Globale Rechte formiert sich: Die Eiskälte der völkischen Ideologie
Der Anschlag von Christchurch offenbart, dass sich die rassistische Ideologie global erneuert hat. Sie gedeiht in rechten Subkulturen. Ein Gastbeitrag.
Der Politologe Matthias Quent ist Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.
Opfer und Tatort des Anschlags waren nicht willkürlich gewählt. Die 50 Toten in Christchurch waren Muslima und Muslime in zwei Moscheen. Ihre Auswahl die konsequente Umsetzung einer rassistischen Ideologie des Täters. In seinem Bekennerschreiben begründete er die Morde mit völkischen Niedergangsthesen und Begriffen, die auch in Deutschland leidlich bekannt und verbreitet sind.
Doch es war nicht nur, wie Annegret Kramp-Karrenbauer twitterte, ein Akt von „Hass, Gewalt und Terror“ oder eine beliebige Form von „Extremismus“. Solche Verallgemeinerungen sind töricht und respektlos gegenüber den Opfern, die für einen Rassisten eben nicht austauschbar sind.
Logik der Entmenschlichung
Die Ideologie des Rassismus funktioniert noch immer nach der alten Logik der Entmenschlichung: Die radikale Rechte besetzt Begriffe wie Identität, Kultur, Religion und Ethnie als kämpferische Kategorien, die in ihren Augen über Daseinsberechtigung und die gesellschaftliche Rangordnung bestimmen. Sie erklärt Einwanderer kurzerhand zu „Invasoren“, Migrationsbewegungen und demografische Entwicklungen werden als „großer Austausch“, als „Umvolkung“, „Volkstod“ oder „Genozid an den Weißen“ etikettiert. So steht es im Pamphlet des neurechten Massenmörders von Christchurch, so steht es in den Büchern der Neuen Rechten, so hört man es im hippen Onlinesprech der „Identitären“, der amerikanischen Alt-Right-Bewegung. Und so klingt es auch in der AfD.
Neu ist dabei nicht die Ideologie, sondern ihre Öffentlichkeit. Kein Rechtsterrorist radikalisiert sich allein: Das geschieht in rechten Subkulturen – und heute vor allem im Internet. Gemeinsam ist diesen Umfeldern, dass sie Diskurse, Konflikte und Vorurteile zuspitzen, die der Mitte der Gesellschaft entspringen. Doch Worten folgen Taten.
NSU-Terrorist Uwe Mundlos beklagte, dass die „weiße Bevölkerung“ durch „Multikultur und Mischehen“ abnehme. Zum „Erhalt der deutschen Nation“ tötete der NSU neun integrierte Menschen aus Einwandererfamilien und eine Polizistin.
Um die angebliche Islamisierung zu stoppen, ermordete der norwegische Rechtsterrorist Breivik 77 Menschen – vor allem jugendliche Sozialdemokraten. Am fünften Jahrestag der Anschläge in Norwegen erschoss ein rassistischer Attentäter in München gezielt neun Menschen, die ethnischen Minderheiten angehörten. Der Täter bewunderte Breivik und die AfD und behauptete, Einwanderer und Flüchtlinge würden die Zukunft des Landes zerstören.
Der Rechtsterrorist aus Christchurch bewunderte ebenso Breivik und erklärte, nationalistische und populistische Bewegungen unterstützen zu wollen. „Es sind die Geburtsraten“, schrieb er mehrfach, um zur massenhaften Tötung von Muslimen aufzuwiegeln, die angeblich die „weiße Rasse“ ersetzen würden.
Gerede ist mehr als populistisches Gewäsch
Die Behauptung des „Volkstods“ und „Genozids an den Weißen“ gehört schon sehr lange zum ideologischen Fundament der radikalen Rechten in aller Welt. Gerede vom „Bevölkerungsaustausch“ oder „Umvolkung“ ist nicht bloß eine Verschwörungstheorie oder populistisches Gewäsch von wenigen rechten Wirrköpfen. Es ist der Kern der globalen Erneuerung der rassistischen Ideologie.
Hierzulande hat der ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin die Tore zum Gomorra völkischer Demografie wieder geöffnet, die eine Klassifizierung der Bevölkerungssubstanz nach „Quantität“ und „Qualität“ vornimmt und dabei stets von apokalyptischen Zukunftsszenarien ausgeht. Auch AfD-Mann Björn Höcke steht mit seinen rassistischen Tiraden über den „afrikanischen Ausbreitungstyp“ in der Tradition der nationalsozialistischen Rassenlehre.
Der Bevölkerungswissenschaftler und Nazi Friedrich Burgdörfer warnte in den 1930er-Jahren vor dem „Volkstod“ durch „Unterbevölkerung“ der weißen Bevölkerung und der angeblich höheren Fertilität der als minderwertig bezeichneten schwarzen Bevölkerung. Mit Geburtsraten haben die Nazis den Zweiten Weltkrieg, die Shoa und das Euthanasie-Programm gerechtfertigt. Individualismus, Liberalismus und Materialismus, hervorgerufen durch die „destruktiven geistig-seelischen Einflüsse“ der Juden, seien, so Burgdörfer, Schuld am drohenden „Rassenselbstmord“ der Weißen. Hier schließt der Christchurch-Attentäter an: Er verdammt die Demokratie, dankt Gott für den „Tod des Konservatismus“ und macht „Kulturmarxisten“, Egalität, Individualismus und Globalisierung für den vermeintlichen gesellschaftlichen Niedergang verantwortlich.
Eiskalte Logik
Dass unter den in Neuseeland ermordeten Muslimen auch Kinder sind, ist kein Zufall. Denn der Täter hat sich mit diesem Szenario beschäftigt – nicht wie ein Wahnsinniger, sondern in eiskalter Logik: Kinder, die in seinen Augen keine europäische Identität besitzen, sind qua Geburt schuldig. Weil sie erwachsen werden, eigene Kinder bekommen und somit mehr „Invasoren“ schaffen, die das „Volk“ ersetzen. Darum ist das Töten von Kindern nichts anderes als das Töten zukünftiger Feinde. Deswegen ermordete Breivik Jugendliche. Deswegen ermordeten Nationalsozialisten Kinder und Babys.
Die Möglichkeit extremer Gewaltanwendung – vor oder nach einer Machtergreifung – ist in jeder ethnozentristischen Ideologie angelegt. Hannah Arendt hat das ideologische Denken als prinzipiell von Erfahrungen und der Realität unbelehrbar beschrieben. Hitler sprach positiv von der „Eiskälte“ menschlicher Logik, was in den Worten Arendts bedeutet: „Macht man damit ernst, daß es im Leben der Völker ebenso wie im Leben der Natur ’Parasiten’ gibt, so folgt daraus, daß man mit ihnen so umspringen darf wie mit Wanzen und Läusen, die man bekanntlich mit Giftgas ausrottet.“
Christchurch hat gezeigt, was es bedeutet, wenn jemand ernst macht mit der rassistischen Paranoia, dass der „Volkstod“ (Höcke), die „Umvolkung“ (Pirinçci), durch einen „großen Austausch“, einen „Geburten-Dschihad“ (Gottfried Curio) oder eine „feindliche Übernahme“ (Sarrazin) durch die „Invasoren“ (Gauland) drohe.
Bildsprache der Unmenschlichkeit
Die neue radikale Rechte provoziert mit der Bildsprache der Unmenschlichkeit. Damit versucht sie unterschwellig, die Bereitschaft für jene Gewalt zu schaffen, die eines Tages zur Durchsetzung ihrer Ziele notwendig wird. Die Empörung soll der Routine weichen, die Menschen abstumpfen und an grausame Bilder gewöhnen – auch an tote Kinder.
Sicher, nur eine Minderheit derjenigen, die der völkischen Untergangsparanoia verfallen sind, wird zu Vollstreckern physischer Gewalt. Die Herren und Damen, die die Stichworte und den Handlungsdruck erzeugen, verfügen schließlich über Möglichkeiten, mit demokratischen Mitteln für ihre undemokratischen Ziele zu kämpfen. Ob von Zellen, einzelnen Terroristen oder, wie der Politikwissenschaftler Steffen Kailitz zu den Plänen der NPD schrieb, als „rassistisch motivierte Staatsverbrechen“: Die angestrebte Segregation von Menschen wegen ihrer Abstammung, Herkunft, Kultur oder Religion ist in letzter Konsequenz ohne ungeheuerliche Gewalt nicht denkbar.
Matthias Quent
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