Diskussion um die Folgen der 68er: Die Revolte von gestern
Welche Impulse hat der 2. Juni 1967 für die heutige Gesellschaft gesetzt? Bei einer Podiumsdiskussion gab es verschiedene Antworten.
Constanze Kurz ist jetzt 43. Als sie studierte, hat sie genau eine Protest-Demonstration erlebt – mehr nicht. „Es mangelt“, sagt die Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs, „derzeit an revolutionären Bewegungen.“ Die Piratenpartei sei ja auch wieder in der Versenkung verschwunden. Was also ist heute, 2017, von den Ereignissen des 2. Juni 1967, von den Protesten der Studenten gegen prügelnde Polizisten, von der anschließenden 68er-Studentenbewegung, geblieben? Welche ihrer Impulse bewegen die heutige Gesellschaft?
Spannende Fragen, sie waren am Samstagabend Thema der Podiumsdiskussion in der Neuköllner Oper, moderiert von Tagesspiegel-Redakteur Gerd Nowakowski. Es war ein Treff der Generationen. Vertreter der 68er-Bewegung waren Hans-Christian Ströbele, der Grünen-Bundestagsabgeordnete, und Lutz Taufer, Ex-Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF). Auf dem Podium saß auch der 60-jährige Schriftsteller Ulrich Peltzer. Die jüngere Generation vertraten Constanze Kurz und die Autorin Anna Catherin Loll.
Und was ist geblieben als Impuls? Für Loll nicht viel. „Es ist so einfach heute, dass es einem gut geht, da setzt man sich nicht mit harten Themen auseinander, “ sagt sie. Gut, das Internet sei jetzt da, aber durch die Vielfalt des Netzes werde man auch abgelenkt. „Es gibt keine echte linke Bewegung mehr. Man hat nichts, mit dem man sich als linksorientierter Mensch solidarisch sein kann.“
Ströbele und Taufer wurden geprägt von ideologischen Diskussionen
Nun ja, sagt Constanze Kurz, es gebe schon Bewegungen, „Occupy“ zum Beispiel. Aber die Mobilisierung übers Netz habe auch Nachteile. Wer sich vor Ort für den arabischen Frühling engagiert habe, der hätte ja auch identifiziert und im schlimmsten Fall bestraft werden können. „Die Freiheiten, die wir durch die digitalen Möglichkeiten haben, fallen gerade in sich zusammen.“ Andererseits ist Kurz unverändert ganz Kämpferin. „Für mich ist die Empörung über Ungerechtigkeiten eine Triebfeder für mein Handeln in den letzten zwölf Jahren.“
Der Schriftsteller Peltzer fragte sich, teilweise soziologisch arg verschwurbelt, „warum es seit 1967 nie mehr eine Jugendrevolte gegeben hat“. Gut, in den 70er-Jahren gab es ein „rebellierendes System“, mit Friedens-, Anti-AKW und sonstigen Bewegungen, aber alles nicht so rabiat wie 1967. Und heute? „Heute ist 1967 nicht mehr präsent. Die ideologische Debatten sind nicht mehr da.“
Diese ideologischen Diskussionen hatten Leute wie Ströbele und Taufer geprägt. Damals hatten sie sich, sagten beide, an internationalen Bewegungen orientiert – den Befreiungskämpfen in Lateinamerika, den internationalen Protesten gegen den Vietnamkrieg. Bei Taufer führte das bis zur RAF. „Die RAF war aus unserer Sicht ein Frontabschnitt von verschiedenen internationalen Frontabschnitten.“ Er hat sich längst von der RAF-Ideologie gelöst. Heute würde er jungen Menschen, die links denken und eine Orientierung suchen, empfehlen, „ein Jahr in den Süden“, sprich nach Afrika, „zu gehen, um dort zu lernen“. Empörung allein „ist wie das Leben in einer Gummizelle“. Es bringt einen nicht voran, so meinte Taufer das wohl.
Das Internet bietet eine Gegenöffentlichkeit
Der Grünen-Politiker Ströbele sieht durchaus die Möglichkeit, dass auch heute internationale Bewegungen einen Impuls in Deutschland auslösen. Der betont linke Labour-Chef Jeremy Corbyn gewann bei der Parlamentswahl in Großbritannien überraschend viele Sitze im Parlament, der linke US-Senator Bernie Sanders (der im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokratin Hillary Clinton knapp unterlegen war) begeistert die Jugend in den USA. Für Ströbele sind das ermutigende Zeichen.
Aber die Bundesrepublik Deutschland von 1967, das sagt er auch, sei mit dem Land von 2017 nicht mehr zu vergleichen. Damals hätten viele Medien und die Gesellschaft die Prügeleien gegen protestierende Studenten ja noch verteidigt. Heute ist das auch aufgrund die Informationsmöglichkeiten durchs Internet völlig undenkbar. „Es gibt über das Internet eine Art Gegenöffentlichkeit.“
Aber eines muss er auch eingestehen. Die erbitterten Schlachten und Diskussionen von damals, die sind für viele heute schlicht kein Thema. Vor kurzem warf er in einer Sitzung der Grünen-Bundestagsfraktion das Stichwort 2. Juni 1967 in die Debatte. Und was passierte? „Einige wussten gar nicht, was damit gemeint ist.“