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Der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jacobs zieht Bilanz.
© Johanna Bergmann

Interview mit Jann Jakobs: „Die Mitte soll Potsdam nicht spalten“

Oberbürgermeister Jann Jakobs über das Wachstum der Stadt, sozialen Zusammenhalt und anstehende Großereignisse im neuen Jahr.

Herr Jakobs, bekommen Sie viele Hassmails und Hassbotschaften?
Es gibt sie, aber es hält sich in Grenzen.

War eine dabei, die Sie richtig wütend gemacht hat?
Das lasse ich nicht zu. Das muss man sich innerlich vom Leibe halten. Wenn man so was ernst nähme, könnte man ja nur verzweifeln. Ich habe sowieso einen eisernen Grundsatz: Ich lese nie eine Tageszeitung vor dem Frühstück, und E-Mails schon mal gar nicht.

Aber es hat zugenommen?
Klar.

Als kurz vor Weihnachten Syrer in Potsdam gegen den Krieg in ihrer Heimat demonstrierten, hat sich in den sozialen Netzwerken der Hass auch von Potsdamern regelrecht Bahn gebrochen. Wie nehmen Sie die Stimmung gegenüber Flüchtlingen in der Stadt wahr?
Ich erlebe eine gespaltene Haltung. Auf der einen Seite große Hilfsbereitschaft und Toleranz, nach wie vor. Wir leben in einer Stadt, wo der allergrößte Teil der Bevölkerung sich sehr deutlich gegen Rechts, gegen Pogida, gegen Rassisten, gegen Volksverdummer und Vereinfacher positioniert. Das zeichnet diese Stadt aus. Darauf können wir alle stolz sein. Wir konnten verhindern, dass Potsdam zum Aufmarschgelände von Pogida geworden ist. Auf der anderen Seite haben die Menschen Fragen und Sorgen. Es wäre absolut falsch, sie alle in die rechte Ecke zu stellen. Man muss im Gespräch bleiben.

Aber die Stimmung könnte sich bei den nächsten Wahlen niederschlagen?
Fest steht nur: Die Bundestagswahlen 2017 werden der Lackmustest sein. Mal sehen, wie die Regierungsparteien abschneiden.

Wenn es in Potsdam hoch her geht, auch Frust und Emotionen ausbrechen, ist meist der geplante Aufbau der Garnisonkirche der Auslöser. Warum beruhigt sich das nicht?
Um die Garnisonkirche fokussieren sich unterschiedlichste Meinungen. Und zwar vor allem zur Entwicklung der Potsdamer Mitte generell. Viele sind ja der Auffassung, hier seien Stadtplaner und Entwickler am Werk, die das Historische pur rekonstruieren wollen. Das stimmt nicht. Aber es ist uns immer noch nicht gelungen, das gut zu kommunizieren.

Aber das Historische wird nun einmal an allen Ecken in Potsdam rekonstruiert…
Und genau das ist der Irrtum. Es geht nicht darum, dass sich hier irgendwelche Investoren für die Renaissance des Barock breitmachen können. Die Pläne, die Beschlüsse sehen einen einzigen Leitbau vor, nämlich das Palais Barberini, und sieben Leitfassaden. Alle anderen Neubauten in der Potsdamer Mitte sollen sich lediglich in der Kubatur der historischen Vorbilder bewegen. Wir stellen die alten Grundstückszuschnitte nur wieder her, damit eine kleinteilige Bebauung realisiert werden kann, es mehrere Eigentümer geben wird. Wir wollen beileibe nicht nur die Rekonstruktion von historischen Gebäuden.

Als Günther Jauch jetzt eineinhalb Millionen Euro für die Garnisonkirche spendete, richtete sich der Protest weniger gegen den Wiederaufbau der Kirche. Die Tonlage war so: Jetzt bestimmen wieder die Reichen mit ihren Spenden, wie Potsdam aussehen soll. Tun sie es?
Ich bin Günther Jauch ausdrücklich dankbar dafür, dass er die Summe zur Verfügung stellt. Das animiert wieder andere. Aber man sollte beachten, dass viele andere auch und vor ihm gespendet haben. Die Auffassung, dass die Reichen sich hier verwirklichen, ist eine Minderheitsmeinung. Das ist nicht der Trend in dieser Stadt. Die Potsdamer Neuesten Nachrichten (Schwesterzeitung des Tagesspiegels, d. Red.) haben doch die Umfrage gemacht, bei der 77 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesagt haben, dass der Garnisonkirchenturm aufgebaut werden kann. Man darf nicht Einzelstimmen als allgemeine Meinung wahrnehmen.

Sie sprechen selbst von einer gewissen Sprengkraft, die die Debatte hat. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben erkannt, dass wir auch für die Kreativszene, für die jungen Leute, in der Potsdamer Mitte Anlaufpunkte schaffen müssen, damit auch sie sich mit der Innenstadt identifizieren. Wir haben erkannt, dass in der Mitte auch das Rechenzentrum durchaus seine Berechtigung hat. Ich habe selbst entschieden, es zum Künstlerhaus zu machen – auch weil wir eine Verantwortung haben für diejenigen, die in den Diskussionsprozessen zur Mitte bislang nicht beteiligt waren, weil sie es gar nicht konnten. Weil sie nämlich noch nicht geboren waren oder noch nicht in Potsdam lebten.

Ist für Sie das Rechenzentrum als Kunst- und Kreativhaus in der Stadtmitte der Schlüssel, um das Gleichgewicht in der Stadt zu halten?
Vielleicht ein Schlüssel, aber nicht der einzige. Es geht auch um die Bebauung der sogenannten Blöcke 3 und 4, die an die Stelle der Fachhochschule kommen. Dort müssen wir eine Architektur und eine Nutzungsstruktur finden, die ein möglichst breites Publikum anspricht, wo sich auch junge Leute zu Hause fühlen. Das können sie, wenn es beispielsweise Cafés und Kneipen gibt, wenn sie da wohnen können.

Wer baut die günstigen Wohnungen?
Wir haben inzwischen eine komfortable Situation. Das Land stellt wieder Fördermittel für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung, es können Wohnungen mit gedeckelten Mieten errichtet werden. Und die Wohnungsbaugesellschaften haben erklärt, dass sie es als Herausforderung betrachten, dort zu investieren. Wir können auch Studentenwohnungen bauen. Ziel ist es zu verhindern, dass über die Frage, wie sich die Mitte entwickelt, ein Spalt durch die Stadtgesellschaft geht – zwischen Jung und Alt, Reich und Arm. Wir haben dazu alle Mittel.

Die Genossenschaften, die die Sozialwohnungen bauen sollen, wollen oder können das jetzt aber gar nicht. Und nun?
Die veränderten Vergabekriterien, die bezahlbaren Wohnraum in der Mitte ermöglichen, gelten für alle potenziellen Investoren, nicht nur für die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaften. Der Wille zum sozialen Wohnungsbau in der Mitte ist da und wird sicher in der Stadtverordnetenversammlung so beschlossen. Schauen wir erstmal, wie die Angebote der Bieter aussehen.

In der Realität gibt es nördlich der Havel gar nicht viele Orte, wo man günstig wohnen kann, wo es eine Durchmischung der Bevölkerung gibt.
Aber ich bitte Sie! Klar wäre es toll, wenn in Potsdam alle für drei Euro fuffzig wohnen könnten. Aber zeigen Sie mir die Stadt, in der das noch geht. Wir leben in einer Stadt, die hochattraktiv ist, wo es eine hohe Nachfrage gibt. Dazu kommt: Die halbe Welt überlegt, wo sie ihr Geld anlegen kann, denn auf der Sparkasse, für Pfandbriefe und für Anleihen, kriegt man ja nichts mehr. Natürlich fließt das Geld da in die Sachwerte. Damit sind wir konfrontiert. Die deutschen Immobilien sind über Jahrzehnte unterbewertet gewesen. Da gibt es einen Nachholprozess.

Ein Reihenhaus in Potsdam für mindestens eine halbe Million – geht’s noch?!
So teuer, wie Sie sagen, ist es nicht überall, in Fahrland oder Golm kostet ein Reihenhaus 300 000 Euro. Aber versuchen Sie sich mal ein Reihenhaus in Wiesbaden, in Frankfurt, in München oder sonst wo zu kaufen! Das sind die Orte, mit denen wir uns vergleichen.

Vielleicht von der Lage, der Attraktivität, aber doch nicht vom Gehaltsniveau ...
Auch da widerspreche ich: Wir haben in Potsdam ein überdurchschnittliches Einkommen …

… im Vergleich der ostdeutschen Landeshauptstädte.
Aber wir nähern uns durchaus westdeutschen Kategorien an!

Gentrifizierung ist auch in Potsdam nicht zu stoppen?
Natürlich hat sie stattgefunden, findet sie statt. Wir können nicht den Status Quo festschreiben. Das wird nicht funktionieren. Wir müssen etwas entgegensetzen.

Was?
Wir müssen Flächen, die wir haben, planerisch vorbereiten, damit dort gebaut werden kann. Zügig. Vielleicht auch dichter.

Wie in Krampnitz, dem neuen Stadtteil im hohen Norden Potsdams?
Ja, es kann sein, dass das ehemalige Kasernengelände Krampnitz dichter bebaut wird. Uns hindert nichts daran, keine Angerdörfer mit Einfamilienhäusern zu errichten, sondern Geschosswohnungsbau. Das müssen wir zumindest überlegen.

Sie mussten Ihren langjährigen Traum aufgeben, das Hotel Mercure abzureißen. Wie groß ist der Schmerz?
Ach, auch das ist wieder ein Irrtum! Alle sind ja nicht müde geworden zu sagen: Der Jakobs will den Abriss!

Will er doch!
Mein Ansatz ist anders: Ja, irgendwann wird dieses überdimensionierte Hochhaus wegkommen müssen. Mir geht es darum, diese Entscheidung und die Entwicklung an dieser wichtigen Stelle nicht irgendwelchen Investoren zu überlassen. An diesem sensiblen Ort zwischen Lustgarten und Landtag muss Potsdam einen Fuß in der Tür haben. Und dafür brauchte ich veränderte Sanierungsziele. Und die habe ich, auch wenn sie unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen. Mehr wollte ich nicht.

Gibt es Signale des Mercure-Besitzers aus Frankreich?
Nein, und ich führe dazu auch erst einmal keine weiteren Gespräche.

Was wird Potsdam 2017 prägen?
Natürlich die Eröffnung des Museums Barberini. Es wird ein Großereignis, ein ganz besonderer Publikumsmagnet. Die Champions League. Ich freue mich schon darauf. Was ich mir wünsche, ist, dass die Leute sagen: Da fahren wir mal für ein Wochenende nach Potsdam, schauen uns diese Ausstellung an! Dass das Museum nationale, wenn nicht gar internationale Strahlkraft bekommt.

Was ist Ihr ausschlaggebendes Gefühl, wenn Sie im Barberini sind?
Ich finde, dass die Räume schon von sich aus wirken. Allein dieses Licht. Alles wirkt edel und ausgewogen, aber ohne die Kunst in den Hintergrund treten zu lassen. Das ist sensationell.

Der Höhepunkt für 2017 kommt gleich am Anfang, Ende Januar. Und dann?
Es geht ja weiter, mit der Eröffnung des neuen Schwimmbads im Mai. Zum Lutherjahr haben wir außerdem ein schönes Programm. Da werden sich auch Menschen angesprochen fühlen können, die mit Kirche nichts am Hut haben, also die Mehrheit in Potsdam. Wir werden uns in diesem Rahmen auch mit dem Islam auseinandersetzen. Zudem feiern wir fünfzehn Jahre „Potsdam bekennt Farbe“. Mit dem Bündnis ist ein wertvolles Netzwerk entstanden. Wir werden 2017 in Golm den Grundstein für das neue Gründerzentrum Go:In II legen.

Haben Sie entschieden, ob Sie bei der nächsten Oberbürgermeisterwahl noch einmal antreten?
Es wird das Jahr der Vorbereitungen. Fragen Sie mich das im Sommer noch mal! Meine Amtszeit endet erst im November 2018. Irgendwann 2017 muss eine Entscheidung getroffen werden, aber nicht jetzt.

Haben Sie sich für sich ganz persönlich schon entschieden?
Nö, ist nach wie vor offen.

Das Interview führten Sabine Schicketanz und Peer Straube.

Den Ausführlicheren Text finden Sie hier.

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