zum Hauptinhalt
Old but gold: Cameron Carpenter will auch an der alten Kinoorgel im Babylon begeistern.
© Sven Darmer/Davids

Cameron Carpenter im Babylon-Kino: Der Organist, der gern ein Punk wäre

Cameron Carpenter ist ein Orgelrebell. Eigentlich. Im Babylon aber wird der eigenwillige Künstler sein Können ganz dem Dienst des Stummfilms widmen.

Cameron Carpenter ist Atheist. Einer, der von sich sagt, dass er „Religion nicht respektiert“. Das wäre nicht weiter anstößig, wäre er nicht auch Organist. Einer der weltbesten noch dazu. Künstler an einem Instrument, das mit der Kirche verwurzelt ist wie das Kruzifix. Einer wie Carpenter scheint dabei erst einmal so fehl am Platz wie ein Veganer in einer Schlachterei. Aber trotzdem oder gerade deshalb hat der junge Mann eine Vision: „Ich will die Orgel neu erfinden – für die ganze Welt.“ Eine Orgel ohne Kirche, ohne Gott und ohne Pfeifen.

Noch etwas verschlafen schlurft der jugendlich wirkende Künstler in das Foyer des Babylon-Kinos in der Rosa-Luxemburg-Straße in Mitte. Überraschend unauffällig für einen, der sonst mit aufgestelltem Irokesenhaarschnitt und Paillettenstiefeln über die Orgelpedale fegt wie ein junger Fred Astaire. Heute nur knallenge Röhrenjeans, weiße Sneakers, einen Rucksack mit rosa flauschigen Puscheln, der Iro platt gedrückt. Ein bisschen so eine Fashion-Week-Version des Punks, der 50 Meter weiter am U-Bahnhof darauf wartet, dass jemand ein paar Münzen in seinem Pappbecher klingeln lässt.

„Hätte ich nicht Orgel gelernt, wäre ich wahrscheinlich auch Punk geworden und würde mit dem Rucksack um die Welt ziehen. Manchmal träume ich immer noch davon“, sagt der inzwischen 34-Jährige, der so richtig erwachsen aber noch nicht sein mag. Der sich nicht anpassen will an irgendein System. Deshalb lebt er seit einigen Jahren auch in Berlin: „Berlin ist der Ort, der New York für Künstler vor 30 Jahren war: Ein Platz, wo man sich der Vergangenheit bewusst ist. Ein Platz, wo der Künstler deshalb die Tradition zerschlagen darf!“

"Die Orgel ist kein Gott!"

Nicht Geringeres will Carpenter. Die Tradition zerschlagen. Die Orgel befreien. Befreien von den Ketten der Kirche. Von allen übernatürlichen Elementen. Ja, man könnte Carpenter den Charles Darwin der Orgel nennen. Denn die Evolution der Orgel ist seine Mission. „Die Orgel ist kein Gott, die Orgel ist pure Wissenschaft!“, predigt der junge Revolutionär.

Und Wissenschaft bedarf ständigen Wandels, weshalb er zusammen mit einem amerikanischen Orgelbauer seine International Touring Organ entwickelt hat – ein raumschiffähnliches Gerät, 1,2 Millionen Euro teuer. Die erste transportable elektrische Orgel im Format einer Cavaillé-Coll-Orgel, wie sie in St. Sulpice in Paris steht. „Auch die war damals die modernste ihrer Art, die International Touring Organ ist die logische Weiterentwicklung der Pfeifenorgel. Sich dem zu widersetzen ist, als würde man wieder per Telegraf kommunizieren wollen“, erklärt Carpenter.

Die Idee der Orgel als Instrument Gottes ist für ihn Propaganda: „Die Orgel existiert, für den Menschen. Dass der Künstler sich ausdrücken kann. Nicht umgekehrt.“ Dabei klingt der Materialist Carpenter wie ein großer Aufklärer.

An der Kinoorgel kommt das Spielkind durch

Man möchte meinen, dass sich ein Mann mit diesen Visionen, der um Emanzipation und Aufmerksamkeit gleichermaßen bemüht ist, unmöglich wohlfühlen kann an der alten – wenngleich ehrwürdigen – Kinoorgel im Babylon. In der dunklen muffigen Ecke, fernab von Rampenlicht. Als Improvisateur, der Stummfilme aus einer längst vergangenen Zeit begleiten soll. Sein Talent unterworfen den beschränkten Fähigkeiten des alten Instruments, die künstlerische Freiheit gedimmt durch die Handlung des Films.

Doch stattdessen sitzt da mit glänzenden Augen der Junge aus Pennsylvania, der als Vierjähriger die Kinoorgel in einem Lexikon entdeckt hat. Der sofort angefixt war von den Knöpfen, Tasten und Pedalen. Der Kinofan, der es kaum erwarten kann, die Leute Stummfilme „durch meine Augen“ sehen zu lassen, in seiner Lieblingsstadt, an seinem Lieblingsplatz, im Babylon.

Drei bedeutungsschwere Dokumente der Filmgeschichte wird er begleiten: Fritz Langs „Metropolis“ (1.8.), Murnaus Horrorfilmprototypen „Nosferatu“ (8.8.) und die Hauptstadtreportage „Berlin. Sinfonie der Großstadt“ (15.8).

Zur Startseite