Rückkauf von Wohnungen in Berlin: Die Koalition betreibt Klientelpolitik auf dem Rücken der Mehrheit
Müller setzt auf die Rekommunalisierung von Wohnungsbeständen. Doch so lassen sich allenfalls Luftschlösser, aber keine Wohnungen bauen. Ein Gastbeitrag.
Jetzt stimmt also auch die SPD in den fröhlichen Reigen der ganz roten und zunehmend auch grünen Klientelpolitiker ein. Nicht anderes bedeuten die Pläne, die der Regierende Bürgermeister am Freitag vorgestellt hat. Mit gigantischem Aufwand sollen die ehemaligen GSW-Bestände der Deutsche Wohnen durch das Land Berlin zurückgekauft werden – von Milliardenbeträgen ist die Rede. Das sind Summen, die die Vorstellungskraft der meisten Berlinerinnen und Berliner weit übersteigen. Vielleicht hilft folgender Knoten im Taschentuch bei der Einordnung: Dieses Land ist weiterhin mit fast 60 Milliarden Euro verschuldet!
Kommt es da auf – konservativ gerechnet – zusätzliche acht bis zehn Milliarden schon nicht mehr an? Doch, das tut es sehr wohl. Wer mit solchen Summen zockt, entpuppt sich mit Blick auf die Zukunft unserer Stadt als politischer Hasardeur und hängt den nachfolgenden Generationen in unserer Stadt den nächsten Klotz ans Bein. Wir reden hier von Steuergeldern, die kurzatmig versenkt werden sollen. Irgendwann werden wir alle die Zeche zahlen müssen. Wir wissen nicht, ob die politisch Verantwortlichen dann noch in Amt und Würde sein werden. Was wir aber ganz sicher wissen, ist, wer geschröpft wird: Es sind diejenigen, die Berlins Erfolge – in denen sich bekanntlich auch der Senat gerne sonnt – erwirtschaften. Ich meine die arbeitende und fleißig steuerzahlende Bevölkerung.
Unter diesen Problemen leiden nicht nur Mieter der Deutsche Wohnen
Ja, Wohnraum ist knapp in Berlin. Und ja, die Mieten steigen. Aber ebenso gilt: Unter diesem Problem leiden nicht nur die Mieter der Deutsche Wohnen. Die Zahl der Mieter, die von den Rekommunalisierungsplänen des Senats betroffen wären, dürfte – auch bei großzügiger Auslegung – im einstelligen Prozentbereich liegen. Wer kümmert sich um die verbliebenen über 90 Prozent plus X? Wer macht sich für die Berliner Familien stark, die sich wegen Nachwuchs vergrößern wollen, aber keine bezahlbaren Wohnungen finden? Was ist mit den Studierenden, die nach Berlin kommen, aber auf der Suche nach einem WG-Zimmer erstmal Seminare im Schlangestehen zwangsbelegen müssen?
Und wer setzt sich eigentlich für die fast vier Millionen Berliner ein, die nicht zufälligerweise in einer zu verstaatlichen Wohnung leben, aber starkes Interesse haben an besseren Schulen für ihre Kinder, einer zukunftsfähigen Infrastruktur, an einer leistungsfähigen Gesundheitsversorgung und an einer Verwaltung, die diesen Namen verdient?
Ein Schlag ins Gesicht
Wer Unsummen in den Rückkauf von Bestandsimmobilien steckt, mag bei einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Mietern Punkte sammeln. Für weite Kreise der Berliner Bevölkerung wäre eine solche Maßnahme aber ein Schlag ins Gesicht. Das gilt für alle heutigen und künftigen Steuerzahler, das gilt für alle, die Interesse an einer funktionierenden Stadt haben, das gilt aber auch und vor allem für alle Mieter und Wohnungssuchenden, die unter den hohen Mieten ächzen – und deren vier Wände nicht zufälligerweise ins Beuteschema des Senats passen.
Durch einen Rückkauf entsteht keine einzige neue Wohnung. Schlimmer noch, die Milliardenbeträge stehen dem dringen benötigen Neubau von Wohnraum nicht mehr zur Verfügung. Man kann den Euro nur einmal ausgeben. Vielleicht sollte auch der Senat Adam Riese zu Rate ziehen und grob überschlagen, wie viele neue Wohnungen – gerne dann auch in kommunalem Besitz – man mit dem angenommen Kaufpreis bauen könnte. Schätzungen belaufen sich auf 70.000 bis 80.000 neuer Wohnungen. Das würde Druck vom heiß gelaufenen Berliner Wohnungsmarkt nehmen – und wäre eine Maßnahme, von der zumindest eine Mehrheit der Berliner Mieter und Wohnungsuchenden profitieren würde.
Keine Lobby für die Zukunft
Aber statt zu bauen – oder bauen zu lassen – erfindet der Senat immer neue Hindernisse. Die Rückkaufpläne bilden ja nur den vorläufigen Höhepunkt einer Reihe von Entscheidungen, die dem Neubau von Wohnraum behindern. Wer ein Dachgeschoss ausbauen will, braucht Nerven wie Drahtseile und einen Doktor in Verwaltungswissenschaften, Brachen im Stadtgebiet sind für den Biolandbau oder fürs Kite-Surfen reserviert, bei Bestandsimmobilien findet der Denkmalschutz DDR-Plattenbauten so schützenswert wie Backsteingotik und die Interessen der Laubenpieper sind sowieso sakrosankt.
Nur: Ohne Grundstücke lassen sich allenfalls Luftschlösser, aber keine Wohnungen bauen. Und preiswerte schon gar nicht, weil der Staat mit teilweise völlig überdehnten Bauvorschriften die Kosten in die Höhe treibt und im Übrigen in Berlin die höchsten Grunderwerbssteuern in der Republik erhebt.
Mit ihren Rückkaufsplänen betreibt die rot-rot-grüne Koalition Klientelpolitik auf dem Rücken der Mehrheit der Berliner Bürger. Und es gehört ein beeindruckendes Maß an Chuzpe dazu, diese auf Minderheiten abstellenden Pläne auch noch mit dem Wohl der Allgemeinheit zu begründen. Heute scheint alles und jeder in Berlin eine Lobby zu haben. Nur die Zukunft nicht.
Markus Voigt ist Geschäftsführer der Voigt Ingenieure GmbH und Präsident des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller.
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Markus Voigt