Gastbeitrag für eine Verwaltungsreform in Berlin: Die Berliner Bezirke brauchen mehr Macht
Wie kann Berlins Verwaltung besser werden? In unserer Serie beschreibt Claus-Peter Clostermeyer seine Idee: mehr direkte Demokratie und Macht für die Bezirke – inklusive Finanzausgleich.
Zwölf Wochen Wartezeit für eine Geburtsurkunde, Schlange stehen ab 3 Uhr nachts vor den Ämtern – das ist immer noch Alltag für Berlinerinnen und Berliner. Ähnliches geschieht bei einer Kfz-Anmeldung oder wenn es um einen neuen Personalausweis geht. Wie ist das in der Hauptstadt einer führenden Industrienation, die seit dem 19. Jahrhundert auch stolz auf ihre leistungsfähige Verwaltung ist, möglich?
Berlin ist mit heute 3,7 Millionen Einwohnern das nach der Einwohnerzahl achtgrößte Land der Bundesrepublik Deutschland und liegt damit vor zahlreichen sogenannten Flächenländern. Als Ebene darunter gibt es aber nicht wie in diesen Ländern Landkreise, Städte und Gemeinden. Berlin versteht sich nicht nur als Bundesland, sondern zugleich als „dezentralisierte Einheitsgemeinde“. Die heutigen Bezirke, von der Einwohnerzahl her alles Großstädte, werden zentralistisch „von oben“ verwaltet. Das Problem dabei ist: Die Landesebene wird dadurch über- und die Bezirksebene dadurch unterfordert.
Einige Beispiele
Ein paar Beispiele gefällig? Die Straßenlaterne vor dem Wohnhaus ist defekt – zuständig für die Straßenbeleuchtung ist die Landesregierung, der Senat. Grünflächen, Sportanlagen, Schulhäuser – in ganz Deutschland ureigenste Aufgaben der Gemeinden, in Berlin zieht der Senat diese Themen immer wieder in der einen oder anderen Weise auch mal an sich. Für die Verkehrsplanung sind eigentlich die Bezirke verantwortlich – fahren jedoch Busse auf den Straßen, schaltet sich der Senat ein. Dasselbe Spiel geschieht bei der Planung von Baugebieten: Die Bezirke erstellen im Rahmen der vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Flächennutzungsplanung die Bebauungspläne. Wenn diese dem Senat missfallen, kann er sie aber wieder abändern. Ob zum Beispiel Märkte im Wirtschafts- oder Ordnungsdezernat der Bezirke organisiert werden, entscheidet der Senat.
Die Folge ist Stillstand
Die demokratisch gewählten Bezirksverordnetenversammlungen führen ein Schattendasein ohne wirkliche Gestaltungsmöglichkeiten. Es herrscht ein „Schwarzer-Peter-Spiel“: Bei Missständen verweisen die Bezirke auf den Senat und dieser zurück auf die Bezirke, beide dann schließlich auf den Bund als Geld- oder Gesetzgeber. Stillstand ist die Folge, der nur hier und da durch verfassungsrechtlich nicht über alle Zweifel erhabene Finanzspritzen des Bundes gemildert wird.
Was Berlin fehlt, ist eine klare Aufteilung zwischen dem Bundesland mit Regierungs- und Gesetzgebungsaufgaben und der kommunalen Selbstverwaltung in den Bezirken. Wichtig wären eigene Finanzmittel – warum zum Beispiel nicht feste Anteile an den in den Bezirken erhobenen Steuern? Dazu die Möglichkeit, Personal nach Bedarf einzustellen und es leistungsgerecht zu bezahlen sowie sich eine zweckmäßige Organisation zu geben.
Zu einer Selbstverwaltung gehören darüber hinaus Satzungs- und Planungshoheit. Neben den Pflichtaufgaben sollten die Bezirke eigenverantwortlich Schwerpunkte bei Bildung und Wirtschaft, Umwelt und Kultur, Lebensqualität und öffentlicher Ordnung setzen können. Ein direkt gewählter Bezirksbürgermeister und eben die Bezirksverordnetenversammlung wären ihren Bürgerinnen und Bürgern dafür unmittelbar politisch verantwortlich.
Mehr kommunale Selbstverwaltung
Natürlich wird es wegen der Unterschiede der Leistungskraft der Bezirke einen Finanzausgleich geben müssen. Notwendig ist sicher auch eine enge Abstimmung und Koordination der Aktivitäten im Stadtgebiet. Der Senat sollte sich aber im Wesentlichen, wie die Regierungen in den anderen Ländern, auf übergreifende Aufgaben konzentrieren – und zwar nach außen und nach innen. Sorgen vor einem Auseinanderfallen der Stadt sind unbegründet. Die heutigen technischen Möglichkeiten – vor allem der Digitalisierung – sichern flächendeckend gleichwertige Verwaltungsdienstleistungen.
Es war eine kraftvolle kommunale Selbstverwaltung in den 1920 zu Groß-Berlin vereinigten 67 Städten und Gemeinden, die die stürmische Entwicklung der Stadt seit Ende des 19. Jahrhunderts vorangetrieben hat. Am Rathaus Schöneberg steht ein eindrucksvolles Denkmal, das an den Freiherrn vom Stein, den Protagonisten der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, erinnert. Es wäre höchste Zeit, diesen Gedanken in den Berliner Bezirken wieder mit Leben zu erfüllen.
Claus-Peter Clostermeyer leitete die Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin.
Claus-Peter Clostermeyer