Wilde Tiere in Berlin-Spandau: Zehn tote Biber - ein Tunnel wäre die Rettung
In Haselhorst wurde ein 27,5 Kilo schweres Tier überfahren. "Es ist ein trauriges Jubiläum", wie die Naturschützer vom BUND beklagen. Jetzt wird über einen Rettungsweg nachgedacht.
Die Lust auf junge frische Triebe, auf saftige Gehölze und krautige Wasserpflanzen wurde dem Biber zum Verhängnis. Dabei kam ihm sein ärgster Feind in Berlin in die Quere: das Auto. Und zwar in der Nacht zu Freitag auf der Rhenaniastraße im Spandauer Ortsteil Haselhorst. Dort wurde ein 27,5 Kilo schweres männliches Tier im Dunkeln überfahren, als es von seinem Familienbau im benachbarten Rohrbruchteich über den Asphalt zum nahen Erlenbruch wechseln wollte – seinem bevorzugten Nahrungsrevier. Für den Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) ist das ein „trauriges Jubiläum“. Die Naturfreunde führen genau Buch, wie viele der größten Nager Europas an derselben Stelle bereits totgefahren wurden: Seit 1999 waren es zehn Biber.
Nun will der BUND die Rhenaniastraße am liebsten für den Verkehr teilweise sperren lassen. Auch Daniel Buchholz, SPD-Umweltexperte im Abgeordnetenhaus und Vizechef seiner Partei in Spandau, will sich des „Biberproblems“, wie er sagt, „erneut annehmen“. Denn nirgendwo in Berlin leben offenbar so viele Biber wie in Haselhorst an der Oberhavel. „Dort ist ein Zentrum ihrer Population“, bestätigt der Wildtierbeauftragte des Senats, Derk Ehlert, die Aufregung um den Biberschutz im wilden Berlin. Erst im März gab es eine ähnliche Rettungsdebatte am Müggelseedamm in Friedrichshagen. Dort ging es allerdings um Eichhörnchen, die häufig überfahren wurden. Die Lösung war dort vergleichsweise einfach. Eine Eichhörnchenbrücke in Form eines Seils wurde über die Straße gespannt – zum Überklettern. Aber was lässt sich für die konsequent nachtaktiven, eher behäbigen und bis zu 1,40 Meter langen Biber am besten tun?
Wachsender Bestand
Das Problem wird die Berliner in den kommenden Jahren vermutlich häufiger beschäftigen. Denn in der Hauptstadt vermehren sich die heute streng geschützten Nager. Noch vor rund 40 Jahren waren sie in Deutschland nahezu ausgerottet. Man jagte sie vor allem wegen ihres wertvollen dichten Fells. Nach der Wende wurden dann einige Biberfamilien in Brandenburg ausgesetzt, sie fühlten sich in der wasserreichen Mark wohl und vermehrten sich rasch. Dort wird der Bestand inzwischen auf mehr als 2700 Exemplare geschätzt – und zum Problem für Bauern und Waldbesitzer. Die umtriebigen Vegetarier mit dem platten Schwanz fällen junge Bäume, durchwühlen Äcker und Deiche. Der Landtag debattiert bereits über Fang- und Abschussquoten.
Aus Brandenburg wanderten Biber seit Mitte der 90er Jahre dann nach Berlin ein. 2007 war ihr Bestand noch überschaubar, man sprach von etwa 25 Tieren. Als damals die Haselhorster Rhenaniastraße als „Todesfalle für Biber“ schon Schlagzeilen machte, verkündete SPD-Mann Daniel Buchholz: „Jedes totgefahrene Exemplar ist ein echter Verlust.“ Inzwischen ist Berlins Biberkolonie weiter kräftig gewachsen. 70 bis 80 Nager sollen es heute sein. Sie leben in rund 20 Familienverbänden.
Biberburgen am Wasser
Durch den Spandauer Schifffahrtskanal und die Spree sind sie bis zur Schleuse Plötzensee vorgedrungen. Biberburgen gibt es am Tegeler See und an mehreren Stellen der Oberhavel, ein Pärchen soll bei Tiefwerder in Spandau leben, auch an der unteren Havel in Höhe Pfaueninsel hat Berlins Wildtierbeauftragter Ehlert welche beobachtet. Außerdem im Schlosspark Charlottenburg, in der Jungfernheide sowie an Müggelsee und Müggelspree. Einzelgänger wurden sogar in Mitte an der Stadtspree gesichtet. „Die haben aber eine Expedition unternommen“, sagt Ehlert. „Dort siedelt sich keiner an.“
Im verwunschen Haselhorster Rohrbruchteich, auf dessen mittlerer Insel und an den flachen Ufern fühlen sich die Tiere hingegen ausgesprochen wohl. Drumherum Kleingärten, Einfamilienhäuser, es ist nicht allzu viel los. Die nahe Rhenaniastraße verbindet den Saatwinkler Damm mit der Spandauer-See-Brücke über die Havel, wird als Durchgangsstrecke also recht stark befahren. Schon seit 2008 stehen dort in Höhe Teich und Erlenbruch große Schilder „Achtung Biber – 30km/h“. Anfangs galt auch ein Nachtfahrverbot. Das hat man inzwischen aber wieder aufgehoben, weil es nicht kontrollierbar war und ständig missachtet wurde.
Die Naturschützer vom BUND verweisen auf die weitgehend parallel verlaufende nahe Daumstraße. Das sei ein Ersatz für die Rhenaniastraße, deshalb könne man diese außer für BVG und Anwohner für den Durchgangsverkehr sperren. Im Spandauer Rathaus sah man das bisher anders. Möglicherweise werden deshalb bald Bauarbeiter anrücken. Die Lösung könnte ein bibergerechter Tunnel unter der Straße sein – zur Futterkammer im Erlenbruch. Die Brandenburger haben mit solchen Tunneln schon gute Erfahrungen gemacht.
Christoph Stollowsky