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Das Denkmal für NS-Opfer des Zentrums für politische Schönheit.
© REUTERS/Hannibal Hanschke
Update

Bund kritisiert Zentrum für Politische Schönheit: Aktion mit Asche von NS-Opfern „pietätlos“

Die Bundesregierung und der Zentralrat der Juden verurteilen die provokative Aktion in Berlin. In deren Rahmen wurde nun auch ein Grabstein entwendet.

Die Bundesregierung hat sich in die Diskussion um eine Aktion des Künstlerkollektivs „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) eingeschaltet. Die Bundesregierung achte die Kunstfreiheit, sagte eine Regierungssprecherin am Dienstag in Berlin. Sollte es sich aber bewahrheiten, dass sich in der am Reichstagsgebäude aufgestellten Gedenksäule Asche von Holocaust-Opfern aus Auschwitz befinde, wäre das „pietätlos und geschichtsvergessen“.

Die „Gedenksäule gegen den Verrat an der Demokratie“ war am Montag in der Nähe des Reichstagsgebäudes aufgestellt worden. Auf verteilten Pressemitteilungen des ZPS heißt es nach Medienberichten, dass es sich um Asche von Holocaust-Opfen handele. Auf Facebook schreibt die Gruppe, sie habe „eine Gedenksäule mit der Asche der Ermordeten Hitlerdeutschlands mitten in die Republik gebaut, um an den Verrat an der Demokratie zu erinnern. An dem Ort, an dem die Konservativen 1933 die Macht und die deutsche Demokratie leichtfertig in die Hände von Mördern legten. Nie wieder vergessen!“

Die Aktion stieß auch auf Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland. Aus jüdischer Sicht sei die Aktion problematisch, weil sie gegen das jüdische Religionsgesetz der Totenruhe verstößt, teilte der Zentralrat am Dienstag auf Twitter mit: „Sollte es sich tatsächlich um Asche von Schoa-Opfern handeln, dann wurde die Totenruhe gestört.“

Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem äußerte sich zurückhaltend. „Wir glauben, dass eine respektvolle künstlerische Darstellung des Themas legitim sein kann, so lange sie in keiner Weise das Andenken an den Holocaust beleidigt, herabsetzt oder entweiht“, hieß es in einer Stellungnahme. „Yad Vashem bittet deshalb Künstler dringend, verantwortungsbewusst zu handeln und die Erinnerung an die Opfer des Holocaust sowie an die Überlebenden zu respektieren, die die Gräuel dieser Ära ertragen haben.“

Grabstein im Saarland ausgegraben

Das Zentrum für Politische Schönheit hat unterdessen offenbar im Saarland den Grabstein eines politischen Wegbereiters des Nationalsozialismus entwendet und ist damit auf dem Weg nach Berlin. Das erklärte die Gruppe am Dienstagvormittag in einer Pressemitteilung.

"Franz von Papen ist in der Gewalt des Zentrums für Politische Schönheit" teilt die Gruppe in der Presseerklärung mit. "Hitlers Ermächtiger, verantwortlich für Millionen Tote in ganz Europa, Hauptangeklagter für den deutschen Konservatismus in Nürnberg, wurde nach dem Krieg mit vier Jahren 'Haft', vorzeitiger Entlassung, Rückgabe seines gesamten Kriegsverbrechervermögens und einem Ehrengrab in Wallerfangen 'bestraft'."

Der Politiker von Papen war ab 1938 in der NSDAP und gilt als einer der Wegbereiter Adolf Hitlers und seiner Partei gegen Ende der Weimarer Republik.

Das Zentrum für Politische Schönheit stellt die Frage: "Geht so deutsche Erinnerungskultur?" Man habe "Franz von Papen entführt, um diesen Zustand zu beenden". Er sei jetzt auf dem Weg nach Berlin, "um für die Öffentlichkeit die historische Schuld des deutschen Konservatismus aufzuarbeiten".

Zuvor hatte die Gruppe ein Foto ihrer Aktion auf Twitter veröffentlicht: "BREAKING: Franz von Papen ist in unserer Gewalt!", heißt es darin, dazu ist das Foto eines Grabsteins zu sehen.

Säule mit der Asche von NS-Opfern

Die Gruppe hatte am Vortag mit einer Aktion auf sich aufmerksam gemacht, in der es ebenfalls um den Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus geht. Am Montagmorgen errichteten sie zwischen Reichstag und Bundeskanzleramt eine "Säule gegen den Verrat an der Demokratie".

Auf dem Weg nach Berlin? Dieses Foto des Grabsteins veröffentlichten die Aktivisten am Dienstag.
Auf dem Weg nach Berlin? Dieses Foto des Grabsteins veröffentlichten die Aktivisten am Dienstag.
© Zentrum für Politische Schönheit

Das improvisierte Mahnmal soll an das 1933 vom Reichstag verabschiedete Ermächtigungsgesetz erinnern. Es war die Grundlage für die Aufhebung der Gewaltenteilung und Festigung der nationalsozialistischen Diktatur. Besonders viel Aufsehen erregte die Aktion, da die Stele die Asche von NS-Opfern enthalten soll.

"Den deutschen Konservatismus an seine historische Schuld erinnern"

Die improvisierte Gedenkstätte steht auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper, in der die Reichstagsabgeordneten im März 1933 für das Ermächtigungsgesetz stimmten, eine wichtige Grundlage für die Diktatur der Nationalsozialisten. „Es geht um die letzte deutsche Diktatur und darum, ob sie uns wieder droht“, sagte ZPS-Gründer Philipp Ruch am Montag. Die in der Stahlsäule enthaltene Asche von Opfern der Massenmorde der Nazis sei in mehreren Ländern an Orten der Nazi-Verbrechen geborgen worden.

In diesem Kontext will die Gruppe die Überführung des Grabsteins Franz von Papen vermitteln. Der Politiker, der bis 1932 der Zentrumspartei angehörte, war ab 1938 in der NSDAP und gilt als einer der Wegbereiter Adolf Hitlers und seiner Partei gegen Ende der Weimarer Republik.

Die Argumentation des Zentrums für politische Schönheit: So wie einst von Papen und andere rechtskonservative Politiker in der Weimarer Republik den Nationalsozialisten den Weg bereitet hätten, so könne heute die AfD mit Hilfe konservativer Politiker an Einfluss gewinnen.

"Der einzig vorstellbare Weg an die Macht führt auch für die AfD über die CDU/CSU", heißt es in der Erklärung der Gruppe. "Kreise des Konservatismus (Christian von Stetten, Hans-Georg Maaßen, Mike Mohring, Werner Patzelt und andere Dilettanten) strecken heute schon wieder die Hand nach Faschisten aus. Sie machen sich öffentlich Gedanken, ob die AfD nicht doch ein guter Regierungspartner (oder Tolerierer einer Minderheitenregierung) wäre."

Die "Gedenkstätte" mit der Asche der Ermordeten der Nazi-Diktatur erinnere "den deutschen Konservatismus an seine historische Schuld, sich mit den Faschisten eingelassen zu haben: es nicht mit ihnen zu versuchen, nicht mit ihnen zu paktieren – das ist das Gebot der Stunde."

Das Zentrum für politischen Schönheit fordert in ultimativem Ton die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion auf, bei einem Besuch der Installation "feierlich zu geloben, jeden Versuch der Diktatur im Keim zu ersticken und niemals – niemals! – eine Regierung mit Hilfe oder mit Duldung der AfD zu bilden, solange diese von Verfassungsfeinden, Holocaust-Leugnern und Faschisten beherrscht wird. Ihre An- oder Abwesenheit wird vor Ort dokumentiert."

Aktionen vor dem Wohnhaus von Björn Höcke

Das „Zentrum für politische Schönheit“ ist bereits mehrfach mit Aktionen aufgefallen, die Aufsehen erregt haben. So hatte es vor gut zwei Jahren eine Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals in Nachbarschaft des Wohnhauses des AfD-Politikers Björn Höcke in Thüringen aufgestellt.

Über der nun errichteten sogenannten Gedenkstätte ist der Schriftzug „Gedenken heißt Kämpfen“ zu lesen. Und in Großbuchstaben „Keinen Schritt weiter! Hier begann die letzte deutsche Diktatur“. Grablichter brennen, es gibt Blumensträuße, darüber hängen Zettel mit Texten wie „Vergesst sie nicht“ oder „Gegen politischen Alzheimer in Deutschland“.

Nach Angaben der Polizei ist die Veranstaltung bis zum 7. Dezember angemeldet. Das Künstlerkollektiv hat allerdings angekündigt, Spenden sammeln zu wollen, um am kommenden Samstag ein Betonfundament für die Säule zu gießen, wenn genügend Geld dafür zusammenkommt.

Lea Rosh, Vorsitzende des Fördervereins „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, nannte die ZPS-Aktion großartig. „Es ist ja eine politische Botschaft, die damit einhergeht. Es ist die Botschaft: Guckt hin, hier ist die Macht an die Nazis übertragen worden.“

Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, kritisierte die Aktion hingegen: „Auschwitz-Überlebende sind bestürzt darüber, dass mit diesem Mahnmal ihre Empfindungen und die ewige Totenruhe ihrer ermordeten Angehörigen verletzt werden.“ (mit dpa, KNA, epd)

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