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McNamara’s Band. Wenige Wochen vor dem Angriff auf Berlin entstand diese Aufnahme der Crew vor ihrer B-24. Leo Penn ist der Zweite von links oben.
© Dave Krakow / www.458bg.com

Bomben auf die Reichshauptstadt Berlin: Filmregisseur Leo Penn: "Ich habe euch bombardiert"

Mit seinem Sohn Sean drehte Regisseur Leo Penn in Berlin einst einen Film über eine Flugzeugentführung. Am 29. April 1944, vor 70 Jahren, war er schon einmal hier – als Bombenschütze bei einem Luftangriff der Amerikaner.

An sich eine normale Fliegerjacke, die US-Bomberpiloten haben sie im Zweiten Weltkrieg zigtausendfach getragen. Abgewetztes Leder, pelzgefüttert, man würde damit kaum auffallen. Wenn die Verzierungen nicht wären: 34 stilisierte Bomben, vorne sieben, die übrigen auf dem Rücken, Symbole des Todes, jede das Zeichen für einen Einsatz, den der Träger der Jacke überlebt hat, viele seiner Opfer wohl nicht. Auch ein Emblem auf der linken Brustseite zeigt zur Karikatur verfremdet dieses Motiv, die auf dem Rücken über dem Bombenteppich abgebildete viermotorige Maschine bleibt ebenfalls in der Bilderwelt von Krieg und Zerstörung. Nur der Namenszug darüber irritiert: „McNamara’s Band“.

Wo fotografiert man so ein Kleidungsstück? „Am besten vor dem Anhalter Bahnhof“, hat Stefan Diepenbrock vorgeschlagen, Mitte 50, als Regieassistent, Herstellungsleiter, Produzent und anderes mehr seit gut 30 Jahren im Filmgeschäft, der Besitzer der Jacke. Vielleicht wurde sie ja tatsächlich bei einem Angriff auf Berlin getragen, genau über dem Bahnhof, sieben, acht Kilometer hoch. Und vor der Kriegsruine hat schließlich für Diepenbrock die Geschichte mit der Jacke begonnen, auch wenn er sie erst Jahre später geschenkt bekam – von Leo Penn, Weltkriegsveteran und Filmregisseur.

Ein Sonnentag Ende Mai, Anfang Juni 1987. Mitte Juli sollen die Dreharbeiten zu Penns Film „Judgment in Berlin“ („Ein Richter für Berlin“) beginnen, eine US-Produktion über die Entführung einer LOT-Maschine am 30. August 1978 nach Tempelhof durch einen Ost-Berliner. In der Folge wurde erstmals ein ziviles US-Gericht („United States Court for Berlin“) in der Stadt eingesetzt – West-Berliner Geschworene, amerikanisches Verfahrensrecht. Schließlich war der damals nicht zivil genutzte Flughafen gewissermaßen US-Territorium. Der das Verfahren leitende Richter Herbert J. Stern schrieb darüber ein Buch, Grundlage des Films.

Die Darsteller aus Übersee wurden erst später erwartet, in der Titelrolle Martin Sheen („Apocalypse Now“), dazu Sean Penn, der mittlere der drei Söhne des Regisseurs, damals noch verheiratet mit Madonna. Er sollte einen Ost-Passagier spielen, der im Westen bleibt und dessen Aussage prozessentscheidend wird. Heinz Hoenig war als Entführer vorgesehen, Jutta Speidel als seine Bekannte.

Ein Frühlingstag also, Stadtbesichtigung im Golf-Kabrio, Regieassistent Diepenbrock macht den Fremdenführer: In Berlin sei er noch nie gewesen, hat Penn ihm gesagt. Also die übliche Tour, Olympiastadion, Schloss Charlottenburg, Flughafen Tempelhof, wo die Geschichte spielt und zentrale Szenen, unterstützt durch die US-Militärbehörde, gedreht werden sollen, weiter zur Mauer und der Wüstenei des Potsdamer Platzes, vorbei am Anhalter Bahnhof. Eigentlich Zufall, dass sie dort landen. Diepenbrock fährt rechts ran, holt Bücher heraus, die er mitgebracht hat, erzählt von der Geschichte des Bahnhofs – und muss abbrechen: Leo Penn hat angefangen zu weinen, ist völlig aufgewühlt, will aber nicht darüber reden, was ihn so aus der Fassung gebracht hat.

Erst abends beim Essen habe Penn zu erzählen begonnen, schildert Diepenbrock. In den folgenden Wochen hätten sie oft über die Erlebnisse gesprochen, die in Penns Erinnerung so lange verschüttet, wohl auch verdrängt und im Anblick der Kriegsruine plötzlich durch die Oberfläche gebrochen waren – zumal er offenbar glaubte, selbst an der Zerstörung des Bahnhofs beteiligt gewesen zu sein. Denn am 29. April 1944, diesen Dienstag vor 70 Jahren, war auch Penn über der Stadt gewesen, als Bombenschütze einer B-24 „Liberator“, deren Crew sich nach ihrem Piloten „McNamara’s Band“ nannte. Ihr Hauptziel: der Bahnhof Friedrichstraße.

Der Angriff auf Berlin, der 193. von 378, ist gut rekonstruierbar, weniger durch die Berichte in der Tagespresse, die wie der „Berliner Lokal-Anzeiger“ von „einer der erbittertsten Luftschlachten dieses Krieges“ schrieb, die Leistungen der Luftabwehr („Deutsche Jäger wie reißende Wölfe“) pries und auf Schäden und Opfer nur am Rande einging. Doch es gibt den Bericht der Hauptschutzstelle der Stadtverwaltung Berlin, und auf militärhistorischen Websites in den USA wie www.458bg.com, die auch die Geschichte bestimmter Einheiten nachzeichnen, findet man faksimiliert sogar den „Tactical Mission Report" und die Namenslisten beteiligter Besatzungen. Auch First Lieutenant Leo Z. Penn taucht auf.

Der Angriff kostete 335 Menschen in Berlin das Leben

Mit Bombenschmuck. Stefan Diepenbrock erhielt von Regisseur Leo Penn dessen Fliegerjacke. Im Hintergrund die Ruine des Anhalter Bahnhofs, der beim Angriff am 29. April 1944 ebenfalls getroffen wurde.
Mit Bombenschmuck. Stefan Diepenbrock erhielt von Regisseur Leo Penn dessen Fliegerjacke. Im Hintergrund die Ruine des Anhalter Bahnhofs, der beim Angriff am 29. April 1944 ebenfalls getroffen wurde.
© Thilo Rückeis

Sie kamen in drei Wellen. Kurz nach 9 Uhr waren die B-17 und B-24 der 8. Luftflotte an der englischen Südostküste gestartet, anfangs mit Begleitschutz, insgesamt 679 Maschinen, von denen 580 über Berlin ankamen, beladen mit rund 700 Tonnen Spreng- und ebenso vielen Brandbomben. Die Bomberpulks nahmen ihren Weg über Hannover und Celle, dann weiter zum Dümmersee im heutigen Mecklenburg-Vorpommern, drehten ab nach Südosten Richtung Reichshauptstadt, wiederholt von Flak und Jägern attackiert. Um 10.41 Uhr wurde in Berlin „Luftgefahr“ gemeldet, eine halbe Stunde später der Fliegeralarm ausgelöst. Erst kamen zwei Wellen mit „Fliegenden Festungen“, dann die „Liberator“-Bomber, darunter auch „McNamara’s Band“, 755th Squadron, 458th Bombardement Group, 8th Air Force, mit Leo Penn als Bombenschütze.

Der Angriff sollte sich auf den Bahnhof Friedrichstraße als einen der „Schlüsselpunkte des innerstädtischen Personenverkehrs“ konzentrieren, wie es im Angriffsbefehl hieß. Allerdings war Berlin teilweise von Wolken verdeckt: Der Bahnhof Friedrichstraße wurde knapp verfehlt. Dafür traf es andere. „Der Angriff der einen Welle begann im Bezirk Mitte südlich der Straße Unter den Linden, berührte den Südostteil des Bezirks Tiergarten und folgte dann der Wannseebahn“, hieß es im Bericht der Hauptluftschutzstelle. Danach waren Kreuzberg, Neukölln, wieder Tiergarten und Tempelhof dran, zuletzt die Umgebung des Bahnhofs Grunewald.

Als „bemerkenswerte Schadensstellen“ wurden für Kreuzberg unter anderem der „Haupteingang Anhalter Bahnhof, Anhalter Personen- und Güterbahnhof“ genannt – der Ort, an dem Leo Penn 43 Jahre später in Tränen ausbrechen sollte. Insgesamt fanden bei dem knapp einstündigen Angriff 335 Menschen den Tod, davon 34 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. 510 (28) wurden verwundet, 13 760 obdachlos oder evakuiert, 65 blieben vermisst. Die Amerikaner verloren 26 B-17, 38 B-24 und 14 Jäger, weitere Maschinen gingen bei der Landung zu Bruch.

Ob die Bomberjacke dabei war, ob sie überhaupt echt ist? Schwer zu sagen. „It’s yours“ – mit diesem knappen Satz hatte Penn, der noch ein zweites Mal über Berlin gewesen sein will, sie Diepenbrock überreicht, als dieser ihn später in Malibu besuchte. „Air Force Jacket US-Army Style“ steht innen auf einem Aufnäher. Diepenbrock ist sich durchaus bewusst, dass Penn als Mann vom Film kein Problem gehabt hätte, solch eine „echte“ Jacke zu besorgen. Auch der Name „McNamara’s Band“ wirft Fragen auf: Er scheint auf Bing Crosbys gleichnamigen Song anzuspielen, doch der wurde erst nach dem Krieg veröffentlicht und bezieht sich seinerseits auf eine populäre Musikgruppe irischer Einwanderer im frühen 20. Jahrhundert, die sich ebenfalls so nannte.

Es sind Fragen, die Leo Penn, der 1998 an Lungenkrebs starb, nicht mehr beantworten kann. Der Bombenkrieg – auf Berlin folgten für „McNamara’s Band“ noch 24 Einsätze – muss für ihn höchst traumatisch gewesen sein. „Ungefähr zehn Jahre lang hatte er böse Flashbacks und litt unter Schlaflosigkeit“, schildert Sean Penn in der autorisierten Biografie von Richard T. Kelly. Immerhin wurde sein Vater gegen Ende des Krieges zur Air Force Motion Picture Unit versetzt, war an der Produktion von Lehrfilmen beteiligt und fand so ersten Kontakt zum Film. Er begann eine Karriere als Schauspieler, Autor, Produzent und vor allem Regisseur, während der McCarthy-Zeit vorübergehend unterbrochen: Auch er stand als angeblicher Kommunist auf der Schwarzen Liste. Später war er an vielen erfolgreichen Serien beteiligt, von „Raumschiff Enterprise“ und „Auf der Flucht“ über „Rauchende Colts“ und „Bonanza“ bis zu „Columbo“, „Starsky & Hutch“, „Magnum“ und eben dem Spielfilm „Judgment in Berlin“. Dessen Dreharbeiten begannen am 15. Juli 1987.

Penn, für den Deutschland – so empfand es sein Regieassistent – noch immer ein bisschen das „Land der Täter“, das „Land des Bösen“ war, gelang es offenbar doch noch rechtzeitig, mit seinen Albträumen offensiv umzugehen, wie es seine Witwe Eileen Ryan Penn berichtet: „Vor Beginn der Dreharbeiten hat er die gesamte Crew versammelt – es waren an die hundert Leute – und gesagt: ,Also, ich möchte euch allen nur sagen, dass ich Jude bin. Und als ich das letzte Mal hier war, war ich dort oben’ – er deutete auf den Himmel – ,und habe euch bombardiert.’ Aber er ging sehr freundlich mit den jungen Deutschen um, die bei dem Film mitarbeiteten, und sie verliebten sich in ihn.“

Die wieder hochgekommenen Erinnerungen haben Penn nicht mehr losgelassen. Nach dessen Tod erhielt Diepenbrock das Fragment eines Drehbuchs, an dem Penn gearbeitet hatte. Im Mittelpunkt der zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und herspringenden Handlung stehen Mitglieder einer „Liberator“-Crew, die sich nach ihrem Piloten „Alexander’s Ragtime Band“ nannte. Die Hauptfigur hatte Penn sich selbst nachempfunden: Bill Price, Veteran und Autor, der in einer Szene erzählt, dass er vor Jahren in Berlin einen Film gedreht und damals im Zoo-Palast deutsche Dokumentarfilme über den Krieg gesehen habe. Auch Aufnahmen, die während eines Luftangriffs auf die Stadt entstanden waren, wurden gezeigt, mit all den furchtbaren Details, zerfetzte Körper, schreiende Kinder – Price wurde schockartig bewusst: Er war dabei gewesen, als Bombenschütze der ersten Maschine.

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