sarrazin in einer persönlichen Erklärung zu den Grundsätzen der Sozialdemokratie bekannt hatte.
Anlass des neuen Versuchs, den eigenwilligen Parteifreund aus der SPD zu werfen, ist das Buch „Feindliche Übernahme – wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Es hat seit der Veröffentlichung im August 2018 eine Auflage von über 380 000 erreicht.
Der SPD-Parteivorstand stützt sich bei seinen Vorwürfen gegen Sarrazin auf den 18-seitigen Bericht einer innerparteilichen Kommission, an dem auch die Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und die frühere Bundespräsidentschafts-Kandidatin Gesine Schwan mitgearbeitet haben. Darin wird der Vorwurf des „parteischädigenden Verhaltens“ erhoben. Sarrazin habe mit seiner neuen Publikation gegen das Menschenbild und die Grundsätze der Sozialdemokratie verstoßen, die Religionsfreiheit und die Gleichwertigkeit der Menschen missachtet und sich „im Grenzbereich der Volksverhetzung“ bewegt.
Sarrazin soll sich über SPD lustig gemacht haben
Ihm wird dem Vernehmen nach auch vorgeworfen, sich über die eigene Partei lustig gemacht und dazu beigetragen zu haben, dass die SPD unter den türkischstämmigen Wählern massiv an Stimmen verloren habe. Die SPD-Kommission sieht in seinen Publikationen angeblich auch einen Mangel an wissenschaftlicher Urteilsfähigkeit. Und – er sei nur zufällig Mitglied der SPD geworden.
Der Parteivorstand machte sich in seinem Ausschlussantrag die Argumente der Kommission weitgehend zu eigen. Sarrazin wiederum hält sämtliche Vorwürfe gegen ihn für gegenstandslos. Als Buchautor macht er vor allem geltend, durch das Verfassungsgebot der innerparteilichen Demokratie geschützt zu sein. Denn das verlange ein Mindestmaß an Minderheitenschutz, Auch habe er nicht gegen Straftatbestände verstoßen. Kein einziges Merkmal, das im SPD-Statut einen Parteiausschluss rechtfertigt, treffe auf ihn zu.