Abgeordnetenhauswahl: Die Parteien des ganz langen Atems
Wie die „Sonstigen“ den Wahlabend erleben - drei Besuche bei den Anhängern der Kleinstparteien Menschliche Welt, Alfa und die Violetten.
Menschliche Welt
„Ooom shanti shantiii…“ Nicht auf die erste Hochrechnung, sondern auf „den unendlichen Frieden“ richten die Mitglieder der Partei Menschliche Welt ihren Geist und ihre Seele am Wahlnachmittag. Vier der insgesamt 45 Mitglieder des Berliner Landesverbandes sowie ein Sympathisant haben sich in der Wohnung des Landesvorsitzenden Celal Akgün im Danckelmannkiez in Charlottenburg zur Meditation versammelt. Sie sitzen auf Yoga-Matten in einem leer geräumten Zimmer. Der Bundesvorsitzende, der Yoga-Mönch Madhuvidyananda, begleitet das Mantra auf der Gitarre.
„Wir befinden uns in einer Führungskrise“, sagt Madhuvidyananda. Er trägt einen langen Bart und ist in der Tracht der indischen Mönche gekleidet, in einen orangefarbenen Turban und ein orangefarbenes Gewand. „Die Parteien, die in der Verantwortung für die Gesellschaft sind, erfüllen diese Verantwortung nicht.“ Darum gibt es die Menschliche Welt. Spirituelle Praktiken fördern Güte, Vernunft und Mut. Das Ziel auch für Berlin ist eine Gesellschaft mit weniger Gewalt, ein Gesundheitswesen ohne Kommerz und eine Schule, in der sich die ganze Persönlichkeit entfalten kann. Über die AfD schimpfen wie die etablierten Parteien es tun, will Madhuvidyananda nicht. „Das ist nicht unser Stil, und es hilft auch nicht.“
Die Menschliche Welt war in Berlin in nur zwei Bezirken wählbar, in Charlottenburg-Wilmersdorf und in Tempelhof-Schöneberg. Doch das Wählerpotenzial ist groß. Sehr viele Deutsche machen Yoga, noch mehr dürften das Motto der Partei teilen: „Für das Wohl und Glücklichsein aller“. Bei der Bundestagswahl tritt die Menschliche Welt auf jeden Fall an. Aber so wichtig Wahlen auch sind: „Alle können jeden Tag zu einer menschlicheren Gesellschaft beitragen, durch ihre Kommunikation, durch ihr Denken und Handeln“, sagt Madhuvidyananda. Die Parteimitglieder lächeln zustimmend.
Alfa
In der Geschäftsstelle von Alfa am Luisenplatz in Charlottenburg beobachten etwa 25 Parteifreunde, wie der Balken für die AfD bei der ersten Hochrechnung wächst. „Wir haben da ein Monster erschaffen und müssen uns fast ein bisschen dafür schämen“, hat der Berliner Landesvorsitzende Christian Schmidt im Vorfeld erklärt. Aber die Größe des Monsters hält sich am Berliner Wahlabend noch in Grenzen, entsprechend auch die Scham seiner Ex-Anhänger: „Schön, AfD nur 12,5 Prozent!“, ruft ein Alfa-Mitglied.
Die Parteifreunde greifen in die Schüsseln mit den Chips und setzen ihre Gespräche fort. Für Alfa erwarten sie von dem Abend nicht mehr viel: „Berlin ist ein besonders schweres Umfeld“, sagt der Landesvorsitzende Christian Schmidt, der am hellblauen Hemd einen Alfa-Button trägt. Die drei prominentesten Mitglieder, die EU-Abgeordneten Hans-Olaf Henkel, Bernd Lucke oder Joachim Starbatty wollten die Wahlparty nicht miterleben. „Wir hoffen jetzt aufs Saarland“, sagt Schmidt.
Die AfD-Abspaltung Alfa (Allianz für Fortschritt und Aufbruch), die der frühere AfD-Vorsitzende Bernd Lucke nach seiner Niederlage im Machtkampf gegen Frauke Petry im Juli 2015 gründete, hat im Berliner Wahlkampf eine Obergrenze für Flüchtlinge „bereits auf lokaler Ebene“ gefordert, außerdem 2000 zusätzliche Polizisten und sowie die Bestrafung von aufdringlichen Bettlern. Jedoch bevorzugen die Wähler bislang die radikalere Mutter, nicht die mildere Tochter. Bei den letzten vier Landtagswahlen kam Alfa auf 0,3 bis 1,0 Prozent der Stimmen. „Wir haben einen langen Atem“, sagt aber Schmidt und schiebt sich die Brille auf die Stirn. „Alfa könnte eine Art CSU des Nordens werden.“
Die Violetten
Die Violetten, die Partei „für spirituelle Politik“, trifft sich am Wahlabend im kleinen Kreis in der Wohnung eines Mitglieds an der Blissestraße in Wilmersdorf. An den Wänden hängt moderne Kunst, auf dem Couchtisch steht ein Teller mit bunten Keksen. Etwa zehn Leute mittleren Alters beobachten gut gelaunt die Hochrechnungen auf dem Bildschirm. „Sonstige Parteien - 7,5 Prozent, das sind wir“, sagt einer und alle lachen.
Die Violetten sind mit sich im Reinen, Wahlergebnis hin oder her. Schließlich war die offizielle Wahlparty am Sonnabend mit fast 50 Leuten gut besucht. Mit einer „Vollmondparty“ haben die Violetten in den Wahlsonntag hineingefeiert - „um Raum zu schaffen, Aspekte von Spiritualität erfahrbar zu machen“, wie die beiden Spitzenkandidaten Christian Fender und Jutta Zedlitz erklären. So konnten die Teilnehmer bei „Astrologie als Einheitsschau“ „in die Tiefen menschlich kosmischer Verwobenheit“ blicken. Im „Männerkreis“ spürten Männer ihrer „männlichen Energie“ nach, im „Frauenkreis“ verbanden sich Frauen beim „Kakaoritual“ mit ihrer „weiblichen Energie“. Danach wurde stundenlang gemeinsam getanzt.
„Schade, dass die Stimmen für die kleinen Parteien alle in den Papierkorb gehen“, sagt Fender, 35 Jahre alt und von Beruf Sozialpädagoge und Systemischer Coach. „Das Parlament würde doch mehr Parteien aushalten.“
Die Violetten hatten im Wahlkampf sanftmütig auf lila Schmetterlinge gesetzt. Neben Spiritualität hatten sie aber auch handfeste Themen im Portfolio, etwa die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. „Der ganze Wahlkampf musste aus Spenden finanziert werden“, sagt die Landesvorsitzende Jutta Zedlitz, von Beruf Religionslehrerin. „Kleine Parteien sind bei der Finanzierung benachteiligt.“ Frustrieren lassen wollen sich die Violetten trotzdem nicht. Bei der Bundestagswahl wollen sie sich wieder mit ihren Schmetterlingen ins Rennen stürzen.