Handchirurgie: „Die Hand definiert den Menschen“
Viel mehr als ein Greiforgan: Chirurg Martin Lautenbach vom Krankenhaus Waldfriede erklärt, was unser Hand so einzigartig macht – und wie Erkrankungen behandelt werden können.
Hände sind in der Natur nicht nur dem Menschen vorbehalten. Auch Maulwürfe und Affen haben sie. Was macht die menschliche Hand so einzigartig?
Zum einen natürlich die Anatomie. Alleinstellungsmerkmal der Primaten, zu denen der Mensch gehört, ist die Oppositionsstellung des Daumens, also dass der Daumen sich entgegengesetzt zu den übrigen Fingern beugen lässt. Dadurch können wir wie mit einer Zange zugreifen. Doch die menschliche Hand ist viel mehr als nur ein nützliches Werkzeug. Die Hand lässt uns gestenreich mit anderen Menschen kommunizieren und über viele Millionen Nerven die Welt ertasten, heiß und kalt erspüren, Konsistenzen fühlen.
Seit es Menschen gibt, gibt es die Hand?
Ja, sie ist Teil der Definition des Menschen. Bereits wenn ein Embryo im Mutterbauch erst einen Zentimeter groß ist, beginnen sich die Hände zu entwickeln – noch vor dem Gehirn. Bei zwei Zentimetern sind bereits alle Strukturen der Hand ausgebildet. Die Hand ist ein äußerst komplexes Organ, dessen Nerven und Sehnen mit dem restlichen Körper verknüpft werden müssen. Deshalb beginnt ihre Entwicklung so früh.
Warum haben wir genau fünf Finger?
Es könnten auch vier oder sechs sein. Sicher ist, dass wir mindestens drei Finger benötigen, um einen Gegenstand sicher zu halten. Nur mit Daumen und Zeigefinger könnte man einen Bleistift nicht sicher halten, deshalb brauchen wir mindestens noch einen dritten Finger, der den Gegenstand stabilisiert. Weitere Finger sind nützlich, um kräftig anpacken zu können. Aber warum es gerade fünf sind, kann die Wissenschaft nicht erklären.
Die Hand ist also Werkzeug und Fühler in einem – ist sie deshalb auch so verletzlich?
Genau, denn die Hand ist ein sehr exponiertes Organ, mit dem wir viele gefährliche Sachen machen. Die Evolution hat deshalb der Hand einige Sicherheitsanker geschenkt. So wird jeder Finger einzeln durch zwei große Blutgefäße versorgt. Sollte eines der beiden verletzt sein, kann das Blut trotzdem weiter durch das gesunde Gefäß strömen, ohne dass der Finger abstirbt. Trotzdem gibt es natürlich schwerwiegende Handverletzungen und -erkrankungen. Von Arbeitsunfällen ist am häufigsten die Hand betroffen. Aber auch Tumore oder Rheuma können der Hand zusetzen.
Jedes Zeitalter hat seine typischen Krankheiten. Nehmen Handerkrankungen in einer auf Tastatur tippenden Welt zu?
Vergessen Sie den Gameboy nicht! Aber im Ernst, darüber gibt es keine Statistiken. Sicher ist, dass wir alle heute älter werden, deshalb häufiger unter Verschleißerscheinungen leiden. Zugleich nehmen wir Einschränkungen immer weniger einfach nur hin. Deshalb schätze ich, dass heute mehr Handkrankheiten therapiert werden. Nicht zuletzt weil die Handchirurgie heute mehr Möglichkeiten bietet, um Krankheiten zu heilen.
Ein abgenutztes Hüftgelenk kann gut durch eine Prothese ersetzt werden. Die Gelenke der Hand sind jedoch winzig. Kann man die überhaupt reparieren?
Seitdem sich in den 1960er Jahren Mediziner erstmals auf die Hände spezialisierten, hat die Handchirurgie große Fortschritte gemacht. Auch für die Fingergelenke gibt es Prothesen. Zum Beispiel können Silikonimplantate in den Knochen eingesetzt werden oder auch Metall-Kunststoff-Kombinationen. Fingergelenkprothesen sind jedoch immer das letzte Mittel der Wahl. Dank der Mikrochirurgie, die die Handchirurgie revolutionierte, können wir heute auch an der Hand minimalinvasiv operieren und wie bei großen Gelenken mit Arthroskopien in das Gelenk schauen. Dazu ist oft nicht einmal eine Narkose nötig. Wir können die Hand also sehr gut wiederherstellen – aber ersetzen können wir sie nicht. Es gibt keine Handprothese, die die Funktionen der Hand annähernd ersetzen könnte.
Einige Modelle, die in der Berichterstattung auftauchen, sehen auch eher nach Robocop aus ...
Die ästhetische Chirurgie ist eine wichtige Disziplin der Handchirurgie. Es reicht nicht, einfach nur die Funktion der Hand wiederherzustellen. Auch ihr Äußeres muss rekonstruiert werden. Die Hände sind ein Kommunikationsorgan, an dem wir genauso viel ablesen können wie am Gesicht. Und sie lassen sich nicht wie andere Körperpartien verstecken.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in Zukunft in der Handchirurgie?
Gerade im Bereich der Gelenkprothesen erwarte ich Fortschritte. Fingergrundgelenke und Fingermittelgelenke können bereits sehr gut ersetzt werden. Bei den Handwurzelknochen gelingt das noch nicht. Ist ein Gelenk dort verschlissen, schrauben wir beide Gelenkpartner zusammen. Solche Teilfusionen wurden in den letzten 20 Jahren standardisiert und ermöglichen eine gute Beweglichkeit der Hand. Oft kann sie sogar besser eingesetzt werden als vor dem Eingriff, da Schmerzen wegfallen. Unser Ziel für die Zukunft ist jedoch auch, die Gelenke der Handwurzel mit Prothesen zu versorgen, um die maximale Beweglichkeit zu erhalten.
Martin Lautenbach ist Chefarzt der Klinik für Handchirurgie, obere Extremitäten und Fußchirurgie am Krankenhaus Waldfriede. Das Interview führte Frieder Piazena.