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Motorgeheul und Rizinusduft: Die erste Autobahn der Welt - die Avus - wird 90 Jahre

Tollkühne Fahrer auf neu erbauter Piste: Vor 90 Jahren eröffnet die Avus mit dem Grunewaldrennen. Aufgeregt stürmen die Berliner die neue Attraktion - für die sie bald ziemlich viel bezahlen müssen.

Nach der Einnahme von Rizinusöl haben Menschen es meist sehr eilig, das ist bekannt. Nur wenigen dürfte aber geläufig sein, dass man einst auch Motoren mit diesem Zaubermittel auf Trab brachte. Kaum der Duft von Benzin, sondern eindeutig der von Rizinusöl hing an Wochenende des 24. und 25. September 1921 über dem Grunewald. Mehr als ein Jahrzehnt hatten die Berliner auf diesen Moment warten müssen. Schon am 23. Januar 1909 war von reichen Autoenthusiasten im Kaiserlichen Automobil-Club am Leipziger Platz 16 die „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH“ gegründet worden, aus deren Initialen das Kunstwort Avus entstand.

Ihr Ziel: eine Piste allein für motorisierte Fahrzeuge, die erste Autobahn der Welt. Doch der Krieg kam dazwischen, unterbrach die Bauarbeiten, bis der Großindustrielle Hugo Stinnes 1920 in das Projekt einstieg und es binnen Jahresfrist vollendet wurde. So hatte es also bis zu jenem denkwürdigen Wochenende im Frühherbst 1921 gedauert, dass die neue Straße mit einer zweitägigen Rennveranstaltung eröffnet werden konnte – eine Strecke von zwei Geraden mit jeweils neun Kilometern Länge und zwei Schleifen. Käme heute jemand auf die Idee, die seit 1998 für Rennen gesperrte Strecke doch wieder zu reaktivieren, gäbe es wahrscheinlich einen Volksaufstand.

Vor 90 Jahren, in der Zeit ungebremster Tempo-Euphorie, traf die Rennstrecke aber offensichtlich auf ein Bedürfnis nicht nur der Berliner, wie in der Presse verwundert registriert wurde: „Überraschend war aber die allgemein starke Teilnahme der gesamten Berliner Bevölkerung sämtlicher Kreise und vor allem der unglaublich starke Zustrom von Fremden aus ganz Deutschland und aus dem Ausland.“

Es war geradezu ein gesellschaftliches Ereignis, die Damen in der neuesten Mode gekleidet, selbst eine Reporterin aus der Provinz, die mit sich sehr zufrieden war, dass sie „etwas Hübsches und Feines“ als Garderobe gewählt hatte. Allerdings hat sich dann mancher Besucher die schicken Klamotten auf den frisch gestrichenen Tribünensitzen ruiniert. Der Lack stammte offensichtlich noch aus Kriegsproduktion und klebte wie Pech.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum eine Einzelfahrt auf der Avus früher 5000 Mark kostete.

Gestartet wurde in sogenannten Steuer-PS-Klassen, die Wagen stammten ausnahmslos aus deutscher Produktion. Die Marken sind bis auf Opel und Benz längst vergessen, ebenso die Namen der Fahrer, von denen nur Fritz von Opel im kollektiven Gedächtnis haften blieb, dem mit 128,84 km/h die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit des Rennens gelang, der beim wichtigsten Lauf am zweiten Tag aber knapp von Christian Riecken auf NAG geschlagen wurde.

Erste Unfälle waren zu beklagen, spektakulär, aber noch nicht tödlich: Ein Dürkopp wurde aus der Südkurve getragen, überschlug sich mehrfach, der Fahrer flog über die Böschung. Ein Dinos dagegen ging so hart in die Nordkurve, dass er ein Hinterrad verlor. Ab 1. Oktober 1921 war die Avus auch für den Normalverkehr frei, kein billiges Vergnügen. Die Straße war mautpflichtig, kostete bei einmaliger Benutzung zehn Mark, für die Dauerkarte über ein Vierteljahr wurden 1000 Mark verlangt – Preise, die mit der Inflation bald schon hinfällig waren: 1923 kostete die Einzelfahrt bereits 5000 Mark.

Das ließ die Begeisterung der Berliner für ihre Avus rasch erlahmen, erst mit dem ersten Großen Preis von Deutschland am 11. Juli 1926 konnte der Anfangserfolg wiederholt werden. So lief das auch die kommenden Jahrzehnte, ein ganzes Jahrhundert lang: mal auf, mal ab. Furiose Rennen, die Duelle der Silberpfeile, Namen wie Rudolf Caracciola, Manfred von Brauchitsch, Hermann Lang, Bernd Rosemeyer – aber auch Verfall im Krieg, kurz danach Herunterstufung zur normalen, selbst von Fahrradfahrern zu nutzenden Straße, jahrzehntelang Staustelle für den Transitverkehr und derzeit eben für die Autofahrer im Baustellenstau während der Grundsanierung.

Als Rennpiste wurde die Avus 1951 noch einmal reaktiviert, was auch längst wieder Geschichte ist, ebenso wie der Streit um Tempo 100 im Frühjahr 1989. Ein Luftkurort ist sie auch durch dieses Limit nicht geworden, wenn man auch nicht mehr befürchten muss, dass einem dort der Geruch von Rizinusöl in die Nase sticht.

In die Frühzeit der Berliner Autogeschichte führt ein jetzt im Berlin Story Verlag erschienenes Buch von Kai-Uwe Merz: Der AGA-Wagen. Eine Automobil-Geschichte aus Berlin (240 Seiten, 19,80 Euro). Es ist die erste Monografie zu der Automobil-Fabrik AGA, die von 1919 bis 1929 in Lichtenberg produzierte. Auch beim ersten Avus-Rennen war AGA dabei.

Andreas Conrad

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