Bombenkrieg in Berlin: Der Todesstoß für die Reichshauptstadt
"Was ist, wenn wir hier alle lebendig begraben werden?", fragten sie sich in den Tresorräumen und Bunkern. Draußen raste am 3. Februar 1945 der schlimmste Bombenangriff auf Berlin. Danach war die Stadt zerstört. Ein schmerzvoller Rückblick.
Das Erlebnis dieser Stunden hat sich tief in die Erinnerung gegraben. Am 3. Februar 1945, später Vormittag, begann das wohl größte Bombardement auf Berlin. Vera Marzillier heiratete 1951 sogar am 3. Februar, genau sechs Jahre nachdem sie aus dem Luftschutzkeller ans Licht kam – „es war der schlimmste Tag meines Lebens“. Und zugleich so etwas wie ihre Wiedergeburt. Denn der Tod, der aus den Bomberschächten kam, war über die Mitte Berlins gerast, das Stadtzentrum versank in Schutt und Asche, in den Luftschutzkellern saßen Frauen und Kinder – die Männer kämpften an immer näher rückenden Fronten, auch Vera Marzilliers Vater. So zittern die Mutter und das 15-jährige Mädchen in der Pflugstraße in einem Keller, die Einschläge kommen näher, der nahe Stettiner Bahnhof ist das Ziel der „fliegenden Festungen“. Plötzlich flackert das Licht, dann erlischt es, der Strahl einer Taschenlampe gleitet über die Gesichter verängstigter Menschen und gefaltete Hände, „wir haben uns aneinandergeschmiegt und gedacht: Jetzt geht es zu Ende“.
Kaum kamen sie lebend aus den Kellern und nagelten notdürftig Pappen in die Fensterhöhlen ihrer beschädigten Wohnungen, da heulten schon wieder die Sirenen. Das Brummen von fast 1000 Bombern und 600 Jagdfliegern der United States Army Air Forces (USAAF) erfüllte die Luft, 1854,5 Tonnen Spreng- und 539,5 Tonnen Brandbomben fielen auf das Zentrum, 2296 Gebäude wurden total, 909 schwer und 1188 mittelschwer beschädigt. 2500 Tote wurden gezählt. Noch Jahre später wurden beim Ausschachten von Kellerräumen für Neubaufundamente Skelette geborgen.
Der Historiker Laurenz Demps nennt in seinem Buch „Luftangriffe auf Berlin“ im Ch. Links Verlag beachtliche Zahlen: 29 379 amerikanische und britische Flugzeuge hatten bei der „Schlacht um Berlin“ im Zweiten Weltkrieg ihre todbringenden Lasten abgeworfen. In der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 21. April 1945 war nach Berichten der Hauptluftschutzstelle 389 Mal Fliegeralarm gegeben worden. Berlin war die mit am meisten aus der Luft angegriffene deutsche Stadt. Am stärksten blieb den Berlinern der Angriff vom 3. Februar 1945 in Erinnerung, da durch ihn die letzten Reste des Zentrums zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz in Trümmer sanken. Sein Schwerpunkt lag um den Spittelmarkt, den Moritzplatz sowie das Neanderviertel, das heutige Heinrich-Heine-Viertel. Überall in der Stadt brannte es lichterloh, auch im Bayerischen Viertel. Mit mindestens 2541 Toten, 714 Vermissten, 1688 Verwundeten und 119 057 Obdachlosen war dies der schwerste Schlag gegen Berlin. Demps bezeichnet die britische Schlacht um Berlin, die die Moral der Bevölkerung schwächen und eine Art Revolution gegen die Naziführung auslösen sollte, als „große Fehlspekulation“, denn „der Zweite Weltkrieg wurde nicht durch den Bombenkrieg entschieden, sondern durch die gewaltigen Anstrengungen der Landstreitkräfte, insbesondere der Roten Armee, die in großen Schlachten der Wehrmacht Niederlage auf Niederlage beibrachte und 1945 Berlin als das Zentrum des NS-Machtbereichs eroberte und zugleich befreite“.
"Wir können Berlin einäschern"
Der britische Luftmarschall Arthur Harris hatte am 3. November 1943 seinem Premier Winston Churchill versichert: „Wir können Berlin von einem Ende bis zum andern einäschern, wenn sich die USAAF anschließt. Es wird uns 400 bis 500 Flugzeuge kosten. Es wird Deutschland den Krieg kosten.“ Am Ende schickte US-Präsident Truman seinen Vertrauten Harry Hopkins nach Berlin. Der flog über die Trümmerlandschaft dieser „Radierung von Churchill“, wie sie Bert Brecht bildhaft beschrieb, und notierte: „Das zweite Karthago!“ Die Deutschen hatten zwar den Luftkrieg begonnen, aber man fragt sich heute noch, ob es nötig war, die Hauptstadt Deutschlands oder zehn Tage später Dresden kurz vor dem absehbaren Ende des Krieges in Schutt und Asche zu legen. Die Hoffnung auch der Bomberpiloten, dass die Berliner gegen ihre Nazis auf die Barrikaden gehen, hatte sich längst als Illusion erwiesen. Sie ertrugen ihr Schicksal, fürchteten das Nazi-Netzwerk vom Block- bis zum Luftschutzwart und hatten Angst. Erst vor SS und Nazi-Spitzeln, dann vor den Russen. Aber ihren Sarkasmus verloren sie nicht. Charlottenburg wurde im Volksmund zu „Klamottenburg“, Steglitz zu „Stehtnix“ und Lichterfelde zu Trichterfelde. Und man verabschiedete sich mit der Hoffnung „Bleib übrig!“.
„Bombenwetter“ sagt auch Karola Greve, Angestellte der Preußischen Staatsbank, als sie am 3. Februar 1945 zu ihrer Arbeitsstelle am Gendarmenmarkt geht. Um 10 Uhr 27 heulen die Sirenen. „Ich schaffe es gerade noch in den Tieftresorraum. Das Pfeifen und Explodieren der Bomben und Luftminen ist dort nur noch als Grummeln zu hören, aber plötzlich verlischt das Licht, jemand zündet eine Kerze an, und einer fragt in die Stille: Was wird aus uns, wenn wir hier lebendig begraben werden?“ Da man sich zwischen den Tresoren befand, in denen die Reichen der Reichshauptstadt ihre Wertgegenstände deponiert hatten, spendeten sie sich gegenseitig Trost: „Die werden im Falle eines Falles schon dafür sorgen, dass sie an ihren Schmuck kommen, und dann sind wir fein raus.“
Die langen breiten Straßen waren Berlins Glück im Unglück
Als die Operation „Donnerschlag“ (Thunderclap) mit zwei Angriffswellen nach 90 Minuten zu Ende ist, lobt die Air Force das Bombardement als „einen der hervorragendsten Angriffe“: Die Gegenden um die Bahnhöfe Schöneberg, Papestraße, Tempelhof und der Anhalter Bahnhof bieten ein Bild der Verwüstung, das Zeitungsviertel steht in Flammen, die Regierungsbauten der Wilhelmstraße sind getroffen, die Altstadt ist weg. Dom, Staatsoper, Stadtschloss – rauchende Trümmer. Das Zentrum ist Geschichte. Einer der Toten ist Roland Freisler, der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofs. Er wird in seinem Büro in der Bellevuestraße von einem herabfallenden Balken erschlagen.
Die Journalistin Ursula von Kardorff beschreibt das Bild, als sie den Adlon-Bunker verlässt: „Kein Stückchen Himmel zu sehen, nur gelbe, giftige Rauchschwaden. Am Potsdamer Platz brannte das Columbushaus wie eine Fackel. Wir wanderten inmitten eines Stroms grauer, gebückter Gestalten, die ihre Habseligkeiten mit sich trugen. Ausgebombte, mühselig beladene Kreaturen, die aus dem Nichts zu kommen schienen, um ins Nichts zu gehen. Kaum zu merken, dass der Abend sich über die glühende Stadt senkte, so dunkel war es auch tagsüber schon…“
So ähnlich erlebt es Karola Greve, als sie aus dem Tieftresor der Bank ans Licht kommt. „Staub und Rauch machen den Tag zum Abend. Der Gendarmenmarkt liegt im Dunkel, doch aus den Türmen der beiden Dome lodern Flammen. Unser Nachbarhaus in der Jägerstraße war von einer Luftmine getroffen worden, das Schauspielhaus ist ein Trümmerhaufen. Wir laufen durch Schuttberge, können kaum atmen, halten uns unsere Schals vors Gesicht. Die Stadtbahn fährt nicht. Um nach Johannisthal zu gelangen, laufe ich bis zur Frankfurter Allee, dort funktioniert die S-Bahn. Aber vorher stolpern wir über Trümmerberge, gesäumt von Toten oder Menschen, die ihre Habe suchen, und immer warnen Schilder: ,Achtung! Blindgänger!‘“
Dennoch hätte es viel schlimmer kommen können. „Berlin verdankte dies einem besonderen Umstand“, erläutert Laurenz Demps: „Die Häuser waren aus Stein gebaut. Lange Straßen führten aus der Stadt, Straßen, die breit genug waren, wie Schneisen im Feuer zu wirken. Im Gegensatz zu Altstädten wie Hamburg und Lübeck oder Magdeburg, Halberstadt und Potsdam erhob sich hier nicht der gefürchtete Feuersturm, der in den dort mit viel Holz gebauten Häusern und in den engen Gassen und Straßen der mittelalterlichen Städte genug Nahrung fand“.
"Berlin wurde an einem Tage vernichtet"
Der Tagesspiegel kommentierte „Das Ende von Berlin“ am 3. Februar 1946 so: „Das wunde Berlin wurde an diesem Tage vernichtet. Was dann später in den zwei Monaten geschah, da sich die Schlacht aus dem Osten bis an den Tiergarten heranwälzte, war der Schlußpunkt unter eine Entwicklung, die im August 1943 begonnen hatte. Seit dem Vormittag des 3. Februar sah Berlin aus wie eine Stadt, über die eine Schlacht gerast war. Ruinen, starrende Höhlen, tiefe Krater – das ist der letzte Eindruck, der vom Berlin jener Tage geblieben ist.“
„Das Ende war ein Anfang“, sagt Karola Greve heute, und Vera Marzillier zeigt ein Foto, wie sie mit anderen Trümmerfrauen eine Lore voller Steine schiebt. Die damals 15-Jährige ist noch heute stolz über ihr Dasein als Steineklopfmädchen: „So traurig alles war – wir lebten. Wir lebten auf. Wir waren nicht vergrämt, denn wir konnten endlich in Frieden aufbauen. Es ging voran.“