Flüchtlingskrise in Berlin: Die Grenzen der Hilfe - Debatte im Tagesspiegel
Kippt die Stimmung? Werden Wohnungen beschlagnahmt? Sozialsenator Czaja diskutierte mit Flüchtlingsexperten über aktuelle Herausforderungen für Berlin und Deutschland.
Und dann, nach mehr als einstündiger Diskussion, ist Mario Czaja fast gerührt. Aus dem Publikum meldet sich ein in Flüchtlingsfragen klar versierter Gast und sagt, bei aller Kritik an den Regierenden, habe er überraschend Sympathien für einen CDU-Politiker. Gemeint war Czaja, der als Berliner Sozialsenator von allen Seiten unter Druck steht: von Flüchtlingshelfern, die seine Behörde als langsam kritisieren, als auch von Asylgegnern, die Czaja vorwerfen, er helfe zwar massenhaft Familien aus dem Nahen Osten, nicht aber deutschen Sozialfällen.
Asyl in Berlin – Hilfe ohne Grenzen? Unter diesem Motto hatte der Tagesspiegel gemeinsam mit der Freien Universität (FU) und der Schwarzkopf Stiftung am Dienstag zu einer Diskussion ins Verlagshaus am Anhalter Bahnhof geladen. Mehr als 250 Gäste waren gekommen – darunter viele Schüler und Studenten. Die Zahl der nach Europa Flüchtenden wächst. Es gibt Tage, da kommen allein in Berlin mehr als 1000 Männer, Frauen und Kinder an. Wie also können Städte und Kommunen das bewältigen?
Ist das Land überfordert? „Viele Menschen sind es nicht.“
Moderiert von Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff sprachen mit Czaja darüber Bernd Ladwig, Professor für politische Theorie an der FU, und Mathias Hamann, Leiter der Notunterkunft der Berliner Stadtmission in Moabit.
Czaja stellte gleich eingangs klar: Alle Bundesländer seien an ihre Grenzen gestoßen. Es fänden sich ohnehin kaum noch Betreiber für neue Heime. Die umstrittenen Grenzkontrollen seien nötig, Zehntausende Flüchtlinge dürften sich wegen Überlastung der Behörden seit diesen Wochen unregistriert in Deutschland aufhalten. Ladwig ging es um die Wirkung der Kontrollen, die sowohl ein Signal der Regierung an die überforderten Bundesländer seien, als auch an die europäischen Nachbarn, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
Vielleicht, so die zentrale Frage, sei das Land durch die Flüchtlinge tatsächlich bald überfordert: „Ganz viele Menschen jedenfalls sind es nicht“, sagte Hamann, der unter Sozialexperten geschätzt wird. „Uns motivieren die vielen Freiwilligen, die seit Monaten helfen.“
Kann die Willkommenskultur, die sich von der Stimmung in den 90ern deutlich abhebt, die Krise lösen? Es sei schwer, von der Euphorie eines Augenblickes auf langfristige Veränderungen zu schließen, sagte Ladwig. Eine „neue deutsche Gelassenheit“ aber gebe es tatsächlich. Die allerdings müsste sich bald in Politik und Infrastruktur des Landes wieder finden.
Ein Punkt, den Senator Czaja teilt: Man baue Unterkünfte, nur dauere das eben. Und bevor leere Wohnungen beschlagnahmt werden dürfen, müssten sämtliche Hörsäle und Turnhallen belegt werden. Durchregieren ist in Deutschland eben nicht einfach.