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Bau der Autobahn in Berlin-Treptow: Die A 100 entsteht - ein Klavierspieler bleibt

In der Stadt müssen Häuser und Kleingärten für die neue Trasse der Stadtautobahn weichen. Es hängen neue Schlösser, es ist kalt in den leeren Häusern. Doch nicht alle wollen so einfach weg.

An der Sonnenallee lässt sich schon etwas von der Autobahn erahnen. Wo früher Kleingartengrün an den Bürgersteig grenzte, liegt jetzt dunkler Asphalt. Hier wird es eine Anschlussstelle zur verlängerten A 100 geben. Nebenan im Megahotel Estrel freuen sie sich schon auf die bequeme Autobahnanbindung.

Ein paar Kilometer weiter östlich, an der Beermannstraße, ragen noch Obstbäume und Ziersträucher in den Treptower Herbsthimmel. Doch schon im nächsten Jahr sollen die jahrzehntealten Gärten abgeräumt werden. Zudem werden zwei Häuser abgerissen. Anschließend soll auch hier mit dem Bau der 3,2 Kilometer langen Trasse begonnen werden. Die Kleingärtner und Mieter wissen das schon lange, ihre Protestaktionen und Gerichtsklagen gegen die A 100 waren vergeblich. Die meisten haben resigniert aufgegeben, doch einige kämpfen weiter.

"Ich kann mir den Umzug nicht leisten"

„Das soll hier alles kalt abgewickelt werden“, sagt Benjamin S., einer der verbliebenen Mieter im Hinterhaus der Beermannstraße 24. Im Mai lief sein Mietvertrag aus, doch weil ihm keine akzeptable Ersatzwohnung angeboten worden sei, blieb er einfach im Haus. „Ich kann mir einen Umzug nicht leisten“, sagt S., der als Künstler und Kirchenmusiker arbeitet. Seine Miete ist mit 350 Euro unschlagbar günstig. So was findet er in Treptow nicht mehr.

Benjamin S. ist Künstler und Musiker. Für einen Umzug fehle ihm das Geld, sagt er und bleibt.
Benjamin S. ist Künstler und Musiker. Für einen Umzug fehle ihm das Geld, sagt er und bleibt.
© Thomas Loy

Die Senatsverwaltung stellte ihm ein Ultimatum. Bis Ende Oktober müsse er die Wohnung räumen. Die Frist verstrich, und nun ist die Rede von einer „vorzeitigen Besitzeinweisung“, einem beschleunigten Enteignungsverfahren. Damit wolle die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein langwieriges Räumungsverfahren verhindern, sagt ein Vertreter der Initiative Karlapappel, die gegen Mietsteigerungen und Verdrängung in Treptow kämpft. Eine Stellungnahme der Senatsverwaltung gibt es dazu bisher nicht. Es habe auch kein direktes Gespräch über mögliche Lösungen mit ihm gegeben, sagt S. Stattdessen sei das Schloss für den Garten des Hauses ausgetauscht worden, den die Mieter gemeinsam nutzten.

Kleingärtner sind mit Entschädigung unzufrieden

Die Senatsverwaltung sprach zuletzt von acht Mietparteien, die noch nicht ausgezogen seien. Grundsätzlich würden „mit großem Aufwand Anstrengungen unternommen, um den betroffenen Bürgern vergleichbaren Ersatzwohnraum zu beschaffen“, doch „wie bei jeder Wohnungssuche gelingt es nicht immer, alle Randbedingungen und Wünsche unter einen Hut zu bekommen“.

Ähnlich holprig verlief offenbar die Entschädigung der 23 Kleingärtner hinter den Häusern an der Beermannstraße. Im Mai wurden die Gärten und Lauben geschätzt, im September seien schließlich die Summen genannt worden, erzählt Pächterin Maria Zentgraf. „Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Für ihren 700 Quadratmeter großen Garten mit vielen großen Bäumen solle sie 2300 Euro erhalten. Dabei habe sie schon bei der Übernahme des Gartens vor acht Jahren deutlich mehr bezahlt. Auch die Aufforderung, nach der Abnahme der Gärten die Schlüssel abzugeben, erboste viele Pächter. Schließlich laufe ihr Pachtvertrag erst Ende November aus.

Weil sechs Pächter Widerspruch einlegten, kam es am Mittwoch zu einer Gartenbegehung mit Vertretern von Senat und dem ehemaligen Eigentümer Bahn-Landwirtschaft. Karlapappel machte den Termin öffentlich, also war auch Presse vor Ort, was den Behördenvertretern gar nicht gefiel. Bei der Begehung signalisierten sie schließlich, dass die Wertgutachten vom Mai noch einmal überarbeitet werden könnten. Auch die vorzeitige Schlüsselübergabe wurde zurückgenommen.

Schimmel und Feuchtigkeit ziehen in die Wände

Das Problem sei, sagte eine Pächterin, dass man wegen der A 100 kaum noch in die Gärten investiert habe. Der schlechte Zustand vieler Lauben führe nun zu einer geringeren Bewertung. Auch in die Häuser wird schon lange kein Geld mehr gesteckt. Der Nummer 22 fehlen an der Straßenfront einige Balkone, an der Hinterseite bröckelt der Putz. Die meisten Wohnungen stehen leer, was Schimmel und Feuchtigkeit in die Wände treibt. Nagelneu sind nur die Panzerschlösser, mit denen die Wohnungstüren vor unbefugtem Zutritt gesichert sind. Der Senat will verhindern, dass Obdachlose oder Flüchtlinge hier einen Unterschlupf finden.

Benjamin S. fühlt sich trotz der schwindenden Nachbarschaft wohl. Hier kann er ungestört Klavierspielen und an Kunstwerken arbeiten. Weil viele Künstler und Kreative im Haus wohnten, sei er vor acht Jahren eingezogen. Der morbide Charme des ungepflegten Gebäudes und die Wildheit der inzwischen ebenso ungepflegten Natur drum herum inspiriert ihn. An einer neuen Autobahn hat er keinen Bedarf.

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