Gesundheit: Kein Applaus mehr
Arthrose in den Fingergelenken trifft vor allem Frauen über 65. Wichtig ist dann, zu lernen, wie Bewegung die Schmerzen lindern kann – aber nicht jede.
Teller und Tassen fallen einfach aus der Hand. Die Finger sind schmerzhaft geschwollen, steif und schwach: Arthrose, ein degeneratives Gelenkleiden. In Deutschland sind etwa sechs Millionen Menschen betroffen. Bei jeder zweiten Frau und jedem zehnten Mann beginnt Arthrose schon in den Fünfzigern. Insgesamt leiden 90 Prozent aller 65- bis 70-Jährigen daran. Knie und Hüfte sind am häufigsten betroffen, dann die Hände.
Arthrose der Fingergelenke ist zu 90 Prozent ein Problem von Frauen nach den Wechseljahren – und wurde von Orthopäden lange Zeit nicht ernst genommen. „Diese Arthrosen stehen an der Wichtigkeit zurück, so dass sie einer Besprechung nicht bedürfen“, schrieb Alfred Nikolaus Witt, einst Ärztlicher Direktor des Oskar Helene-Heims, 1960 in einem Lehrbuch. Diese Vernachlässigung hat nun offenbar ein Ende. Zwar sei die Fingerarthrose noch immer unheilbar, sagt Martin Lautenbach, Chefarzt der Klinikabteilung „Handchirurgie, obere Extremität und Fußchirurgie“ am Zehlendorfer Krankenhaus Waldfriede. Man könne aber lernen, besser damit zu leben – etwa in einem Patientenseminar mit dem Schwerpunkt Fingerarthrose, das Lautenbach mit der Ergotherapeutin Sabine Grössel im Gesundheitszentrum „Primavita“ des Krankenhauses leitete.
Die Pufferzone im Gelenk ist verschlissen
Dort erfuhren die Teilnehmer zunächst, wie es zu der Gelenkkrankheit kommt: Ein Gelenk verbindet beweglich zwei Knochenenden, die von einer glatten elastischen Haut, dem Knorpel, überzogen sind. Die sehr widerstandsfähige Gelenkkapsel, die alles zusammenhält, ist mit einer Membran ausgekleidet, die eine Flüssigkeit absondert, meist Gelenkschmiere genannt. Sie ernährt auch die Knorpelschicht. Die hat keine Blutgefäße und ist die Schwachstelle des Gelenks. Die Gelenkflüssigkeit, die das nährende Blut ersetzt, wird durch Bewegung in den Knorpel hineingedrückt. Wenn das Gelenk ruhiggestellt wird, kann es nicht mehr versorgt werden. Ist die Knorpelschicht, diese Pufferzone zwischen den Knochen, verletzt, verschlissen, gar völlig abgerieben, kann sich durch den Abrieb die Gelenkinnenhaut entzünden. Ein Knorpelschaden verändert das gesamte Gelenk, auch die umgebenden Strukturen wie Sehnen, Bänder, Knochen. An den erkrankten Fingern lässt sich das unmittelbar beobachten: Da ist ein Endgelenk verdickt (Heberden-Arthrose) oder ein Mittelgelenk so geschwollen (Bouchard-Arthrose), dass es nicht mehr mitgeht, wenn man eine Faust macht. Nicht selten sind alle zehn Finger betroffen. Besonders hinderlich ist es, wenn das Daumensattelgelenk (direkt überm Handgelenk) schmerzt, das bei jedem Handgriff beansprucht wird.
Ruhig halten ist falsch
Natürlich versucht man, die schmerzenden Hände ruhig zu halten. Falsch! Denn so begibt man sich in einen Teufelskreis aus Schmerzen und noch mehr Schonhaltung – bis die Gelenke endgültig steif und funktionsunfähig sind. Denn nur durch Bewegung wird die nährende Gelenkflüssigkeit in den Knorpel gedrückt. Aber es muss die richtige Bewegung ohne zu große Belastung sein.
Wie meist bei unheilbaren Krankheiten gibt es kein einheitliches Behandlungskonzept, aber eine Anzahl „Therapien“, deren Nutzen jedoch oft nicht wissenschaftlich erwiesen ist. Schwierig ist dieser Nachweis für die Physiotherapie und die bei der Fingerarthrose besonders wichtige Ergotherapie. Dabei kann es keine placebokontrollierten Studien geben wie bei Arzneimitteltests. Dennoch leuchtet der Nutzen unmittelbar ein. Die Teilnehmer des Patientenseminars lernten, wie sie ihre Gelenke schützen können: Erschütterungen vermeiden (etwa bei Applaus oder Bettenaufschütteln) ebenso längeres Halten, etwa eines Buches. Auch gibt es Hilfsmittel, die das Leben mit Fingerarthrose erleichtern: etwa Stifte und Messer mit speziellen Griffen. Bestimmte, regelmäßig ausgeführte Bewegungsübungen der Finger können helfen, die Funktion zu erhalten.
Kortison dient als "Feuerwehr"
Da bei Arthrosen oft Phasen mit weniger Beschwerden vorkommen, lässt man sich über den Nutzen der angewandten Mittel und Methoden leicht täuschen. Durch Studien gesichert ist der Nutzen schmerz- und entzündungshemmender Tabletten wie Ibuprofen und Diclofenac. An den Fingern wirken solche Mittel auch als äußerlich aufgetragenes Schmerzgel gut. Notfalls werden kortisonhaltige Medikamente gespritzt – als „Feuerwehr“, wie Orthopäden sagen.
Viel länger als die Liste der hilfreichen Therapien ist die der fragwürdigen oder nutzlosen: Medikamente, die den Knorpel erhalten oder wieder herstellen sollten, sind etwa fast alle wieder vom Markt genommen. Denn schadhafter Gelenkknorpel lässt sich nicht wieder herstellen. Auch für Verfahren zur operativen Knorpelrekonstruktion konnte kein längerfristiger Nutzen nachgewiesen werden. Eine Zeit lang war es Mode, Gelatine zu essen, in der naiven Vorstellung, die gallertartige Substanz würde in die Gelenke wandern und die Knorpelschäden reparieren. Der Glaube an alle möglichen Diäten ist noch heute verbreitet. Man solle sein Geld nicht zum Fenster hinauswerfen – für Fischöl, Teufelskralle oder Enzyme. „Alles vergeblich“, sagt Lautenbach. Sein Tipp: Übergewicht abbauen. Es ist ein Hauptrisiko für Arthrose.
Eine Operation ist das letzte Mittel
Alle vernünftigen konservativen Behandlungsmöglichkeiten sollte man ausschöpfen, ehe man an eine Operation denkt, sagt der Handchirurg. Der beweglichkeitserhaltende oder stabilisierende Eingriff gilt auch ihm als letztes Mittel, führt aber meist zu recht guten Ergebnissen. Bei den Fingerendgelenken ist er selten nötig, hier kann man abwarten. Bei der Arthrose eines Fingermittelgelenks hingegen kann es ein „Zu spät“ geben, da muss man von Fall zu Fall entscheiden.
Ist ein künstliches Gelenk erforderlich, hat sich, so Lautenbach, die älteste und preiswerteste Endoprothese als die beste erwiesen. Sie hält zehn bis fünfzehn Jahre lang. Für die Arthrose des Daumensattelgelenks gibt es ein wirksames chirurgisches Verfahren, bei dem körpereigenes Gewebe verwendet wird: Das schmerzende Knochenteilchen wird entfernt und durch eine zur Schnecke gedrehte halbe Sehne ersetzt. Ein halbes Jahr später ist nach einer Studie in 98,2 Prozent aller Fälle der Daumen schmerzlos wieder belastbar.
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