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Auch Wohnungen und Geschäfte attackierten die Randalierer.
© picture alliance / dpa

Randale in Berlin: Wie gefährlich sind die Linksextremen?

Zerschlagene Scheiben und brennende Autos: Die nächtlichen Randalen in Berlin hören nicht auf. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zum Thema.

Mehrere Nächte in Folge haben Randalierer auf Berlins Straßen nun ihr Unwesen getrieben, dutzende Autos beschädigt oder in Brand gesteckt, Polizisten angegriffen, Scheiben zerhackt. Für Innensenator Frank Henkel (CDU) ist klar, dass „linke Chaoten“ für die Verwüstungen verantwortlich sind. Die Sicherheitsbehörden gehen gegen diesen „Straßenterror weiter angemessen und konsequent vor“, sagte er dem Tagesspiegel. „Wir werden dem linken Mob nicht die Straßen überlassen. Solche extremistischen Taten sind Gift für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.“

Wer steckt hinter den Taten?

Nachdem in der Nacht zum Samstag zahlreiche Autos in der Flottwellstraße am Park am Gleisdreieck angezündet worden waren, ist auf der linken Internetplattform Indymedia ein Bekennerschreiben aufgetaucht. Darin distanziert sich das „Kommando Klaus-Jürgen Rattay“ ausdrücklich von einem Schreiben vom Samstag, in dem das „Kommando Noske und Ebert“ die Taten mit ironischem Unterton als „sozialdemokratisch“ motiviert bezeichnet und den SPD-Abgeordneten Tom Schreiber als Volksgenossen verunglimpft hatte. Die Polizei schätzt das neue Schreiben als authentisch ein.

Darin erklären die Verfasser, warum ausgerechnet das Neubaugebiet im Gleisdreieckspark ins Visier geriet. Man habe den Ort „im Zusammenhang langfristiger Überlegungen zum Problem der Wohnraumverknappung für einkommenschwache (sic!) Schichten“ ausgewählt. Die Verfasser wollen darauf aufmerksam machen, wie „Menschen zwangsgeräumt, Obdachlose und Junkies vom öffentlichen Straßenbild vertrieben“ würden, während gleichzeitig „ein Luxusloft nach dem anderen hochgezogen“ werde.

Damit schlossen die Schreiber an die seit Jahren stattfindende Debatte über Gentrifizierung und steigende Mieten an. Zugleich stellten sie die Randale in einen Kontext mit den Polizeieinsätzen gegen autonome Wohnprojekte – und bezogen sich auf die Durchsuchung der Rigaer Straße 94 Mitte Januar. Ziel sei es, „einen Sachschaden von 1 Millionen Euro für jeden Angriff auf Projekte in Berlin zu stiften“. Auch die „spontanen“ Randale in der Nord-Neuköllner Weser- und Hobrechtstraße wurden in diesen Zusammenhang gestellt. Die Linke Szene sei vom Einsatz in der Rigaer Straße zunächst „auf dem falschen Fuß erwischt“ worden, wolle aber nun zunehmend „intervenieren“.

Was genau ist überhaupt vorgefallen?

In der Nacht zum Sonnabend hatten 20 bis 40 Maskierte auf Fahrrädern am Gleisdreieck-Park randaliert. In der Flottwellstraße zündeten sie zwei Baustellenabsperrungen und vier geparkte Autos. An 24 weiteren Fahrzeugen wurden Scheiben eingeschlagen und Spiegel abgetreten. An Geschäften und Wohnhäusern gingen Fenster zu Bruch. Es entstand ein Sachschaden in sechsstelliger Höhe. In der Folgenacht hatte eine Personengruppe von 50 bis 100 zunächst ebenfalls randaliert und dann einen Streifenwagen mit Steinen beworfen. Unklar ist, inwieweit die Aktionen in Zusammenhang zueinander und zur Demonstration am Samstagabend stehen, bei der 4000 Linke weitgehend friedlich gegen den Polizeieinsatz an der Rigaer Straße protestierten.

Nimmt linke Gewalt in Berlin zu?

Die autonome Szene befindet sich laut Sicherheitsbehörden in einer Strukturkrise. Es geläng den Autonomen nicht, junge Leute zu politisieren und zu rekrutieren. Die Rigaer Straße in Berlin hat für die linke Szene nach der Räumung der „Liebig14“ eine hohe Symbolkraft. Deshalb wurde auch zu der Demonstration am Sonnabend breit mobilisiert. Die nächtliche Randale passen in die Gesamtentwicklung: Es gibt inzwischen teilnehmerstarke Großveranstaltungen, die aber häufig relativ friedlich verlaufen. Dem militanten Spektrum passt das nicht, daher kommt es laut Verfassungsschutz immer wieder zu diesen militanten Aktionen aus einem Kleingruppenspektrum.

Laut Sicherheitskreise ist das linksextremistische Potenzial in Berlin von 2560 (2014) auf 2640 leicht gestiegen. Dieser Zuwachs beruht laut Verfassungsschutzbericht auf der steigenden Mitgliederzahl in der linken Solidaritätsorganisation „Rote Hilfe“ e.V. von 1100 Mitgliedern (2014) auf 1200 Mitglieder in 2015. Die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten sank von 960 (2014) auf 940 im Vorjahr. Darunter sind 660 Autonome und 280 sogenannte Postautonome, also überwiegend ältere Personen, die sich der Szene zugehörig fühlen und in zivilgesellschaftlichen Initiativen mitarbeiten.

Wie reagiert die Berliner Politik?

„Wir brauchen hier eine einheitliche Haltung gegen Gewalt“, sagt Innensenator Henkel. „Während die Ächtung politisch rechts motivierter Gewalt zu einem gesellschaftlichen Konsens geworden ist, steht eine ähnliche Übereinkunft für linksmotivierte Gewalt nach wie vor aus.“ Besonders besorgniserregend sei, dass sich immer mehr und schwerere Fälle linker Gewalt auf Polizeibeamte konzentrieren.

Die Innenpolitiker erwarten Aufklärung im nächsten Innenausschuss am 15. Februar. Für den Vorsitzenden des Innenausschusses, Peter Trapp (CDU), sind die Attacken von Linksextremen am Wochenende auf Autos, Polizisten und Neubauten eine „neue Dimension“, die nichts mit Extremismus zu tun haben. „Diese Leute terrorisieren die Bürger“, sagte Trapp. Deshalb müsse der Staat „lageangepasste Maßnahmen“ treffen. Er dürfe sich nicht durch Drohungen erpressen lassen und sein staatliches Gewaltmonopol aufgeben. Trapp fordert. dass präventive Maßnahmen verstärkt werden. Nach erfolgreichen Ermittlungen von tatverdächtigen müsse die Justiz die rechtlichen Schritte konsequent einleiten.

Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux sieht die Randale „im Bereich des Erwartbaren“. Die linksmilitane Szene habe wieder mal zugeschlagen und „Angst und Schrecken“ verbreitet. Der Innensenator müsse nun eine Taktik verfolgen, die „konsequent linke Militante im Visier hat ohne gleich ganze Kieze unter Generalverdacht zu stellen“. Eine Gewaltzunahme konstatiert Lux nach dem Wochenende nicht. Er fordert aber, dass ein „Teilbereich der Szene, die im Verborgenen handeln“, weiter beobachtet werden müssten.

Christopher Lauer aus der Piratenfraktion kritisierte ebenfalls den Innensenator. Dessen „Strategie der Härte“ sei ein „sagenhafter Griff ins Klo“. Lauer bleibt bei seiner Einschätzung, dass der Einsatz in der Rigaer Straße 94 „Henkels Vietnam“ sei: Die beidseitige Eskalation der Lage bringe nur Verlierer, das habe man nun gesehen. Dass 50 bis 100 Menschen nachts losziehen, um Randale zu machen, ist für den Innenpolitiker der Linken, Hakan Tas, in der Größenordnung neu. Er wundert sich, warum die Polizei offenbar nicht rechtzeitig die Tatorte erreichen konnte.

Kam die Polizei zu spät?

Polizeisprecher Strefan Redlich widersprach dem Vorwurf von Tas vehement. In der Flottwellstraße sei man laut Einsatzprotokoll innerhalb von vier Minuten vor Ort gewesen – sogar eine Minute unter Durchschnitt bei Notrufen. In Nord- Neukölln war die erste Streife nach knapp fünf Minuten nach Eingang des Notrufs am Tatort. In beiden Fällen hätte sich die Täter aber schnell zerstreut. In Neukölln konnte auch ein herbeigerufener Hubschrauber mit Nachtsichtgerät, der rund acht Minuten nach dem Notruf gestartet war, keine Flüchtenden mehr ausmachen. Man habe zwar einige Personalien aufnehmen können, inwieweit diese in den Taten beteiligt oder tatsächlich nur wie behauptet Passanten waren, sei noch nicht ermittelt. Die Polizei untersuchte zudem die Steine, mit denen die Autoscheiben eingeschlagen worden waren, nach DNA-Spuren und ermittelte mit Spürhunden die Fluchtrichtung.

Wie entwickelt sich die linksextreme Szene

bundesweit?

Genaue Zahlen zur Entwicklung der vom Verfassungsschutz registrierten „Personenpotenziale“ liegen für 2015 noch nicht vor. Doch es seien keine größeren Änderungen gegenüber dem Vorjahr zu erwarten, sagen Experten. 2014 zählte der Verfassungsschutz 27 200 Linksextremisten. Davon galten 7600 als „gewaltorientiert“. Die linksextreme Szene entwickelt sich aber weniger dynamisch als die Spektren der Rechtsextremisten und Salafisten. Neonazis und andere Rechte profitieren vom weit verbreiteten Unmut über den Zustrom von Flüchtlingen und der Angst vor islamistischem Terror.

Das Spektrum der Autonomen ist relativ stark in Städten, in denen der militante Linksextremismus auf eine längere Tradition zurückblicken kann. Das sind vor allem Berlin, Hamburg, Leipzig, Bremen, Frankfurt, die Region Köln/Bonn, das Ruhrgebiet, Göttingen und Freiburg. Wie schon seit Jahrzehnten kommt ein beträchtlicher Teil der Autonomen aus dem Umfeld von Universitäten. Dort haben Neonazis und Salafisten bisher kaum eine Chance.

Wie extrem sind die Linken?

Bundesweit wurden für das Jahr 2014 965 einschlägige Delikte von linken Gewalttätern registriert, die Summe wird angesichts der zu erwartenden Nachmeldungen der Polizei noch kräftig steigen. Die meisten Angriffe richteten sich gegen Polizisten und vermeintliche oder „echte“ Rechtsextremisten. Es fällt allerdings auf, dass linke Gewalttäter zumindest teilweise anders agieren als rechte. Auch das lässt sich an den vorläufigen Statistiken der Polizei ablesen. Bei 921 rechten Gewaltdelikten im vergangenen Jahr wurden 691 Menschen verletzt.

Die Zahl der Opfer ist deutlich höher als bei linken Angriffen, die stärker auf „Sachen“ gerichtet sind, zum Beispiel Fahrzeuge von Neonazis oder der Polizei, die demoliert oder abgebrannt werden. Linke Gewalt wirkt denn auch weit weniger tödlich als rechte. Seit der Wiedervereinigung seien durch linke Angriffe „maximal fünf“ Menschen ums Leben gekommen, sagen Sicherheitskreise.

Für denselben Zeitraum listet die Bundesregierung inzwischen 75 Todesopfer rechter Gewalt auf. Nach Recherchen des Tagesspiegels ist die reale Zahl sogar doppelt so hoch. Nach Informationen des Tagesspiegels stellte die Polizei 2015 nach vorläufigen Erkenntnissen insgesamt 4511 linke Straftaten fest, darunter die 965 Gewaltdelikte. Es wurden 2391 Tatverdächtige ermittelt, 390 nahm die Polizei fest. Allerdings gingen nur zwei in Untersuchungshaft.

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