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RKI-Chef Lothar Wieler (links) und sein Vorgesetzter, Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
© dpa

Kontroverse um Lothar Wieler: Der RKI-Chef ist nicht für Versäumnisse der Politik verantwortlich

Wieler hat Fehler gemacht – aber seine Behörde ist nicht ausgestattet für die neuen Aufgaben. Die Ablösung des Beamten zu fordern, ist Unsinn. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Und jetzt dreschen sie alle auf Lothar Wieler ein, den Professor, Virologen und Chef des Robert-Koch-Instituts. Er soll alles verbockt haben, was in der Pandemie an Widersprüchlichkeiten aufgetreten ist. So dass die Menschen der Sache müde sind und nichts mehr hören wollen. Aber wird das Wieler gerecht?

Quasi über Nacht ist da ein wissenschaftlicher Beamter, der im Leben nicht daran gedacht hätte, dass ihm eine solche Rolle zufallen würde, zum Corona-Erklärer der Nation geworden. Zum Corona-Gesicht, gewissermaßen. Wieler sollte die Entwicklung verfolgen, die Parameter dafür suchen und finden, Zahlen, Daten, Fakten schaffen, damit die Politik entscheiden kann.

Wieler, ohne Kommunikationserfahrung in der Politik, ohne Erfahrung in einem solchen Krisenmanagement. Noch dazu in einer Krise, wie es sie so noch nie gegeben ist. Das RKI war auch gar nicht dafür vorgesehen, nicht aufgestellt. Eigentlich hatte Wieler also keine Chance.

Und doch hat er sie anfangs ordentlich genutzt. Vielleicht hat der RKI-Chef sogar Gefallen daran gefunden: Seine Warnungen werden gehört, er wird ständig zitiert, die Politik beruft sich auf ihn, lädt (Vor-)Entscheidungen bei ihm ab. Gut, es gibt Christian Drosten, den Chefvirologen der Charité. Nur hat das RKI das staatliche Siegel, das den Bürgern ein Gefühl der Autorität vermittelt. Für die Politiker ist das ja auch ganz bequem.

Nicht das RKI hat die Corona-Einschränkungen beschlossen

Bis dann die Parameter für die Entwicklung von Corona so oft wechseln, dass das Nachvollziehen für die Nicht-Experten schwierig wird. Bis auch die notwendigen Zahlen und Daten immer mal wieder falsch sind oder ausbleiben. Und bis die Warnungen zu Einschränkungen führen, die wissenschaftlich Bestand haben mögen, aber nicht vor Gericht. Da beginnt es enger zu werden für Wieler.

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Dabei kann er nicht für alles was, und nicht für alles geradestehen. Dass Gesundheitsämter nicht mehr hinterherkommen, auch weil ihnen das zwischenzeitlich gerne mal versprochene Personal fehlt, ist nicht Sache des RKI, sondern der Länder. Dass das tägliche Leben eingeschränkt wurde, ist Sache der Länder (und des Bundes) – wohlgemerkt der Politiker, denn auch für solche Entscheidungen sind sie gewählt. Die Niederlagen vor Gericht sind damit in erster Linie: ihre.

Wieler ist einige Male zu eigenmächtig vorgeprescht

Lothar Wieler, das RKI, haben Fehler gemacht. Die Geschichte mit dem verkürzten Genesenenstatus – das geht gar nicht. Jedenfalls nicht so. Ein gravierender Fehler war das. Oder am eigens gebildeten Expertenrat der Regierung vorbei eine Lagebeschreibung zu lancieren, die die Bevölkerung erschrecken muss – das geht auch nicht. Mindestens nicht ohne Absprache mit dem Vorgesetzten, dem Gesundheitsminister. Zumal der RKI-Chef auch im Expertenrat sitzt. Beides Fälle hätten schon zu Wielers Rauswurf führen können – Primat der Politik.

Würde das RKI dann besser funktionieren? Fraglich. Dafür müsste es einmal von Grund auf in seinen Strukturen begutachtet und seine Effizienz bewertet werden; und dafür bräuchte es eine fachkundige, womöglich sogar interdisziplinäre Kommission, mit Zeit, die hat gerade keiner hat. Wobei klar ist, dass das geschehen muss. Die Bundesregierung hat dem Institut immer mehr und fachfremde Aufgaben aufgezwungen, um sich selbst von Verantwortung zu entlasten, aber dem RKI die nötigen Mittel vorenthalten.

Wielers Zeit läuft ab, politisch, keine Frage. Er bleibt Experte. Der Virologe der Veterinärmedizin forscht nicht einfach so an Eseln, sondern an Viren im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit auf Menschen; Zoonose heißt das und ist das Grundproblem bei Covid 19. Ja, Lothar Wieler hat nicht alles richtig gemacht. Aber er war gut genug, als Sündenbock für offensichtliche Fehler von Politikern genauso herzuhalten wie als Punchingball für die uninformierten unter den genervten und zermürbten Bürgern. Der Umgang mit Wieler zeigt darum nicht zuletzt, wie sehr alle der Pandemie müde sind. Und einer muss doch schuld sein.

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