Nager in Berlin: Die Biber von der East Side Gallery
Es ist eines der nagenden Probleme der Stadt: Wie geht es eigentlich Berlins Bibern? An der East Side Gallery gibt es gute Neuigkeiten.
Naturfreunde feiern eine kleine Sensation: An dem 2009 gebauten Biberausstieg am Spreeufer hinter der East Side Gallery ist nach fünf Jahren endlich ein Biber ausgestiegen. Also nichts wie hin. Das rettende Ufer ist nur mühsam zu erreichen, jedenfalls vom Land aus. Vom Ostbahnhof über den Stralauer Platz geradeaus durch die Mauerlücke zur Spree, wo ein paar Meter der Uferböschung von einem Holzzaun eingefriedet sind. Man kann (aber, fürs Protokoll: man sollte nicht!) auf der Spundwand am Zaun vorbeiklettern und hängt dann im Gestrüpp, das über die abfallende stählerne Spundwand ragt. Die ist hier so weit abgesenkt, dass kleine Wellen über sie schwappen. Myriaden von Silvesterraketen hängen am Ufer.
Gentrifizierung im alten Kaninchenbau
Darüber, im graubraunen Einerlei der Böschung, ist das leuchtende Beige eines angenagten Weidenstamms zu entdecken. Daneben ein Zweig, der direkt über dem Boden gekappt wurde. Wobei die Schnittfläche offensichtlich von starken Zähnen geformt worden ist. Zwischen den Weiden führt ein Loch ins aufgeweichte Erdreich, in das man die Faust stecken könnte. Anruf bei Derk Ehlert, dem Wildtierexperten des Senats. „Fassen Sie da lieber nicht rein, da wohnen Ratten“, sagt er. Er habe gestern selbst eine wegrennen sehen. Es handele sich um einen „Altbau“, den zuvor Kaninchen bewohnt hätten. Gentrifizierung auf Friedrichshainer Art?
Ein Biber geht auf Reisen
Zurück zum Biber. Wo mag der jetzt sein? Ehlert vermutet ihn am Treptower Park. „Da lebt seit Monaten mindestens ein Exemplar“, es gebe auch deutliche Spuren auf der Liebesinsel in der Rummelsburger Bucht. „Da lag es auf der Hand, dass dieses Tier irgendwann ein Stück nach Westen schwimmt und den Ausstieg benutzt.“ Dass ein Biber freiwillig Osthafen und Oberbaumbrücke quert, erstaunt den Fachmann nicht: Reviersuche werde spätestens bei zweijährigen, vorwiegend bei männlichen Jungtieren unausweichlich. Erst weiter stadteinwärts werde die Spree aus Bibersicht wirklich ungemütlich. Deshalb sei der Ausstieg so wichtig: „Ohne permanente Fellpflege stirbt ein Biber. Er würde regelrecht untergehen.“ Deshalb sei die für viel Geld von EU, Land und Bezirk gebaute Ausstiegsstelle so wichtig. Nebenbei helfe sie auch Wasservögeln und könne baden gegangene Hunde retten. Einen Kilometer weiter stadteinwärts ist aber definitiv Schluss: Die Mühlendammschleuse ist für Biber, Otter und Fische ebenso unpassierbar wie der parallele Spreekanal mit seinem Wehr. Ein Durchlass für die Tiere sei vorerst nicht geplant und wäre wegen Platzmangels auch schwierig zu bauen.
Deshalb besteht auch keine Hoffnung auf eine maritime Wiedervereinigung zwischen den Ost-Bibern von Müggelsee und Wuhle sowie ihren Westverwandten, die es vor Jahren schon zum Bundeskanzlerinnenamt geschafft hatten. Seit dem Herbst hat sich nach Auskunft von Ehlert zumindest ein Exemplar im Tiergarten etabliert, wo es die Kleingewässer zwischen Neuem See und Großem Stern bewohnt und am Ufer die Bäume des Gartendenkmals annagt, sofern das Grünflächenamt Mitte ihm nicht mit Kaninchendraht zuvorgekommen ist.
Biber kamen mit der Wende
Aber letztlich sind alle Berliner Biber waschechte Ossis. Gleich nach der Wende schwammen die ersten Exemplare von Hennigsdorf her durch die Oberhavel nach Spandau. Inzwischen haben sie es bis zur Pfaueninsel und sogar in den Teltowkanal Richtung Steglitz geschafft. Ehlert schätzt, dass inzwischen rund 100 Exemplare im Stadtgebiet leben. Sie sind offizielle „Zielart“ im Berliner Landschaftsprogramm und „ein wichtiger Baustein für die lebenswerte Stadt Berlin“, wie der Experte resümiert. Die Weiden am Ostbahnhof wurden übrigens extra für den Nachweis gepflanzt. Biber fressen das weiche Holz besonders gern. Aber immer nur im Sitzen, nie unterwegs. So gesehen wird mit den Bibern auch eine alte Tugend vor dem Aussterben bewahrt.
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