Berlin-Lichtenberg: Die Hausbootbesitzer von der Rummelsburger Bucht
Der Rummelsburger See ist mit Gift belastet, der Seeboden kontaminiert – und für manche auch Wohnort. Hausbootbesitzer hoffen, dass sie bleiben können. Ein Besuch.
Behänd bewegt sich Jan Ebel von seinem Motorboot zu seinem Hausboot. Es ist für ihn wie für andere der tägliche Umstieg von einer U-Bahn in die nächste. Seit sechs Jahren lebt er mitten in der Rummelsburger Bucht, derzeit mit seiner schwangeren Freundin. Es gibt ein Schlafzimmer, Wohnzimmer mit großer Fensterfront, Küche, Dusche, WC, Solarstrom, eine Gitarre und eine Terrasse. Die Meldungen über den Zustand des Sees – giftige Schwermetalle, die den dauerhaften Aufenthalt im und auf dem Wasser gesundheitsgefährdend machen, sagt das Wasser- und Schifffahrtsamt – stimmen ihn traurig und wütend. „Leute fragen mich, ob ich nicht wegziehen wolle.“
Tagsüber arbeitet der Bootsbesitzer als Sozialpädagoge in einem Kindergarten. „Viele halten uns Seebewohner für asozial“, sagt er und hievt Wasserkanister vom Motorboot ins Hausboot. „Es gibt Leute, die wollen uns hier weghaben.“ An den Ufern des Sees wird kräftig gebaut, schicke neue Wohnungen. „Vielleicht sind manche auch neidisch“, meint Jan – obwohl der Kontakt zu den meisten Landbewohnern wohlgesonnen sei.
Auf dem Dach seiner schwimmenden Wohnung kann man in der Sonne liegen und Bier trinken. Eine Ente brütet in einem Pflanzenkübel. Keine 50 Meter entfernt testet das Umweltamt gerade, wie man die kontaminierten Sedimente aus dem Boden des Sees herausbekommen kann. Ein Absperrband schwimmt um einen gelben Kran. Mehr als 100 Jahre lang sind industrielle Giftstoffe in die Bucht geflossen. „Ich bin mir der Lage vollkommen bewusst“, sagt Jan Ebel.
Doch erst, wenn eine Studie einwandfrei belegen würde, dass das Wohnen hier für seine Familie gesundheitsschädlich sei, würde er weggehen.“ Solange vertraue er auf das, was er jeden Tag sehe: ein intaktes und facettenreiches Ökosystem. Das gebe ihm Vertrauen in die Wasserqualität. Klar springt er ab und zu mal rein ins Nass. Zum Beispiel, wenn etwas am Boot repariert werden muss. Es sei wie im Freibad, erklärt Ebel: Das Wasser nicht trinken und nach dem Baden duschen gehen.
Den Fisch aus dem See isst Jan nicht mehr
Neben dem gelben Kran hängt ein Schreiben des Umweltamtes: „Bei den Schadstoffen handelt es sich in der Hauptsache um Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW), Geruch nach altem Öl, sowie Phenole, Geruch nach Mottenkugeln“, steht dort. Und eine Erklärung, was hier noch alles geschieht: „Mit einem Messprogramm soll untersucht werden, wie sich die Sedimententnahme auf den Wasserkörper und die Luft auswirkt und ob sich die Situation bezüglich der Kontamination signifikant verbessert.“
Miete zahlt Jan für sein Hausboot nicht, offiziell gemeldet ist er im Garten seiner Mutter. Es ist auch kein „Hausboot“, sondern zählt als Sportboot. Jan hat eine Tätowierung am Bein, an der man ablesen könnte, wie viele Zentimeter er im Wasser steht. Ausgiebig baden geht er im Rummelsburger See jedoch nicht. „Weil es ein Risiko geben könnte.“ Auch den Fisch aus dem See isst er nicht mehr. Und das, obwohl das Fischereiamt Berlin sagt, der Fisch sei genießbar. Jan will auf Nummer sicher gehen. Nur wegziehen, das will er eben nicht. „Es ist ein Spagat, zu entscheiden, was gut ist und was nicht.“
Der Bezirk Lichtenberg diskutiert derzeit darüber, Warnschilder an dem See aufzustellen. Lokalpolitiker hatten zuletzt angegeben, ihren Kindern das Baden im See zu untersagen. Auch der Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, Michael Grunst (Linke), isst den Fisch aus dem See nicht, er fordert eine Sanierung durch die Stadt.
Etwa zehn Menschen wohnen dauerhaft auf dem Rummelsburger See
Für Jan ist es schon die zweite Wohnung auf See. Ein erstes Boot hat er selbst gebaut, das jetzige gebraucht gekauft und hergefahren. Um Trinkwasser zu holen, muss er mit seinem Motorboot in den kleinen Hafen kurz vor dem Heizkraftwerk Klingenberg fahren. Hier kann jeder Seebewohner zapfen, 100 Liter kosten einen Euro. Auf dem Weg über den See grüßt man sich und redet kurz. Etwa zehn Personen wohnen permanent auf dem Rummelsburger See, schätzt er. Ihr Unterstützerkreis – andere Anlieger und Freunde – besteht aus etwa 80 Personen.
Der "Kiezbeirat Rummelsburg" verwehrt sich gegen Meldungen, das Leben auf oder am Wasser sei gesundheitsschädlich. Dafür gebe es keine Beweise. Eine Studie der Freien Universität Berlin aus dem Jahre 2015 zeige lediglich, dass der Boden des Sees verseucht sei. Nicht jedoch der See selbst. „Die Konzentrationen sind bedenklich hoch, z.T. mehr als das sechsfache des Wertes, bei dem von toxischen Wirkungen ausgegangen werden kann“, zitiert der Kiezbeirat aus der Studie.
Man halte es für geboten, vor dem Schwimmen im See zu warnen, da „die giftigen Stoffe im Sommer in hohem Maße aufgewirbelt werden“. Das Baden sei durch die Gewässerverordnung ohnehin verboten. „Die Hoffnung, dass durch natürliche Sedimentation (Blätter, Staub usw.) die giftigen Ablagerungen abgedeckt würden, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr wurde eine hohe Mobilisierung der Sedimente festgestellt“, heißt es in dem Schreiben weiter.
Wer räumt auf?
Im März sind sechs Boote am Ufer der Rummelsburger Bucht abgebrannt, einige Überreste liegen immer noch dort. Das Landeskriminalamt geht laut Senatsumweltverwaltung nicht von vorsätzlichen Brandstiftungen aus, es hat seine Ermittlungen aber noch nicht abgeschlossen. Auch sei nicht bekannt, wem die Boote gehörten und wer demnach für die Entsorgung zuständig wäre.
Die Buchtbewohner wissen es offenbar besser: Da die Besitzer teilweise mittellos seien, habe sich ein Kreis von Unterstützern entschlossen, bei der Beseitigung der Wracks zu helfen, sagt Jan Ebel. Doch so lange noch ermittelt wird, dürfen sie eigentlich nicht anfangen. Das haben sie aber längst: Einiges wurde schon weggeschafft. Doch die Entsorgung ist teuer als vermutet. Es hat sich auch jemand gemeldet, der zwei der Wracks für sich selbst zusammenschweißen möchte.
Wie teuer wird eine Sanierung?
Eine Sanierung der Bucht würden wohl alle Seebewohner begrüßen. Die Verantwortung für die Umwelt und die Sanierung liegt beim Senat. Ein vollständiges Ausbaggern der giftigen Sedimente würde allein für die Deponierung einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag erfordern, schätzt der Kiezbeirat Rummelsburg. Das Umweltamt Berlin war dem Tagesspiegel gegenüber nicht bereit, die Kosten einzuschätzen oder die Ausgaben für die bisherigen Maßnahmen zu nennen.
Derweil hofft Jan Ebel, dass er in der Bucht bleiben kann. Er habe sich an das Leben auf dem Wasser gewöhnt, andere Liegeplätze seien zu weit weg von seiner Arbeitsstelle. „Wo also soll die Reise für mich sonst hingehen?“