Zentrum für Politische Schönheit: Deshalb wird es keine Aktionen zum Holocaust mehr geben
Philipp Ruch, Leiter des ZPS, über Aktionen zum Holocaust, Aufträge aus der Geschichte und den Schulterschluss zwischen Konservatismus und Faschismus.
Das umstrittene Mahnmal der Künstlergruppe „Zentrum für Politische Schönheit“ vor dem Reichstag sorgt seit Wochen für heftige Debatten in Deutschland. Angeblich enthält die Säule Asche von Holocaust-Opfern. Am vergangenen Wochenende versuchten Aktivisten um den deutsch-israelischen Autoren Eliyah Havemann, die Stele einzureißen. Sie hatten keinen Erfolg, die Polizei schritt ein.
Philipp Ruch, Kopf und künstlerischer Leiter des Zentrums für Politische Schönheit, verteidigt die Stele. Auf Kritik habe man längst reagiert, ihre Gegner aber ignorierten das. Ruch vergleicht die aktuelle Situation seines Kollektivs mit der des Aktionskünstlers Christoph Schlingensief. Er fordert, Debatten weniger identitätspolitisch zu führen und warnt vor dem Schulterschluss Konservativer mit Faschisten.
Herr Ruch, am Sonntag hat die Gruppe „Aktions-Künstlerkomitee“ (AKK) versucht, ihre umstrittene Gedenkstele vor dem Reichstag abzureißen. Erfolglos. Einige der Aktivisten sind Nachkommen von Holocaust-Opfern. Irritiert sie das nicht?
Wir wollten keinen Streit in Teilen der jüdischen Community säen. Wir haben auf die emotionale Kritik am Umgang mit der Asche schon nach zwei Tagen, Anfang Dezember, reagiert.
Das Kunstwerk steht trotzdem noch. Sie hätten es abbauen können.
Wir haben uns entschuldigt, die Asche aus der Stele genommen und an die Orthodoxe Rabbinerkonferenz übergeben. Dass die Asche des Holocaust heute noch überall einfach so herumliegt, ist das Desaster. Sie können nach Sobibor reisen und dort auf dem freien Feld - weitab jeder Gedenkstätte -, Knochen vom Boden aufheben. Das ist für mich die perfekte Metapher für den Zustand unseres Landes.
Anstelle der Aschevitrine befindet sich jetzt eine sogenannte Gedenksäule. Darauf steht der Schwur, den 410 vor Christus, nach einem Putsch, jeder Bürger von Athen schwören musste: „Ich schwöre Tod durch Wort und Tat, Wahl und eigne Hand – wenn ich kann – jedem der die Demokratie zerstört“, steht dort.
Ja, und auf diesen Spruch hat nun jemand mit dem Vorschlaghammer eingehauen, weil er wohl geglaubt hat, die Asche seines Großvaters sei noch in der Säule. Er hat sie sogar aufgeschraubt, um nachzusehen.
Warum hatten Sie sich diesmal entschieden, um Entschuldigung zu bitten und, nach ihren Worten, umzudenken?
Wir wollten aufwühlen, aber niemanden verletzen. Und das Letzte, was wir wollten, war ein Identitätsdiskurs. Mein gesamtes künstlerisches und politisches Schaffen zielt darauf ab, „Mensch“ zu sagen, von „der Menschheit“ zu sprechen. Mir macht die Ethnisierung große Sorgen, die „Identitarisierung“ unserer Debatten – Rederechtevergabe inklusive.
Was meinen Sie damit?
„Die Juden“, das war für viele nicht zuletzt eine Zuschreibung durch die Täter – die Nationalsozialisten. In den Tagebüchern aus den 20er Jahren, etwa bei Gabriele Tergit oder Ruth Andreas-Friedrich, findet sich noch das Erstaunen darüber, dass man jetzt plötzlich nicht mehr Deutsche sei. Ich finde diese Hegemonialdebatten widerlich.
Das diagnostizieren Sie heute wieder?
Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der nur ertrunkene Flüchtlinge sich für ertrunkene Flüchtlinge einsetzen oder Juden sich zum Holocaust äußern dürfen. Der Holocaust geht nicht nur alle Juden und alle Deutschen an; er geht uns alle an. Egal, was wir sind. Im Zentrum für Politische Schönheit gibt es Juden. Sollen wir jetzt durchzählen, wer wie viele Angehörige verloren hat?
Ihnen wird vorgeworfen, Ihre Kritiker zu verhöhnen. Sie boten den Aktivisten um den Autor Eliyah Havemann nach deren gescheiterter Abrissaktion unter anderem „Nachhilfe” an.
Wir verhöhnen niemanden. Das Zentrum für Politische Schönheit ist kein Häkelverein. Wir machen radikale politische Kunst. Wir haben auf die Kritik reagiert. Das kann man anerkennen oder nicht. Gut, jetzt hat jemand nachgesehen und die Öffentlichkeit weiß: Es ist keine Asche mehr in der Säule zurückgeblieben.
Sie fühlen sich noch immer missverstanden?
Ganz und gar nicht. Diese Form der Gewalt gegen Kunst lässt mich an den Auftritt des schwarz vermummten Blocks in Christoph Schlingensiefs „Ausländer raus“ denken.
Schlingensief hatte damals in Wien einen Container aufgestellt und dort Schilder mit dem Slogan „Ausländer Raus!“ angebracht. Er wollte damit nach eigener Aussage auf die grassierende Ausländerfeindlichkeit im Land hinweisen.
Ja, und die Antifa kam, riss das „Ausländer Raus!“-Schild herunter und zertrümmerte es. Die Krolloper muss ein zentraler Gedenkort werden. Diese Geschichte hat uns mehr zu erzählen, als wir glauben.
Für einen Gedenkort fehlt Ihnen aber die Genehmigung. Der Bezirk Mitte hatte Ihnen eine Frist bis zum 20. Dezember 2019 gesetzt, um die Säule abzubauen. Sie haben das verstreichen lassen, die Stele steht immer noch. Warum reißen Sie sich nicht selbst ab?
Wir haben Widerspruch eingelegt. Aus unserer Sicht überwiegt das öffentliche Interesse. Die Krolloper, wo der deutsche Konservatismus die deutsche Demokratie in die Hände von Mördern legte, muss gedenkpolitisch markiert werden. Das ist jedenfalls für die „Macht der Geschichte“ zentraler als das Preußenblau am Berliner Stadtschloss.
Nach dem Reichstagsbrand 1933 zogen die Parlamentarier in das Gebäude der Krolloper – und verabschiedeten dort das Ermächtigungsgesetz. Es war die Grundlage für die nationalsozialistische Diktatur.
Ja, der deutsche Konservatismus darf nicht noch einmal gemeinsame Sache mit Faschisten machen. Der Ort der Mahnung dafür ist die Krolloper. Das Gelände liegt brach. Es gibt dort keinerlei Erinnerung an den Umstand, dass Faschisten Koalitionspartner brauchen. Auch die NSDAP kam nur auf 33 Prozent. Der Weg an die Macht für die neue NSDAP führt über die Union. Deshalb müssen wir den Konservativen mit großem Misstrauen beobachten und als das ansehen, was er ist: ein einziger Gefahrenherd für die Stabilität der Demokratie. Der schlechte Konservatismus wird uns verraten.
Ihre Aktion hat dafür gesorgt, dass auch in der jüdischen Community gestritten wurde über Zustimmung und Ablehnung. Sie haben so gespalten, oder nicht?
Wir haben zum ersten Mal eine Aktion zum Holocaust selbst gemacht. Es wird die Letzte sein. Aber der Holocaust ist und bleibt die Motivation für all unsere Aktionen und keine wird man vollends verstehen, ohne an ihn zu denken. Die Inspiration für „Sucht nach uns“ hatten wir aus Lea Roshs Zahn.
Die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals, Lea Rosh, wollte zur Eröffnung im Jahr 2005 den Backenzahn eines ermordeten Juden in eine der Stelen einzulassen. Es gab heftige Kritik, Rosh gab den Zahn zurück. Sie zogen ihre Aktion dagegen durch.
Es ist für mich unfassbar, was bei der Eröffnung des Mahnmals losbrach. Wenn dieses Land schon einen einzelnen Zahn nicht aushält, wie sollte es dann die ganze Asche aushalten?
Wenn es so unfassbar ist, warum haben Sie dann doch neu konzipiert?
Der Moment, als wir sahen, dass niemand über das eigentliche Anliegen sprach, nämlich der Warnung vor dem Schulterschluss zwischen Konservatismus und Faschismus. Es gibt einen Auftrag an uns alle, direkt aus dem Holocaust: den Faschismus zu stoppen. Heute werden Naziparolen offen auf den Straßen gebrüllt, jüdische Synagogen angegriffen, Menschen gejagt, Todeslisten angelegt und CDU-Politiker hingerichtet. Was tun wir? Was tun wir, um den Faschismus zu bekämpfen?
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität