Stadtautobahn: Unternehmer wehrt sich gegen A 100-Ausbau
Noch mehr Ärger um den Ausbau der A 100: Umweltschützer ketten sich an Bäume, Mieter protestieren gegen den Abriss ihrer Häuser. Und jetzt meldet sich auch noch José Texeira da Silva. Der Weinhändler hat ein Grundstück gekauft, das auf der Trasse liegt - und ahnte nichts davon.
Der Kreuzberger Unternehmer Jose Texeira da Silva hätte nichts gegen eine Autobahn neben seinem Grundstück. Da könnten die geräucherten Schinken, Weinkisten und Käsepaletten von der Iberischen Halbinsel noch schneller seinen Großhandel „Spanische Quelle“ erreichen. Doch für den Bau der geplanten A 100 von Neukölln zum Treptower Park soll das Gelände an der Neuköllnischen Allee, auf dem da Silva seinen Betrieb ausbauen will, in Beschlag genommen und die Lagerhalle abgerissen werden. Deshalb ist da Silva jetzt Autobahngegner und unterstützt seit Wochen Umweltschützer von Robin Wood, die auf seinem Grundstück einen Baum besetzt und ein Protestcamp eingerichtet haben.
Da Silva hat einfach Pech gehabt, könnte man denken. Autobahnen genießen in Deutschland uneingeschränkte Vorfahrt. Gemeininteresse bricht den Schutz von Einzelinteressen. Wer das nicht einsehen will, wird enteignet. Hunderte Kleingärtner haben sich schon dem Großvorhaben gebeugt. Ihre Parzellen sind abgeräumt, die Gehölze geschreddert. Doch so einfach wird sich der Unternehmer nicht vertreiben lassen.
Er hat sein Grundstück – 1800 Quadratmeter groß – erst im Juni 2011 gekauft, bei einer Zwangsversteigerung des Amtsgerichtes. Damals war längst klar, dass die Autobahn gebaut werden soll. In einem Senatsschreiben an da Silva wird bestätigt, dass schon in den Planfeststellungsunterlagen von 2009 das Grundstück als „vollständig in Anspruch zu nehmen ausgewiesen“ wurde. Die Lagerhalle sei „im Rahmen der Baumaßnahme abzureißen“.
Das hätte da Silva wissen können, hätte er sich damals für die A 100 interessiert. Als Unternehmer mit 30 Mitarbeitern hatte er anderes zu tun, sagt er. Auf jeden Fall hätte es der Gutachter wissen müssen, der das Grundstück für das Gericht bewertete. Doch das Gutachten gab nicht den aktuellen Planungsstand wieder. Und die Beamten der Bauverwaltung? „Die haben geschlafen“, sagt da Silva. Sein Anwalt, Karsten Sommer, vermutet Schlimmeres. „Die zuständigen Mitarbeiter der Senatsverwaltung haben von der Zwangsversteigerung gewusst, aber nichts getan. Das war fahrlässig.“
Die Senatsverwaltung lässt mitteilen, 2011 habe noch kein Baurecht vorgelegen, deshalb habe man nichts unternehmen können. Sommer hält dagegen: „Es gab mehrere Erwerbsfälle vor dem Baurecht.“ Ein Sprecher der Senatsbauverwaltung erklärte schon im April 2011 gegenüber dem Tagesspiegel, am Kauf der für die A 100 benötigten Grundstücke halte man fest. Dafür seien 56 Millionen Euro vorgesehen. Bislang wurden von dieser Summe nach Senatsangaben 18,5 Millionen Euro ausgegeben.
Einen kleinen Erfolg haben da Silva und die Baumbesetzer schon eingefahren
Anwalt Sommer vertritt nach eigenen Angaben sechs Mandanten mit großen Grundstücken an der geplanten Trasse. Er habe den Senat mehrmals aufgefordert, Kaufangebote abzugeben – bis heute vergeblich. „Es gibt kein Bemühen des Landes, Grundstücke zu erwerben.“
Im Fall da Silva liegen die Dinge anders. Im südlichen Trassenbereich sollen die Bauarbeiten im Sommer beginnen. Hier besteht akuter Handlungsbedarf, sonst verzögert sich der Bauablauf. Der Senat habe ihm 500 000 Euro für sein Grundstück angeboten, etwa die gleiche Summe, die da Silva bezahlt hatte. Doch der Unternehmer will eine Entschädigung für die Kreditkosten und den entgangenen Gewinn, rund drei Millionen Euro. Die Senatsverwaltung will sich aus Datenschutzgründen nicht zu dem Fall äußern.
Sommer rechnet demnächst mit einem Enteignungsbescheid, gegen den er klagen will. Wegen der Umstände des Grundstückserwerbs stehen die Chancen nicht schlecht. Möglicherweise droht den Planern eine juristische Hängepartie.
Einen kleinen Erfolg haben da Silva und die Baumbesetzer von Robin Wood schon jetzt eingefahren. Die Pappeln auf dem Grundstück sollten im Winter gefällt werden, doch mehrere Versuche konnten die Besetzer vereiteln. Wegen der beginnenden Brutsaison darf erst wieder im Herbst die Kettensäge angeworfen werden.
Bei den Kleingartenanlagen waren die Planer wesentlich eifriger bei der Arbeit. Obwohl es politisch noch keine Entscheidung gab, ob die A 100 überhaupt gebaut werden sollte, wurde schon Ende 2010 den Kleingärtnern gekündigt. Im Februar 2012 begann die Räumung der ersten Parzellen, obwohl vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die A 100 geklagt wurde. Damals fehlte auch noch eine verbindliche Zusage des Bundes über die Finanzierung des 420 Millionen Euro teuren Autobahnabschnitts.
Inzwischen sind die Kleingärten komplett gerodet, doch bei den Gewerbebetrieben an der Kiefholzstraße geht der Betrieb unverändert weiter. Die Autobahn scheint noch weit entfernt. Für die betroffenen Häuser an der Beermannstraße gilt das Gleiche. Sie sind erst 2015 dran, erklärte eine Sprecherin der Bauverwaltung.
Die Verlängerung der A 100 hat sich zu einem Langzeitprojekt entwickelt – ähnlich wie der Flughafen BER. Mit Fertigstellung rechnet der Senat im „Winter 2021/2022“. Durch den Fall da Silva erwarte man keine Verzögerungen.