Missstände an Berliner Schulen: Die „Maulkorbdebatte“ zieht weitere Kreise
Das höchste Berliner Schulgremium distanziert sich vom "Meinungsbeitrag" der Bildungssenatorin. Und die CDU entdeckt auch auf Bezirksebene ein Übermaß an Kontrollbedürfnis.
Eigentlich war es nicht viel, was die CDU-Bildungsexpertin Hildegard Bentele vom Schulamt Tempelhof-Schöneberg wollte: Nur eine E-Mail-Adresse, weil sie zwecks Gesprächstermin in Kontakt mit der Koordinatorin des Bildungsverbunds Nahariya-Kiez treten wollte, der in ihrem Wahlkreis liegt. Doch die schlichte Bitte wurde zum Problem.
„Wir möchten Sie bitten, Ihr Gesprächsersuchen an den für den Geschäftsbereich Jugend, Umwelt, Gesundheit, Schule und Sport zuständigen Bezirksstadtrat, Herrn Schworck, zu richten“, hieß es in der Antwort an Bentele.
Kein Gespräch unter vier Augen
Auch der nächste Anlauf war nicht von Erfolg gekrönt: „Vielen Dank für Ihre Mail“, lautete die Reaktion der Mitarbeiterin Oliver Schworcks (SPD). „Nach Rücksprache mit Herrn Schworck teile ich Ihnen mit, dass wir Ihnen gern in einem Gespräch für Informationen zur Verfügung stehen. Jedoch bittet Herr Schworck um Verständnis, dass es erforderlich ist, dieses Gespräch gemeinsam mit dem Schulamt zu führen.“
"Maulkorb auf Bezirksebene"
Bentele sieht in dieser Reaktion einen „Maulkorb auf Bezirksebene“: Warum kann ich mich nicht mit der Koordinatorin über die Arbeit des Verbunds unterhalten?“, fragt Bentele. Immerhin sei es doch gerade der Sinn eines Bildungsverbunds, Netzwerke zu schaffen. Sie erinnerte daran, dass das Abgeordnetenhaus zusätzliche Gelder für die Bildungsverbünde bereit gestellt habe, damit Schulen, Jugendclubs und Kitas in schwierigen Kiezen besser zusammenarbeiten können. Da sei es doch naheliegend, dass sie sich informieren wolle.
Schworck selbst versteht die Aufregung nicht. „Ist das ein Grundrecht, dass eine Abgeordnete mit jedem im Bezirksamt sprechen kann?!“ fragte der hörbar verärgerte Stadtrat am Mittwoch. Bentele wolle wohl „Richter spielen“.
Der Bildungsverbund wurde 2016 ins Leben gerufen. Im Oktober 2017 fand die erste Aktion statt - und die von Bentele gesuchte Koordinatorin ist Christa Niclasen, die frühere langjährige Leiterin der Löcknitz-Grundschule.
Die Eltern stehen "eng an der Seite" kritischer Schulleiter
In Sachen Transparenz und „Maulkörbe“ verstehen die Abgeordneten keinen Spaß – und auch der Landesschulbeirat nicht. Das höchste Gremium von Eltern, Lehrern und Schülern ging am Mittwoch auf Distanz zu einem Appell von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) an Berlins Schulleiter, ihre Schulen lieber nicht zur „Schrottimmobilie“ zu erklären und Presseanfragen an die Verwaltung zu melden.
"Demokratie lebt von Meinungsfreiheit"
Der Landesschulbeirat bekräftigte eine Stellungnahme des Landeselternausschusses, worin dieser betont hatte, dass er „eng an der Seite aller Schulleitungen steht, die ungeachtet möglicher Konsequenzen öffentlich über die Zustände an ihren Schulen sprechen“. Leiter, die sich für ihre Schule auch öffentlich einsetzten, seien „echte Führungskräfte“. Es sei wichtig, auch die Debatte um den maroden Zustand vieler Schulen „über die Medien zu führen“.
Weiter heißt es in dem Beschluss: "Dieser Haltung gebührt unser aller Wertschätzung! Demokratie lebt von Meinungsfreiheit, Offenheit und Transparenz".
CDU nennt Scheeres eine "Fehlbesetzung"
Am Mittwoch meldeten sich auch die CDU-Spitze zu Wort. "Eine Senatorin, die versucht, mit maßregelnden Briefen Schulleitern einen Maulkorb zu verpassen, ist eine Fehlbesetzung", hieß es in einer Stellungnahme von Landeschefin Monika Grütters und dem Spandauer Bundestagsabgeordneten Kai Wegner. Sie kritisierten auch, dass Scheeres erst am 18. Dezember die Carlo-Schmid-Schule besuchen will, die sich seit den Herbstferien im Ausnahmezustand befindet: Bis dahin wird das Foyer, dessen Decke eingestürzt war, wieder hergerichtet sein.
Wie berichtet, hatte ein Teil des Kollegiums gegen die Arbeitsbedingungen an der Schule protestiert: Lärm, Schmutz, Kälte und ein zeitweiliger Baustopp setzen Lehrern und Schülern zu. Die Angst vor der Freisetzung Künstlicher Mineralfasern durch einen Wasserrohrbruch, der dem Deckeneinsturz vorausgegangen war, tat ein übriges.
Entwarnung in Spandau wird bekräftigt
Allerdings hatten zwei Messungen nach Ende der Herbstferien keinerlei Belastung ergeben. Darum war auch niemand besonders überrascht, als eine "Arbeitsstättenbegehung" im Auftrag der Bildungsverwaltung am Mittwoch ergab, dass "aus Sicht des Arbeitsschutzes und des Betriebsarztes zur jetzigen Zeit keine Gefährdung der Lehrkräfte durch den Deckeneinbruch in Bezug auf die KMF oder anderer Mineralfasern in der Luft besteht", wie die Behörde mitteilte.
Was die Lehrkräfte inzwischen mehr umtreibt, ist die Tatsache, dass sich die - infolge des Sanierungsstaus notwendigen - Bauarbeiten wegen zunächst mangelnder Mittel und dem Ausstieg einer Baufirma seit Jahren hinziehen und noch lange nicht beendet sein werden.