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Total-Sperrung der Baustelle Potsdamer Brücke in Berlin
© imago/PEMAX

Potsdamer Brücke in Berlin: Der Staat kapituliert vor Rowdys

In Berlin werden zwei Buslinien an der Potsdamer Brücke eingestellt, weil Autofahrer ein Fahrverbot missachten. Bestraft werden die Schuldlosen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Da platzt vielen Berlinern der Kragen. Alle müssen leiden, weil einige wenige die Regeln brechen, die Stadt und ihre Polizei aber lieber kapitulieren, als das Recht durchzusetzen. Jüngstes Beispiel ist die Potsdamer Brücke. Die wird saniert. Während der Arbeiten sollten BVG-Busse fahren dürfen, Autos und Lkw nicht. Weil Verkehrsrowdys das Verbot missachteten, ist die Brücke nun gesperrt. Zwei Buslinien wurden eingestellt. Deren Nutzer haben das Nachsehen. Sie sind schuldlose Opfer.

Das Rechtsgefühl nimmt ebenfalls Schaden. Ist die Stadt nicht willens und in der Lage, die öffentliche Ordnung durchzusetzen? Die Offiziellen berufen sich auf ihre Verantwortung. Bei den Unfällen habe es nicht nur Blechschäden, sondern Verletzte gegeben. Das Hauptargument aber lautet: Viele Autofahrer hätten die Beschilderung ignoriert; man könne nicht rund um die Uhr Polizeikräfte abstellen, die brauche man für Wichtigeres. Und was das Rechtsgefühl angehe, sei ja nun alles in Ordnung. Durch die komplette Sperrung ist der ordnungswidrige Zustand, dass Autofahrer die Schilder missachten, beendet.

Die Kapitulation vor dem Rechtsbruch ist gewiss nicht nur eine Berliner Krankheit. In der Bundesliga zum Beispiel neigen Verantwortliche dazu, eher ein Spiel abzubrechen, als gegen ein paar Dutzend Hooligans vorzugehen. Doch in Berlin wird der Rückzug allmählich zur einfachsten Antwort. Macht man sich im Roten Rathaus und in den Bezirken klar, welche Folgen solche Kapitulationen mittelfristig haben? Im Görlitzer Park wurde über Jahre toleriert, dass die Dealer das Vorrecht vor Familien haben. Inzwischen heißt es auch im bürgerlichen Wilmersdorf, man müsse hinnehmen, dass Kinderspielplätze zum Drogenhandel dienen.

In Berlin wird Recht oft nicht durchgesetzt

Rauchverbot auf S-Bahnhöfen? Ein Spießer, der daran zu erinnern wagt! Alkoholverbot in U-Bahnen? Das Wegbier gehört schon vormittags zum zweifelhaften Berliner „Charme“. Immer häufiger lässt sich ein paradoxes Ordnungsbedürfnis der Trinker beobachten: Um die Flaschen und Dosen auch garantiert leer an der Pfandstelle zurückgeben zu können, werden sie während der Fahrt auf den Kopf gestellt, damit die letzten Tropfen auf dem Wagenboden zurückbleiben. Andere Fahrgäste wenden sich angewidert ab, sagen aber nichts. Sie wollen nicht riskieren, einen Schlag abzubekommen. So verwahrlost der öffentliche Raum.

Zurück zur Potsdamer Brücke. Haben Polizei und Verkehrslenkung ernsthaft versucht, die geplante Lösung durchzusetzen: BVG-Busse können fahren, anderer Verkehr nicht? Nach den Beobachtungen der Tagesspiegel-Reporter geschah das nicht. Zwar waren zeitweise Polizisten vor Ort, freilich viel zu wenige. Sie beklagten ein Ausmaß an Rücksichtlosigkeit, wie sie es noch nie erlebt haben – wobei die Fahrer die Polizei sahen! Was ein zusätzlicher Grund sein müsste, durchzugreifen. Soweit es geschah, gab es nur Verwarnungen wegen rechtswidriger Benutzung der Busspur.

Warum eigentlich? Wer dort fuhr, hatte mindestens dreifach gesündigt: das blaue Gebotsschild missachtet, ebenso das Einfahrt-verboten-Schild auf der Kreuzung, dazu die Busspur missbraucht, von gefährlichem Verhalten im Straßenverkehr nicht zu reden. Käme man da nicht locker auf Bußgelder von 60 bis 100 Euro? Multipliziert mit fünf bis zehn Sündern pro Ampelphase macht das eine fünfstellige Eurosumme pro Tag, aus der man mehr Ordnungshüter bezahlen könnte. Dafür hätte ein Polizist mit Kamera in jeder Richtung genügt, plus eine Handvoll Beamte, die die Autos hinter der Kreuzung auf der Busspur herauswinken und die Fahrer feststellen. Sie wollten keine Wegelagerer sein, sagt die Polizei dazu. Aber Unschuldige leiden lassen, die jetzt auf den Bus verzichten müssen, ist okay?

Ein verlässliches Staatswesen ist die Voraussetzung für die Freiheit der Bürger. In Berlin wird das Grundvertrauen, dass die Regeln des Zusammenlebens nicht nur auf dem Papier stehen, sondern durchgesetzt werden, viel zu oft enttäuscht. Politik und Polizei in der Stadt müssen es sich erst wieder verdienen.

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