Berlin: Die blinde Wut des Trommlers
Vor 25 Jahren starb der junge Demonstrant Klaus-Jürgen Rattay auf der Potsdamer Straße Auf dem Höhepunkt des Kampfs um besetzte Häuser wurde er zu einem Märtyrer
18 Jahre wurde er alt. Ein kurzes Leben, dessen Ende ihn berühmt machte. Er war ein schwieriger Mensch, einer, der um Aufmerksamkeit bettelte und das Gegenteil erreichte, ein Punk aus Kleve, der in Berlin das Leben als kiffender Rebell ausprobieren wollte. Eine ehemalige Mitbewohnerin fand ihn „zum Kotzen, weil er immer hohle Sprüche geklopft hat“. Am 22. September 1981 geriet er unter einen BVG-Bus und wurde zum Märtyrer einer ganzen Bewegung. Im Online-Lexikon Wikipedia wird er unter „Klaus-Jürgen Rattay, deutscher Hausbesetzer“, geführt. Auf seinem „Leichenbegleitschein“, ausgefüllt von der Polizei, stand: „berufsmäßiger Chaot“.
Für Berlin war das Jahr 1981 kein gutes. Der Stobbe-Senat kollabierte unter dem Skandal um den Bauunternehmer Garski. In das politische Machtvakuum hinein besetzten linke Gruppen leer stehende Häuser, um sich billigen Wohnraum zu verschaffen und gleichzeitig gegen Spekulanten und Kahlschlagsanierer zu protestieren. Die Zahl besetzter Häuser wuchs jede Woche – zuletzt waren es 157.
Der neue CDU-Senat unter Richard von Weizsäcker, mit Heinrich Lummer als Innensenator, beschließt, ein Exempel zu statuieren und acht Häuser räumen zu lassen. Den Besetzern wird ein Ultimatum gestellt, so dass alle Interessierten wissen, wann die Barrikaden brennen werden. Beide Seiten bereiten sich vor. Am Morgen des 22. September rückt die Polizei gleichzeitig in acht Häuser vor. Als die ersten Häuser geräumt sind, will sich Senator Lummer selbst ein Lagebild verschaffen. Durch die Hintertür wird er ins Haus Bülowstraße 89 geschleust, während vor dem Haus Demonstranten stehen, die von der Polizei in Schach gehalten werden. Es dauert nicht lange, bis die Nachricht von Lummers Anwesenheit die Straße erreicht. Drinnen gibt der Senator eine improvisierte Pressekonferenz, draußen versammeln sich Sympathisanten aus anderen besetzten Häusern und rufen „Lummer raus aus unserm Haus“. Ganz vorne dabei ist auch Klaus-Jürgen Rattay.
Lummer zeigt sich kurz auf einem Balkon, was die Wut der Menge weiter ansteigen lässt. Die Polizei drängt die Demonstranten Richtung Potsdamer Straße ab. Dort geraten sie in den Verkehr. Rattay springt auf die Stoßstange eines Busses – die Polizei erklärt später, er habe die Windschutzscheibe einschlagen wollen, Augenzeugen sagen, er habe seine Arme ausgebreitet, um Stopp zu signalisieren. Der Busfahrer hält nicht. Rattay verliert den Halt, gerät unter den linken Vorderreifen. Er wird tödlich verletzt.
Der Schriftsteller und ehemalige Hausbesetzer Michael Wildenhain kannte Rattay nur vom Sehen. In seinem Roman „Die kalte Haut der Stadt“ hat er die letzten Stunden seines Lebens fiktiv inszeniert. Als Akteur, sagt Wildenhain, hätte sich Rattay kaum in den Vordergrund spielen können. Dennoch versuchte er es. Der Fernsehjournalist Kuno Haberbusch traf ihn am Wochenende vor der Räumungsaktion. Auf dem Hinterhof der besetzten Häuser in der Winterfeldtstraße kampierten Autonome, Junkies, Obdachlose, Reporter und prominente Unterstützer – insgesamt rund 200 Menschen. Rattay habe sie immer wieder angesprochen, erzählt Haberbusch. Er wollte reden und suchte Zuhörer. „Wir haben ihn dann interviewt, damit er uns in Ruhe lässt“. „Wir“ – das waren ein Fernsehteam mit dem Reporter Stefan Aust, dem heutigen Spiegel-Chefredakteur. Das Interview machte Aust schlagartig bekannt.
Rattay trommelte schon am frühen Morgen zur Schlacht, lange bevor die Polizei kam. „Er war sehr militant, fast blindwütig“, sagt eine, die ihn erlebt hat. Die Springer-Presse machte aus Rattay einen „Terroristen“. Bundesweit kam es an den folgenden Tagen zu Straßenschlachten, Fenster klirrten, Autos brannten. Sogar im friedliebenden Baden-Baden gab es eine Demonstration.
Das RBB-Fernsehen sendet am Montag, 25. September, um 22.15 Uhr eine Dokumentation zu Klaus-Jürgen Rattay. Darin kommt auch sein Vater zu Wort.
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