Nach Razzia in Cottbus: „Die härtesten Schläger“
Nach Neonazi-Razzia werten Ermittler Beweise aus und finden Verbindungen zu den Identitären. Das wirft Fragen auf.
Hakenkreuz-Deko, Waffen, NS-Propaganda: Das haben die Ermittler am Mittwoch bei den Razzien gegen Neonazi-Hooligans aus dem Umfeld von Energie Cottbus gefunden. Die Ermittler beschlagnahmten bei den gewalttätigen Rechtsextremisten aber auch Propaganda-Material der Identitären Bewegung.
Schon länger stand die Frage im Raum, inwieweit die Identitären in Cottbus mit den Nazi-Hooligans gemeinsame Sache machen. Am Donnerstag stellte der Staatsschutz-Chef des Landeskriminalamtes, Olaf Berlin, klar: Anhand der sichergestellten Gegenstände „sieht man die Schnittmenge zur Identitären Bewegung, die aus der Szene heraus mitgetragen wurde.“
Das Problem in Cottbus reicht also weit über eine kriminelle Vereinigung aus Hooligans, Sicherheitsgewerbe und Kampfsportszene hinaus – zu den europaweit aufgestellten Identitären.
Der wahre Schatz für die Ermittler ist ein anderer: Handys. Schon vor der Razzia hatten die Ermittler bei anderen Straftaten sechs Handys von Beteiligten eingezogen. Das erste sichergestellte Gerät, das eine Bedrohung gegen Journalisten enthielt, hatte das gesamte Ermittlungsverfahren ausgelöst. „Dessen Auswertung hat es uns ermöglicht, den Anfangsverdacht der kriminellen Vereinigung zu bejahen“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher aus Cottbus.
Konkret hatten 25 Neonazis in einer Messenger-App eine Gruppe mit dem Namen „Schnelle Eingreiftruppe“ gebildet. Die wollte in Notfällen schnell zusammenkommen, sagte Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke. Sie wollten „bei Stress mit Kanaken abrechnen und Zecken schlagen“, zitierte Mörke. Allein auf den vor der Razzia beschlagnahmten Handys fanden die Ermittler 500.000 Chatnachrichten, 45.000 Fotos und fast 10.000 Videos.
Kein Mitglied des Neonazi-Netzwerks sitzt in Untersuchungshaft
Jetzt müssen sie mehr als 30 Handys auswerten. Wegen der Datenmenge sitzt kein Mitglied des Neonazi-Netzwerks in Untersuchungshaft – auch wenn nach der Razzia gegen 16 der 20 Beschuldigten dringender Tatverdacht besteht. Die Auswertung würde länger brauchen, als eine Untersuchungshaft zulässig wäre.
Bislang rechnen die Ermittler der kriminellen Vereinigung neun Straftaten zu, sagte Mörke. Es geht um Körperverletzungen, Verstöße gegen das Waffengesetz, Sachbeschädigungen, Bedrohungen und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Staatsanwalt Brocher sagte: „Wir haben viele Beweismittel gefunden – auch für neue Straftaten.“
Das braune Netzwerk habe die Hells Angels aus ihrer Position verdrängt
Bei 39 Fällen prüfen die Behörden, ob Personen aus dem Netzwerk dabei waren. Darunter sind nach Tagesspiegel-Informationen der Fackelmarsch von hundert Rechtsextremen durch die Innenstadt im Januar 2017 sowie eine Aktion bei der Aufstiegsfeier von Energie Cottbus. Im August 2018 hatten sich Fans mit Ku-Klux-Klan-Masken verkleidet und ein Banner mit der Aufschrift „Aufstieg des Böses“ – eine Anspielung auf eine Hitler-Filmbiografie – getragen.
Dass das braune Netzwerk die Grenzen zur organisierten Kriminalität längst überschritten hat, steht für die Ermittler außer Frage. Die Szene habe sich in erster Linie vernetzt, „weil sie die Hells Angels in Cottbus aus ihrer Position verdrängt haben“, sagte Brocher. „Es geht darum, wer hat die größte Power, wer kann die meisten Leute mobilisieren, wer hat die härtesten Schläger.“ In Cottbus hätten die Hells Angels nicht mehr das Sagen.
Cottbus sei Hotspot der rechtsextremistischen Szene Brandenburgs
Für den Verfassungsschutz ist der Mix aus Kampfsportlern, Sicherheitsfirmen, Neonazis, der Hooligan-Gruppe „Inferno“ und Rockern in Cottbus Hotspot der rechtsextremistischen Szene im Land, ein „toxisches Gebilde“. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sieht die Stadt in der Pflicht. Er kritisierte, Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) müsse sich klar werden, dass es in keiner anderen Stadt Brandenburgs ein so verfestigtes und vernetztes Milieu gebe. Kelch müsse sich „Gedanken machen, wie man dafür sorgt, dass dieses Milieu keinen Zuwachs bekommt.“
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) wies auf gemeinsame Demonstrationen des Rechtsaußen-Vereins „Zukunft Heimat“ mit AfD, Identitären und Neonazi-Hooligans hin. Cottbus sei für die Rechtsextremisten zu einem Spielfeld geworden, „in dem sie austesten, wie weit sie gehen können“.