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Kontrollbericht. Im Bericht für den Aufsichtsrat sollte über Baufortschritte informiert werden – deutlich wurden aber vor allem die massiven Probleme am BER.
© Kitty Kleist-Heinrich HF

Die Akte BER: Die Ampeln im Controlling-Bericht standen auf dunkelgelb

Die gelbe Ampel im Controlling-Bericht zur Großbaustelle in Schönefeld heißt: auf kritischem Weg. Das wusste der BER-Aufsichtsrat – und nahm massive Probleme in Kauf. Eine Akteneinsicht.

Diese Unterlagen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Bundestagsabgeordneten müssen sogar in die Geheimschutzstelle gehen, um sie ungeschwärzt zu lesen. Dabei geht es um ein überaus öffentliches Projekt: den neuen Hauptstadtflughafen BER – der anteilig in der Hand Berlins, Brandenburgs und des Bundes oder, anders ausgedrückt, der Öffentlichkeit liegt. Zweimal wurde der Eröffnungstermin nun schon verschoben. Und selbst beim neuen Termin 17. März 2013 ist nicht sicher, dass er gehalten werden kann. Mit dem Stand der Dinge wird sich der BER-Aufsichtsrat an diesem Freitag beschäftigen. Dabei wird es um zentrale Fragen wie Mehrkosten, Personal und die nächsten Schritte gehen.

Aber eine Frage steht dennoch im Raum: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Haben sich die Aufsichtsratsmitglieder nicht richtig informiert? Haben sie sich hinters Licht führen lassen? Sind sie ein zu großes Risiko eingegangen? Es sind Fragen, die auch in einem Untersuchungsausschuss zur BER-Pleite im Berliner Abgeordnetenhaus eine Rolle spielen werden. Gewusst haben alle Aufsichtsratsmitglieder von den Problemen – insbesondere beim Brandschutz. Doch das Ausmaß sei ihnen nicht klar gewesen, heißt es. Auch habe man sich auf die Aussagen der Geschäftsführung verlassen, dass der Eröffnungstermin nicht in Gefahr sei. Tatsächlich haben sie einem kleinen Symbol vertraut, das im Controlling-Bericht Nummer 1/12, also dem ersten im Jahr 2012, bei jedem Kapitel auftaucht: eine kleine Ampel. Sie soll signalisieren, auf welchem Weg die jeweils beschriebene Maßnahme ist. Bei den kritischen Punkten steht sie in dem Bericht meist auf Gelb – was wohl so viel heißen soll wie: Es wird schon gut gehen.

Doch nichts wurde gut. Denn eigentlich waren die Ampeln dunkelgelb. Das aber wollten oder konnten die Aufsichtsratsmitglieder – allen voran der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit und sein Vize Matthias Platzeck (beide SPD) – nicht sehen. 17 von 41 Ampeln stehen in dem Bericht auf Gelb. Mit anderen Worten, bei rund 40 Prozent aller Maßnahmen ist die Einhaltung des Inbetriebnahmetermins „auf einem kritischen Weg“, wie es die Verantwortlichen formulieren. Anders ausgedrückt: Es wird verdammt knapp. Wir dokumentieren an dieser Stelle die kritischen Positionen aus dem Controlling-Bericht 1/12, der dem Tagesspiegel vorliegt, mit ausführlichen Zitaten und anschließenden Einordnungen. Eine Akteneinsicht.

Das Flughafen-Debakel in Bildern:

ENTRAUCHUNGSANLAGEN I

Dass der Brandschutz, insbesondere die Entrauchungsanlagen das größte Problem sind, war nach Darstellung Wowereits klar. Auch in der letzten Aufsichtsratssitzung 2011 sei das bereits Thema gewesen. Doch zwischen Dezember und März verschärfte sich das Problem. Die Entrauchungsanlagen und die massiven Probleme damit tauchen an diversen Stellen im Controlling-Bericht auf. Die erste Erwähnung gibt es gleich am Anfang unter Punkt „1.0 Kosten und Termine übergeordnet“:

„Das Hauptaugenmerk liegt derzeit auf der termingerechten Fertigstellung der Ausführungsleistung im Fluggastterminal, da sich dieses im Hinblick auf die Inbetriebnahme am 03.06.2012 auf dem kritischen Weg befindet. Gründe sind einerseits die hohe Komplexität der Gebäudefunktionssteuerung sowie der sicherheitsrelevanten Anlagen (z.B. Entrauchungsanlagen) ... Von besonderer Relevanz für die behördliche Gesamtabnahme des Terminals zum 03.06.2012 sind die fortlaufenden Abstimmungen mit Behörden sowie die Erstellung der genehmigungsrechtlichen Unterlagen (z.B. Sachverständigenabnahmen). Da die Entrauchungsanlage zum 03.06.2012 nicht vollautomatisch betrieben werden kann, bedarf vor allem die Abstimmung und Erstellung eines Interimskonzeptes eines intensiven Monitorings. Die Bestätigung dieses Konzeptes durch das Bauordnungsamt ist zwingende Voraussetzung für die behördliche Gesamtabnahme. Um die noch ausstehenden Abnahmen erfolgreich durchführen zu können, sind intensive Abstimmungen und eine übergeordnete Koordination zwischen den Teilprojekten zwingend erforderlich, so dass alle behördlichen Vorgaben und Voraussetzungen erfüllt sind … Aus aktueller Sicht ist auf Basis der vorgenannten Thematik die Betriebsaufnahme zum 03.06.2012 sichergestellt, jedoch befindet sich das Projekt BBI auf dem kritischen Weg und bedarf einer sehr engen Steuerung unter Beteiligten aller Fachverantwortlichen.“

Damit ist gleich zum Auftakt des Controlling-Berichts klar, wie schwerwiegend und problematisch die Lage ist.

Damit ist gleich zum Auftakt des Controlling-Berichts klar, wie schwerwiegend und problematisch die Lage ist. Wenn zwei Monate vor der Eröffnung noch nach einem „Interimskonzept“ für die Entrauchungsanlagen gesucht wird. Nachfragen hat es auch laut Protokollen der Aufsichtsratssitzung gegeben. Aber ein echtes Nachhaken? Vielleicht sogar einen, der ernsthafte Zweifel an einer Interimslösung ausgerechnet beim Brandschutz hat? Fehlanzeige.

ENTRAUCHUNGSANLAGE II

Unter Punkt „1.1 Bereich B - Bau und Planung BBI“ wird die eben zitierte Passage beinahe wortgleich wiederholt (Seite 12) und unter Kapitel „1.1.1.2 Planung und Umsetzung Technische Gebäudeausrüstung“ heißt es etwas detaillierter: „Zur Inbetriebnahme am 03.06.2012 ist aufgrund noch erforderlicher Einregulierung kein vollautomatischer Betrieb der Entrauchungsanlage möglich. Hierzu fanden im Februar 2012 Abstimmungen mit dem übergeordneten Sachverständigen und dem Bauordnungsamt statt. Derzeit wird ein Interimskonzept erarbeitet und dem BOA (Bauordnungsamt, Anm. d. Red.) Mitte März 2012 vorgestellt. Dieses ist zwingende Voraussetzung für die behördliche Abnahme.“ Nahezu diesselbe Formulierung findet sich auch in Kapitel „1.1.3 Teilprojekt B 01 Hochbau“ (Seite 14).

Am deutlichsten und konkret wird es dann in Kapitel „2.1.2.2 Fluggastterminal“ unter Punkt 8 „Heizung, Lüftung, Sanitär, Kälte“ (Seite 46): „Trotz erbrachten Montageleistungen durch den AN (Auftragnehmer, Anm. d. Red.) befindet sich die Fertigstellung der Entrauchungsanlage auf dem kritischen Weg, da nach den erfolgten Grobmontagen nun die Feinjustierung (Verkabelung, Programmierung und Einregulierung) von entscheidender Bedeutung für die Funktionalität zur Inbetriebnahme am 03.06.2012 ist. Der Automatisierungsgrad steht damit in Abhängigkeit zum Leistungsfortschritt des GU (Generalunternehmers) I, 7.4 Sicherheitstechnik und dem GU I, 7.5 Gebäudeautomation. Aufgrund des derzeitigen Baufortschrittes und der hohen Komplexität der Entrauchungsanlage (hinsichtlich Inbetriebnahme und Einregulierung) kann diese zur Inbetriebnahme am 03.06.2012 nicht vollautomatisch betrieben werden. Dies bedeutet, dass die Entrauchungsanlage in Bereichen im Fluggastterminal im Sinne der Automatisierung nur eingeschränkt funktionsfähig ist, aber dennoch die vorgegebenen Schutzziele (erforderliche Sicherheitsstandards der Passagiere) erreicht werden.“ Im Anschluss wird noch einmal darauf hingewiesen, dass es im Februar 2012 „umfangreiche Abstimmungen“ gegeben habe.

In die Proteste gegen die geplanten Flugrouten mischt sich der Frust über das BER-Desaster:

Einige Absätze später wird ein weiteres Brandschutzproblem deutlich. (Seite 47): „Für Brandschutzklappen und Entrauchungsanlagen wurde ein Baustopp erteilt, welcher durch ein abgestimmtes Vorgehen mit den Behörden abgewendet werden sollte – die Abstimmung und Vor-Ort-Termine hierzu fanden Ende November/Anfang Dezember 2011 statt.“ Später heißt es, dass man Anträge auf „Zustimmung im Einzelfall“ gestellt habe, deren Bewilligung man (Stand 20. März) noch erwarte. Allerdings habe es eine Übereinkunft mit den Behörden gegeben, weshalb man mit dem Einbau der Klappen beginnen könne. Doch einschränkend wird hinzugefügt: „Die Fertigstellung bis zur Inbetriebnahme am 03.06.2012 ist jedoch abhängig von den Lieferzeiten – diese betragen bis zu acht Wochen, da es sich um Sonderquerschnitte handelt. Aufgrund der Verdichtung der Bauabläufe vor Ort befinden sich diese Leistungen auf dem kritischen Weg und sind ebenfalls wichtig für die behördliche Abnahme (vor allem in Bezug auf die Entrauchungsanlage).“

Aufhorchen lässt dann auch dieser Satz auf Seite 54 unter dem Kapitel „GU I,7.5 Gebäudeautomation“: „Vor allem die Fertigstellung der Gebäudefunktionssteuerung, welche alle sicherheitsrelevanten Anlagen des Flughafens (u.a. die Brandmelde- und Entrauchungsanlage sowie die Zutrittskontrollen) miteinander verbindet und untereinander steuert, ist absolut kritisch und obliegt daher einer sehr engen Steuerung und Koordination durch alle Beteiligten.“

Und was heißt das?

Und das heißt? Da wenig später in dem Bericht auch darauf hingewiesen wird, dass durch die Verzögerung beim Thema Brandschutz auch andere Baumaßnahmen am Terminal nicht vorankommen, ist klar, dass der Baufortschritt alles andere als in normalen Bahnen verläuft. Spätestens, als es heißt, dass die zentrale Steuerung der „sicherheitsrelevanten“ Anlagen „absolut kritisch“ gesehen werden muss, hätte der Aufsichtsrat reagieren müssen. Warum gab es keine Sondersitzungen? Und warum wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, alles sei auf dem Weg? Und warum haben die Verantwortlichen im Augenschein dieser massiven Probleme eigentlich so lange gewartet, bis sie die Notbremse gezogen haben? Immer wieder wird auf die Signale, die auch vom Landkreis Dahme-Spreewald kamen, verwiesen, wonach die Eröffnung nicht gefährdet sei – trotz der Brandschutzprobleme. Dass eine Behörde aber ein Interimsbrandschutzkonzept genehmigen würde, von dem nicht mal klar ist, ob das ein paar Tage oder ein paar Monate laufen soll, ist aber schon damals eher unwahrscheinlich gewesen.

SCHALLSCHUTZ

Nicht nur Kapitel, die mit dem Brandschutz- und den Entrauchungssystemen in Verbindung stehen, haben eine gelbe Ampel bekommen, auch das Thema Schallschutz steht auf Gelb. Unter Punkt „1.3 Bereich T - Technisches Facility Management“ (Seite 26) heißt es: „Die Planungsarbeiten im Rahmen des Schallschutzprogrammes BBI verlaufen zügig, mehr als 12.500 Kostenerstattungsvereinbarungen wurden versandt. Die den Eigentümern/Trägern von Einrichtungen zuzuordnende bauliche Umsetzung der Maßnahmen ist nach wie vor als zeitlich kritisch zu bewerten. Dies ist insbesondere auf die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion zur Änderung der Flugrouten sowie zu den Berechnungsgrundlagen zum Tagschutzziel zurückzuführen.“

Dieser Punkt dürfte im nächsten Controlling-Bericht noch etwas umfassender ausfallen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat am Freitag entschieden, dass die Anwohner einen besseren Schallschutz bekommen müssen – allein dadurch wird das gesamte Projekt BER noch mal teurer.

So sieht der unfertige Flughafen aus:

KOSTEN

Alle Probleme kosten Geld. Das ist auch beim BER so. Deshalb nehmen auch die Kostensteigerungen breiten Raum ein. Ursprünglich war man von 2,4 Milliarden Euro ausgegangen. Gleich auf Seite 4 heißt es nun: „Unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Aufsichtsrates beträgt das Gesamtbudget Projekt BBI Eigeninvest 2.995,5 Mio. Euro netto mit Stand 05.03.2012.“ Unter Punkt „1.5 KF - Finanzierung“ (Seite 27) heißt es weiter: „Die im vorliegenden Bericht erläuterten zusätzlichen Sachverhalte und die daraus resultierenden notwendigen Prognoseerhöhungen beschränken den finanziellen Spielraum der FBB (Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg, Anm. d. Red.) zur Abdeckung weiterer Risiken deutlich.“ Einige Seiten später wird dann unter Punkt „2.0.1 Kosten“ berichtet: „Bei Beachtung des unter TOP (Tagesordnungspunkt, Anm. d. Red.) ’Prognoseerhöhung aufgrund des erwarteten Eintritts von zusätzlichen Sachverhalten aus dem Bereich Planung & Bau BBI’ geplanten Beschlusses zur Prognose- und Budgeterhöhung im Rahmen der 104. AR-Sitzung (Aufsichtsratsitzung, Anm. d. Red.) befindet sich das Projekt im Kostenrahmen. Aufgrund des schnellen Projektfortschrittes mit dem prioritären Ziel der Sicherstellung der Inbetriebnahme am 03.06.2012 können weitere Kostenrisiken nicht ausgeschlossen werden.“

Schon im April, als von einer Verschiebung der BER-Eröffnung und dadurch entstehenden Mehrkosten noch keine Rede sein kann, ist klar, dass der Flughafen teurer wird. Denn der Aufsichtsrat hat in seiner Sitzung dieser Kostensteigerung von im Jahr 2008 geplanten 2,4 Milliarden auf nun 2,99 Milliarden Euro zugestimmt, nur haben Klaus Wowereit und Kollegen das bis Ende Mai für sich behalten. Außerdem belegen die Ausführungen zur Kostenentwicklung, dass der Aufsichtsrat im Prinzip bei jeder Sitzung mit steigenden Kosten konfrontiert wurde.

POSITIVES

Es ist ja nicht so, dass alle Baumaßnahmen beim BER auf der Kippe standen. Es gibt auch Positives in dem Bericht. So heißt es unter Punkt „GU I, 9.2 Abfallbehälter für das Fluggastterminal BBI“: „Der AN (Auftragnehmer, Anm. d. Red.), Rosconi GmbH, stellte die Abfallbehälter gemäß aktuellem Terminplan auf.“

Wer die Berliner Parks kennt, weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb: Es ist nicht alles schlecht gelaufen.

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