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Als Redner gegen Sklaverei und Rassismus wurde Frederick Douglass berühmt.
© akg/North Wind Picture Archives

Schwarzer Menschenrechtler Frederick Douglass: Black Power

Frederick Douglass ist Sklave – und kennt nicht einmal den Tag seiner Geburt. Er wird zum berühmtesten Schwarzen des 19. Jahrhunderts und berät den US-Präsidenten. Nun lässt ihn der Bestsellerautor Colum McCann als Romanfigur aufleben.

Er war 27 Jahre alt. Unsicher. Noch nie im Ausland gewesen. Wie auch, die längste Zeit seines Lebens durfte Frederick Douglass keinen Schritt ohne Einverständnis seines Masters tun. Seinen Koffer trug der Amerikaner selbst, als er 1845 in Dublin von Bord ging – er war es noch nicht gewöhnt, bedient zu werden. War es nicht mal gewöhnt, wie ein vollwertiger Mensch behandelt zu werden. In Irland, hat Frederick Douglass später geschrieben, fühlte er sich zum ersten Mal wie ein freier Mann. Wobei er de facto noch immer Sklave war – auch wenn er geflohen war, gehörte er juristisch nach wie vor seinem Herrn.

Das war ja ein Grund, warum er jetzt hier war: Mit seiner frisch veröffentlichten Autobiografie – so gut geschrieben, dass Kritiker zweifelten, ob er wirklich der Autor sein konnte – hatte er sich als entflohener Sklave geoutet und in Gefahr gebracht. Jederzeit und rechtmäßig konnte er wieder gekidnappt werden.

„Ein freier Mann“, so heißt das erste Kapitel in „Transatlantik“, dem neuen, auf Deutsch bei Rowohlt erschienenen Roman von Colum McCann, in dem Frederick Douglass auftaucht. Der Menschenrechtler ist eine der Hauptfiguren der vielstimmigen irisch-amerikanischen Geschichte, die anderthalb Jahrhunderte umspannt. Eine historische Figur unter lauter erfundenen.

Der gebürtige Ire McCann wohnt seit langem in New York, dort wurden seine Kinder geboren. Natürlich, erzählt der Schriftsteller beim Gespräch im Hamburger Hotel, kennen sie Frederick Douglass. Jedes Kind in Amerika kennt ihn.

Schließlich ist er ein Held wie aus dem amerikanischen Bilderbuch, ein echter Selfmademan. Ein Bestsellerautor, der nie eine Schule besuchte, einer, der sich selbst aus der Gefangenschaft befreite, um später Präsident Lincoln zu beraten. Vom Rechtlosen zum Bürgerrechtler, vom Gejagten zum Diplomaten, vom Geknechteten zum legendären Rhetoriker. Einst froh, auf einem Strohbett schlafen zu dürfen, besaß er am Ende seines langen Lebens ein Haus mit 21 Zimmern vor den Toren Washingtons, das heute nationale Gedenkstätte ist. Auf dem Kaminsims steht eine Büste von Feuerbach, im Regal die Bücher von Emerson.

Ein Selfmademan in jeder Beziehung. Den 14. Februar hat er als seinen Geburtstag festgelegt, weil niemand genau wusste, wann er auf die Welt gekommen war, nur so viel: dass sein Vater ein Weißer gewesen sein muss, so hellhäutig wie er selber war. Gut möglich, dass es der Sklavenhalter war, der seine Mutter in Maryland geschwängert hatte. Seine Lebensgeschichte hat er zu drei Autobiografien und unzähligen Reden geformt, sogar seinen Namen, Douglass, hat Frederick Augustus Washington Bailey selbst gewählt.

Kurzum: Douglass war der lebende amerikanische Traum. Und die stete Erinnerung an den amerikanischen Albtraum. Es reichte ihm nicht, ein freier Mann zu sein – alle sollten es sein, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht und Religion volle Rechte haben. Er, der sich als Afro-Amerikaner verstand, hat die Verfassung beim Wort genommen: „All men are created equal“, daran hat er Politik und Kirche immer wieder erinnert. Er tat, was er für richtig hielt, sagte, was er dachte. Das machte ihn zum unbequemen Mann. Den Rassismus im Norden klagte er ebenso an wie die Sklaverei im Süden, beides hat er am eigenen Leib erlebt. Und sich dagegen gewehrt. . Lincoln ließ sich von ihm beraten, als es um den Einsatz von schwarzen Soldaten im Bürgerkrieg ging; aber als der Präsident sich nicht entschieden genug für das Wahlrecht der Schwarzen einsetzte, versagte ihm Douglass die Unterstützung.

Natürlich hat er das nicht alles aus eigener Kraft geschafft, er hatte Verbündete. Und Glück, wenn man es denn so nennen will: als Kind an Verwandte seines eigentlichen Herrn ausgeliehen zu werden, als Babysitter, wie es hieß, für den zweijährigen Sohn des Hauses, in dem es keine anderen Sklaven gab. Die Herrin war liebevoll wie eine Mutter zu ihm, brachte dem aufgeweckten Jungen das Lesen bei – was verboten war –, bis ihr Mann das unterband. In einer Stadt, noch dazu einer so nördlichen wie Baltimore zu leben, gab ihm Freiheiten, von denen ein Plantagensklave in Alabama nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Frederick, der als kleiner Junge mit ansehen musste, wie seine Tante von ihrem Master blutig geprügelt wurde, spielte mit weißen Kindern und lernte von ihnen, verdiente sich mit Schuheputzen und anderen kleinen Jobs so viel Geld, dass er den „Columbian Orator“ kaufen konnte, eine Redensammlung, mit dessen Hilfe er seinen Sinn für Freiheit und Menschenrechte ebenso wie sein rhetorisches Talent schärfte.

Douglass’ wichtigste Verbündete war seine Frau. In einem schwarzen Debattierclub hatte er Anna Murray kennengelernt, eine freie Schwarze, sehr viel schwärzer und fünf Jahre älter als er, die als Dienstmädchen in Baltimore arbeitete. Sie war es, die ihm Papiere und Kleidung eines Seemanns für die Flucht aus der Sklaverei besorgte, seine Bahnfahrkarte zahlte. Nach ihrer Hochzeit lebten sie im Norden, wo Douglass sich den Abolitionisten, den Aktivisten gegen die Sklaverei, anschloss. Deren wichtigster Mann, William Lloyd Garrison, wurde Douglass’ Mentor. Immer wieder holte er den Ex-Sklaven auf die Bühne, auf dass er von Erlebnissen erzählte. Er erwies sich als Naturtalent mit großer Präsenz. Garrison ermutigte ihn auch, seine Autobiografie zu schreiben. Allerdings kam es bald zu Spannungen zwischen den beiden. Der Schwarze wollte nicht nur lebendes Beweisstück sein, sondern seine eigenen Ideen entwickeln und verbreiten.

Als der junge Menschenrechtler 1845 nach Irland kam, wurde er gefeiert wie ein Star, von seinem wohlhabenden Verleger luxuriös beherbergt, saß mit Weißen am Tisch, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Aber so wie Colum McCann diese Erlebnisse in seinem Roman schildert, sensibel und poetisch, ist da immer ein Gefühl von Unwohlsein und Irritation, auf beiden Seiten. Sein Douglass ist kein Hollywoodheld, sondern ein Mensch. Der auch eitlel ist.

Colum McCann hat einige Douglass-Phasen durchgemacht. Erst hat er ihn verehrt, dann verachtet, und schließlich ins Herz geschlossen. Der Romancier hat’s gern kompliziert, wie er sagt: Je komplexer eine Figur, desto lieber ist sie ihm. Und je mehr der Schriftsteller bei seinen Recherchen erfuhr, desto vielschichtiger und widersprüchlicher erschien ihm der Mann, der im 19. Jahrhundert der berühmteste Schwarze der USA war, bevor er von anderen Aktivisten verdrängt beziehungsweise abgelehnt wurde. Erst im Zuge der US-Bürgerrechtsbewegung erlebte er in den 1960er Jahren eine Renaissance.

In Irland waren es Akademiker, die den Freiheitskämpfer in den 80ern, 90ern wieder entdeckten, „und eine Verbindung zwischen Schwarz und irischem Grün herzustellen versuchen“, so McCann. Denn sowohl im Gefühl der Unterdrückung wie im Freiheitskampf fühlen die Iren sich auf überraschende Weise mit den Afro-Amerikanern verbunden. „Wir sind die Schwarzen Europas“, sagt eine der Figuren in Roddy Doyles Roman „Die Commitments“. McCann selber erinnert sich an einen Besuch als kleiner Junge in England, wo er mit seinem Vater an einem Pub vorbeikam, in dessen Fenster ein Schild stand: „No blacks. No dogs. No Irish.“

Die Katholiken in Nordirland haben das Konterfei des Protestanten Douglass auf ihre „Friedensmauer“ gemalt, zusammen mit Martin Luther King und dem Black Panther Huey Newton, und mit Douglass’ berühmten Sätzen über seine Menschwerdung in Irland, wo er das Gefühl hatte, vom geknechteten Eigentum zum Mann zu werden. Diese Worte seines Vorbilds hat auch Präsident Obama zitiert, als er 2011 zu Besuch nach Dublin kam.

Warum also, so McCanns wütende Frage nach der ersten Phase seiner Douglass-Euphorie, hat der Bürgerrechtler, der sich 1845 ja sogar mit dem Nationalisten Daniel O’Connell anfreundete, dann nicht für die Iren das Wort ergriffen, die sich von den Briten unterdrückt fühlten und nach Freiheit und Selbstbestimmung sehnten? Wo sich doch vor seinen Augen die dramatische Hungersnot entfaltete, an der eine Million Menschen starben und die doppelt so viele in die Emigration trieb, an der nach Ansicht der Iren die Briten die Hauptschuld trugen. Warum?!

Weil, so McCanns Antwort, seine Gastgeber und Förderer protestantische Anglo-Iren und Briten waren. Weil Douglass gekommen war, um für seine Leute zu kämpfen. Und die Briten hatten nun mal die Sklaverei abgeschafft, britische und anglo-irische Abolitionisten unterstützten Douglass moralisch, politisch und finanziell. Sie sammelten das Geld, mit dem er sich offiziell freikaufen konnte, mit dem er nach seiner Rückkehr zwei Jahre später in Rochester, New York seine eigene Zeitung startete, „The North Star“. Deren Motto: „Right is of no Sex – Truth is of no Colour“.

Denn Douglass kämpfte für Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, machte die Sache der Frauen schon früh zu seiner eigenen, so wie die Frauenrechtlerinnen seiner Zeit gegen die Sklaverei kämpften. Was nicht nur auf Begeisterung stieß, in vielen Versammlungen erhielten sie Redeverbot oder wurden mit faulen Eiern beworfen. So wie Douglass selbst.

An vorderster Front stand Susan B. Anthony, eine Freundin aus Rochester. Anthony sammelte unglaubliche 300 000 Unterschriften gegen die Sklaverei. Douglass wiederum ergriff als einziger Mann beim ersten großen Frauenkongress 1848 das Wort. Den beiden Bürgerrechtskampfgenossen ist in Rochester sogar eine Brücke gewidmet, von den Anwohnern Freddie-Sue-Bridge genannt. Dabei kam es fast zum Zerwürfnis zwischen ihnen: Als Douglass den Verfassungszusatz unterstützte, der Schwarzen das Wahlrecht garantierte, Frauen aber nicht. Sein Argument: Der Widerstand gegen das Frauenwahlrecht war noch zu groß, um die beiden miteinander zu verknüpfen.

„Er war Optimist und Realist“, meint Colum McCann. Für den Schriftsteller ist Douglass, auch mit seinem irischen Schweigen, „eine Metapher für Obama“, dessen Anhänger er, wie McCann schnell hinzufügt, immer noch ist: Dass jemand die besten Absichten haben, sie aber nicht unbedingt umsetzen kann.

Im Hause Douglass war die Rollenverteilung noch ganz traditionell. Nachdem sie ihm die Flucht ermöglicht hatte, trat Anna mit ihrem Mann weder in der Öffentlichkeit auf, noch lernte sie je lesen, in seinen Büchern erwähnt er sie kaum. Das frühere Dienstmädchen kümmerte sich um den Haushalt und die fünf Kinder – und die große Gästeschar, die Frederick anschleppte: Viele entflohene Sklaven, auch sein Bruder samt Familie. Douglass’ Kinder konnten mit den ungebildeten Verwandten vom Lande gar nichts anfangen.

Am wenigsten erfreut war Anna über die Mitstreiterinnen ihres Mannes, die er bei ihnen einquartierte, wie seine langjährige englische Freundin Julia Griffiths. Ob er mit dieser ein Verhältnis hatte, ist ungewiss. Mit Ottilie Assing aber scheint er eine ziemlich innige Beziehung gehabt zu haben. Die deutsche Jüdin und Journalistin übersetzte auch seine Bücher, unterstützte ihn Jahrzehnte lang.

Es kursierten diverse Gerüchte, manche zur Diskreditierung wohl gezielt gestreut, er sei etwa in London ins Bordell gegangen. Als Colum McCann an seinem Buch arbeitete, haute ihn einmal ein betrunkener Wissenschaftler auf einer Party an: „I hope you have him fuck a lot of white women.“ McCann schüttelt sich. „Genau das wollte ich nicht.“

Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) musste Douglass mit etlichen Enttäuschungen fertig werden, auch damit, eher unbedeutende, wenn auch lukrative politische Posten zu bekommen. Vor allem aber waren die ökonomische Not und der Rassismus mit der Abschaffung der Sklaverei nicht verschwunden, im Gegenteil: Nach einer kurzen Zeit relativer Freiheit fuhren die Richter des Supreme Courts die Rechte der Schwarzen wieder zurück, besiegelten die Apartheid, die die Südstaaten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein beherrschte, unter dem Motto „Separate but equal“.

Was Douglass tat, dafür wäre er in den 1930er Jahren in Alabama wahrscheinlich gelyncht worden. Nach dem Tod seiner Frau heiratete der frühere Sklave eine weiße Feministin, mit der er auch noch einmal nach Irland reiste, knapp 20 Jahre jünger als er, die studierte Tochter eines Abolitionisten-Freundes. Das brachte ihm viele Anfeindungen ein, so wie sein großes Haus und sein unbeirrtes Festhalten an der republikanischen Partei, die zunehmend rassistisch wurde.

Ebenso unbeirrt kämpfte Douglass, ein Verfechter gemischter Schulen, weiter. Noch am Tag seines Todes, 1885, saß der 77-Jährige auf dem Podium eines Frauenkongresses in Washington.

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