Galerie Wedding: Kunstdiskurs: Die Parallelität der Kulturen
Training fürs Humboldtforum: Die Museen überlegen, wie sie afrikanische Kunst und Objekte ins richtige Licht setzen - im Wedding geschieht das bereits.
Zehn Frauen sitzen im Kreis und kämmen ihr Haar. Rtsch. Rtsch. Der raue und vertraute Klang des Kammes verwandelt sich während der Performance von Satch Hoyt in Melodie und Rhythmus, der Künstler nimmt die Geräusche auf, remixt sie vor Ort. Es geht in seiner Ausstellung in der Galerie Wedding um den Afro-Kamm als Objekt und den Afro-Klang als kulturellen Treibstoff. Aber mehr noch geht es um eine Vision. Eine Vision von einer Welt, in der das Anderssein frei wählbar ist, einer Welt der „Post-Otherness“. Während die Berliner Museen überlegen, wie sie ihre Sammlungsobjekte aus Afrika und Asien im Humboldtforum neu präsentieren, wird in den Kunsträumen der Stadt längst eine lebendige Objektforschung betrieben.
Die dominierende Perspektive in Europa, aber auch in nicht-westlichen Ländern war lange Zeit weiß und männlich. Im postkolonialen Diskurs begann man, diesen Eurozentrismus infrage zu stellen. Welche nicht erzählten Geschichten gibt es von marginalisierten Gruppen, wurde gefragt. Die „Otherness“-Bewegung bedeutete den – aus eigener Sicht – Fremden zu Wort kommen zu lassen. Exemplarisch dafür stand die Documenta 11 unter Leitung des aus Nigeria stammenden Kurators Okwui Enwezor. Die Schau blendete in alle Weltregionen, fand nicht nur in Kassel, sondern auch auf St. Lucia, in Neu Dehli und in Lagos statt. Post-Otherness geht nun einen Schritt weiter, will das Fremde als das Eigene sehen, wobei „Post“ nicht bedeutet, dass es den Anderen nicht mehr gibt, sondern, dass Anderssein zum Normalfall geworden ist.
Post-Otherness im Entstehungsstadium
Die Fenster des Weddinger Ausstellungshauses sind groß, wie in einer Vitrine lässt sich Hoyts Kunst von draußen betrachten. Und von innen sieht man, wer auf der Müllerstraße herumläuft. Türken, Araber, Frauen mit langen Gewändern, Deutsche, Afrikaner. Der Migrantenanteil beträgt in dieser Nachbarschaft 75 Prozent. Noch höher ist er wahrscheinlich nur in der Kunstszene.
Die Berliner Kuratoren Bonaventure Ndikung und Solvej Ovesen haben ihre Ausstellungsreihe in der Galerie Wedding „POW“ genannt, „Post-Otherness Wedding“. Was als theoretisches Konstrukt so weltabgewandt klingt, für das gibt es im Weddinger Alltag vielleicht schon die besten Beispiele. Man muss sie nur sehen, die Verflechtung der Kulturen als Schatz begreifen statt als Problem.
„Post-Otherness im Entstehungsstadium“, sagen die Kuratoren. Ihre Ausstellungsreihe besteht aus vier Präsentationen von internationalen Künstlern, die im Wedding leben und die über ihre kulturelle Identität berichten. Den Anfang macht Satch Hoyt, Sohn einer britischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters, in London geboren. Er beleuchtet die Kulturgeschichte der afrikanischen Diaspora anhand von Objekten. Das ist der rote Faden der Ausstellungsreihe. Fremde Kultur anhand von Objekten zu beschreiben, ist ein altes Konzept. Humboldt arbeitete so, Völkerkundemuseen füllten sich auf diese Weise. Die Fremden hatten aber weder bei der Wahl der Objekte etwas zu sagen noch bei deren Interpretation.
Der Afro-Kamm als Zeichen des Widerstands
„Diese Haarangelegenheit! Sie war schon politisch, bevor du das Wort Politik buchstabieren konntest“, heißt es im Konzept zu Hoyts Ausstellung. Jeder, der als Kind mit einem Afro-Kamm traktiert wurde, verbindet Erinnerungen mit diesem Objekt: Heimat, Schmerz, Anpassung, Stolz. In den späten 1960er Jahren erfand jemand den Afro-Kamm mit der schwarzen Faust der Bürgerrechtsbewegung am Griff. Dieses spezielle Exemplar wurde zum Symbol des Widerstands gegen die Diskriminierung von Schwarzen.
Hoyt hat eine Wandinstallation aus „Black Fist“-Kämmen gebaut. Jeweils zwei Kämme sind zu einem Kreuz zusammengesteckt. „Sklaverei und Christentum, der Bürgerrechtler Malcolm X, Elijah Muhammad, Nation of Islam, die Geschichte des Black Nationalism, Angela Davis, die ihr Haar wieder natürlich trägt“, sagt der Künstler. All diese Assoziationen stecken für ihn im Afro-Kamm. Zu den Kämmen, Pelzen, Trompeten und verbrannten Gitarren, mit denen er arbeitet, gehören immer auch selbst komponierte Klangwelten. Zwei Kämme in samtener Schatulle, mit Glitzersteinen verziert, erzählen vom schwarzen Lebensgefühl, von der Lust am Bling Bling, von Protest und Ästhetik. „Viele kennen die Musik von Jay Z und Beyoncé, wissen aber sonst wenig über die afrikanische Kultur“, sagt Hoyt. Sein utopisches, am Afrofuturismus der 1960er Jahre geschultes Motto „Vom Sklavenschiff zum Raumschiff“ bedeutet für ihn auch, die eigene Kultur zu teilen, samt aller Verletzungen – und Rassismus und Diskriminierung hinter sich zu lassen.
Der Andere ist immer eine Projektion
Die Kunstszene ist global. „Gleichzeitig herrscht in Deutschland ein Wissensmangel darüber, welche Diskurse in außereuropäischen Kunstszenen geführt werden“, sagt Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien. Seit 2013 lädt das Haus Nachwuchskünstler aus Lateinamerika, Afrika und Asien zu einem zwölfmonatigen Aufenthalt nach Berlin ein. Post-Otherness bedeutet für Tannert auch, stereotype Bilder von Afrika loszulassen. „Die Künstler bringen ihre Themen mit, das sind nicht unbedingt die, die wir im Kopf haben. Das kann verstörend sein“, sagt er.
Unerwartetes zeigt auch Stary Mwaba aus Sambia, seit fast einem Jahr Stipendiat im Künstlerhaus Bethanien, in seiner Abschlussausstellung. In einer Installation hat er Blätter vom Chinakohl in Becher mit farbigen Flüssigkeiten getaucht. Chinakohl ist eines der meistgegessenen Gemüse in Sambia. Der Kohl hat sich ebenso stark verbreitet wie die chinesischen Investoren, die ihn in den 1960er Jahren importierten. Manche sehen das als neuen Imperialismus, für andere ist der Handel mit China profitable Alternative zur Entwicklungshilfe. Mwabas Versuchsanordnung zeigt, wie der Kohl die Farbe am Strunk komplett aufsaugt und oben weiß bleibt. Gelb steht für Kupfer, blau für Kobalt, rot für Mangan – Sambias begehrte Rohstoffe, unverzichtbar, um Mobiltelefone herzustellen und zunehmend in chinesischer Hand.
Objekte erzählen vielfältige Geschichten, verbinden Gestern und Heute. Nur braucht es eine Sprache, über die sie das gespeicherte Wissen mitteilen können. Wie in der Grammatik. Das Objekt braucht ein Subjekt, um mit Bedeutung aufgeladen zu werden. Daran fehlt es oft, wenn historische Artefakte aus Afrika oder Übersee in europäischen Museum präsentiert werden. Das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst in Dahlem testen seit 2012 im Rahmen der „Probebühne“, wie die Sammlungsbestände, auch mithilfe zeitgenössischer Kunst, aktiviert werden können. Mit dem Umzug ins Humboldtforum ist die Chance da, den außer-europäischen Sammlungsstücken durch neue Präsentationsformen Geschichten zu entlocken.
In Dahlem ist derzeit ein von Regisseur Dominic Huber konzipierter, aus Holz gezimmerter Schönheitssalon zu sehen, in dem Objekte der Swahili aus der Afrika- Sammlung des Museums präsentiert werden. Schmuck aus dem 19. Jahrhundert wird neben Strassklunkern gezeigt. Man trifft hier auch wieder auf den Afro- Kamm. Der Besucher ist in diesem Salon Fremder und Gast zugleich, auf Kiswahili heißt nämlich beides „wageni“. Die Probebühnen-Experimente sollen teilweise in die Neupräsentation im Schloss einfließen. Doch über die Thematisierung der Kolonialgeschichte, die angemessenen Worte, die Vielfalt der Blicke wird es noch viele Diskussionen geben.
Galerie Wedding, Müllerstraße 146–147, bis 4. April, Di-Sa 12-18 Uhr, Konzert mit Satch Hoyt aka Sonic Shadow am 28.3., 20 Uhr. Humboldt-Lab, Museen Dahlem, Lansstraße 8, bis 18. Oktober
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