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Stefan von Orlow ist davon überzeugt, dass jedermann mit kleinen Dingen zum Bewusstseinswandel beitragen kann.
© Sven Darmer

Aktionstage "Gemeinsame Sache": "Die Aufheber" machen Berlin sauberer

Stephan von Orlow hat die Initiative „Aufheber“ gegründet und schon viele Mitstreiter gefunden. Drei Stück Müll am Tag – lautet seine Devise.

Ein zerknülltes Taschentuch, in das einst geweint wurde. Daneben der zertretene Überrest einer gerauchten Zigarette zwischen grauen Pflastersteinen. Drei Schritte weiter ein leeres, plattes Trinkpäckchen, das nach der Erfrischung noch als Fußball diente. Jetzt ist es Müll. Stephan von Orlow greift mit seiner linken Hand erst nach dem Taschentuch, reckt sich anschließend nach dem Zigarettenfilter und schnappt mit Zeigefinger und Daumen noch schnell den einstigen Durstlöscher. Danach wirft er alles in den nächstgelegenen Mülleimer.

Das macht er jeden Tag. Dreimal. Mit immer wechselnden Abfällen, die er in seiner Nachbarschaft in Reinickendorf auf der Straße oder am Wegesrand findet und die eigentlich in den Mülleimer gehören. Er bezeichnet sich selbst als "Aufheber" und ist inzwischen nicht mehr allein. Mit seiner Bewegung möchte der 48-Jährige nun von Berlin aus die ganze Welt missionieren.

„2015 lief ich mit meiner Tochter eine Straße entlang, als plötzlich jemand vor uns Papier auf den Boden warf und sie mich fragte, ob er das so einfach dürfe“, erinnert sich von Orlow. Dann beschreibt der Prozessmanager, wie er die Frage seiner Tochter verneinte, anschließend eben dieses Stück Papier nahm und es im Mülleimer entsorgte.

„Am schlimmsten daran war die Hoffnungslosigkeit meiner Tochter. Sie war nach dem Vorfall der Überzeugung, dass man solch ein Verhalten wahrscheinlich sowieso nicht mehr ändern könne. Dass Menschen eben so sind“, erzählt er und auch, dass er seiner Tochter Mut machen wollte, solche Dinge nicht einfach so hinzunehmen. „Es gibt nichts auf der Welt, das keinen Effekt auf den Rest der Welt hätte. Und alles, was auf dieser Welt passiert, hat einen Effekt auf uns“, glaubt von Orlow. Seitdem hebt er auf. Befreit täglich Berliner Straßen von drei einzelnen Teilen Müll. Auf die Anzahl von drei kommt er, weil er glaubt, dass dies eine gut umsetzbare Menge für jeden Menschen ist.

Es gibt Menschen, die täglich Müll aufheben

Um diese Überzeugung zu teilen und zu zeigen, wie einfach und schnell dieses tägliche Vorhaben umzusetzen ist, versuchte er über soziale Netzwerke auf sich und sein Projekt aufmerksam zu machen. Im Mai dieses Jahres wandte er sich an eine Reinickendorfer Facebook-Gruppe und steckte dort ein klares Ziel: 100.000 Berliner sollen jeden Tag drei Teile Müll aufheben. Wie er. „Daraufhin habe ich ganz viel Zuspruch in Form von Kommentaren bekommen“, sagt von Orlow. Außerdem stellte er fest, dass es schon sehr viele Menschen gibt, die täglich Müll aufheben.

„Allerdings fühlten sich nicht alle gut dabei. Einige haben das Gefühl, sie würden den Dreck anderer Leute aufheben“, erzählt er und auch, dass er sie motivieren möchte weiterzumachen: „Sie sollen den Müll in ihrer direkten Nachbarschaft, also letztlich für sich, die eigene Familie und ihre Mitmenschen aufheben.“

Wenn sie das verinnerlichten, so glaubt er, würden sie die Initiative, also den Müll in die Hand nehmen. Zudem verspricht er ein Glücksgefühl, das sich auch in einzelnen Kommentaren seiner Facebook-Gemeinschaft nachlesen lässt. Denn inzwischen haben „die Aufheber“ eine eigene Facebook-Gruppe, in der momentan über 400 Mitglieder ihre Erfolgserlebnisse, Anregungen und Vorhaben teilen. Täglich kommen neue „Aufheber“ hinzu. Und auch ein eigenes Logo wurde inzwischen von einem der Mitglieder entworfen, das auch als Druck auf einem T-Shirt erhältlich ist.

Zwar streuen „die Aufheber“ ihre Ideen und Ziele nur über soziale Netzwerke in die Welt, dennoch gibt es auch Begegnungen mit Passanten, die zufällig Beobachter von einem Griff nach einer Plastiktüte oder einer Pommesgabel werden. Fragen, warum jemand freiwillig Müll vom Boden aufhebt oder ein widerwilliger Blick kommen schon mal vor. „Ich wurde mal gefragt, ob ich von der Berliner Stadtreinigung sei“, erzählt von Orlow und lächelt. „Aber es gibt auch einige, die bereits von uns gehört haben oder sogar schon mitmachen.“ Selbst bei der Arbeit sei er schon bekannt für seine Aktion.

Ertappt er jemanden beim Wegwerfen von Unrat auf die Straße, so möchte er ihn dennoch nicht ermahnen. Er möchte nur mit gutem Beispiel voran gehen und das funktioniert am besten, wenn er die Hinterlassenschaften noch vor den Augen des Umweltsünders aufhebt.

"Wir müssen etwas ändern in Berlin"

Doch genügt von Orlow dies allein nicht. Er möchte die Menschen dazu bringen regelmäßig im Sinne der Umwelt zu handeln und dadurch einen kollektiven Effekt erzielen. Und so fordert von Orlow inzwischen auch Konzerne auf, bereits bei der Produktion von Verpackungen mehr Verantwortung zu übernehmen. Erst kürzlich hat er deshalb einen großen Getränkehersteller gebeten, seine Trinkpäckchen mit einem gut erkennbaren Hinweis für die anschließende rechtmäßige Entsorgung zu versehen. Bisher aber ohne Erfolg.

„Wir müssen etwas ändern. Hier in Berlin, in Deutschland und auf der ganzen Welt“, sagt von Orlow und glaubt, dass solch ein Vergehen an der Umwelt durch Konsum entsteht. Und so wundert es kaum, dass er auch am Konsum von Zigaretten scharfe Kritik übt. Denn die Filterreste sind zahlreich und liegen laut von Orlow überall. Ob auf den Gehwegen, im Gebüsch oder in Hauseingängen. "Da hilft nur ein Umdenken im Kopf", sagt er und wünscht sich außerdem, dass die Berliner Stadtreinigung in die Müllvermeidung investiert.

Am Aktionstag für ein schönes Berlin „Gemeinsame Sache“ soll es keine Veranstaltung oder einen Workshop geben, denn „die Aufheber“ streben keine einmalige Aktion an, sondern ein generelles Bewusstsein für Müll und Umwelt. Und das täglich. „Zum ‚Aufheber' wird man nicht durch eine Unterschrift“, betont von Orlow. „Jeder, der täglich seinen Einsatz zeigt, ist herzlich willkommen.“

Dabei geht es ihm um den viralen Aspekt, der soweit geht, dass von Orlow sich vorstellen kann, dass es das Wort „Aufheber“ irgendwann in sämtlichen Sprachen gibt: „Wenn es das Wort ,Kindergarten’ in die amerikanische Sprache geschafft hat, dann schaffen wir das auch.“ Es geht ihm um eine Verhaltensänderung. Dass es kein Leichtes sein wird, weiß er und zitiert anschließend den Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz, um zu verdeutlichen, dass es dauern kann, bis ein Gedanke verinnerlicht, in eine Tat umgesetzt und diese beibehalten wird. Dennoch scheint er voller Zuversicht und hat allen Grund dazu. Schließlich sind es nur drei Dinge.

Weitere Informationen gibt es auf www.aufheber.de

Machen Sie mit: Wollen Sie – allein, mit Nachbarn, Freunden oder Ihrer Initiative – mitmachen beim Aktionstag von Tagesspiegel und Paritätischem Wohlfahrtsverband? Alle Aktionen finden Sie hier: www.gemeinsamesache.berlin. Dort können Sie auch Ihre eigene Aktion anmelden. Bei Fragen: gemeinsamesache@tagesspiegel.de

Sie alle machen mit:

Jeden Tag stellen wir Ihnen hier Projekte vor, die sich noch Helfer wünschen.

Helfer für das Rheuma-Bad

Die Rheuma-Liga bereitet die Eröffnung des Generationenbades vor, eine dringend benötigte neue Therapiestätte mit Warmwasserbecken, Gymnastikraum, Infrarot- und Kältekabinen. Helfer sind am Freitag, 7. 9., willkommen, um von 9 - 14 Uhr u.a. Unkraut zu jäten oder die Begegnungshalle vorzubereiten.

Aktionsort: Reißeckstraße 6 A, 12107 Tempelhof. Kontakt: 32 290 29 23. beyer@rheuma-liga. www.rheuma-liga-berlin.de

Märchennachmittag im KES

Der barrierefreie Kiezklug KES und freiwillige Helfer gestalten am 7. 9. von 15 - 17 Uhr einen Märchennachmittag für (nicht nur) Schöneweider Kinder mit Vorlesen, Malen, Basteln, Schminken und Spielen. Danach wird gegrillt. Anmeldung erbeten.

Aktionsort: Plönzeile 7 Haus C, 12459 Oberschöneweide. Kontakt: 90297 5415. E-Mail: Anke.Westphal@ba-tk.berlin.de. www.berlin.de/kiezklubs-tk

Merle Collet

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