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2003. Damals spielte noch Bayern München gegen Energie Cottbus - hier mit Michael Ballack.
© dpa/dpaweb

Nach Abstieg des FC Energie: Der Niedergang von Cottbus

Der FC Energie steigt ab, die Jungen gehen immer noch weg, die Kreisfreiheit wackelt: Das muss eine Stadt wie Cottbus erst einmal verkraften.

Lars Töffling ist ein konsequenter Mensch. „Ein Pressesprecher muss Optimismus verbreiten“, sagt er, „auch, wenn es mal abwärts geht. Ich weiß nicht, ob ich dafür noch die Kraft habe.“ Denn es ist seit Jahren nur noch abwärts gegangen mit seinem Verein, dem FC Energie Cottbus.

„Stolz des Ostens“, so nannten sie die Mannschaft, die 1997 in die zweite und drei Jahre später in die erste Bundesliga aufstieg. Im selben Jahr schaffte es der damalige Regionalligist sogar ins DFB-Pokalfinale, schlug sich im Olympiastadion beachtlich gegen den VFB Stuttgart – damals mit Trainer Jogi Löw – und mancher Fernsehzuschauer schaute zum ersten Mal im Leben auf der Landkarte nach, wo es überhaupt lag, dieses Cottbus.

19 Jahre später sitzt Noch-Pressesprecher Lars Töffling in seinem Büro im Cottbuser „Stadion der Freundschaft“. Die rot-weißen Sitzreihen leuchten mit den blühenden Sträuchern um die Wette und die Sonne scheint, als würde sie damit nie aufhören wollen. Welch ein Hohn! Hier, wo einst große Bundesliga-Mannschaften aufliefen, schlugen 14 000 Menschen vor acht Tagen fassungslos die Hände vor die Augen. 2:1 stand es bis kurz vor Schluss, dann schoss die zweite Mannschaft von Mainz zwei Tore und Energie Cottbus damit in die Regionalliga.

Energie Cottbus.
Energie Cottbus.
© dpa

Töfflings Büro ist ein kleiner, spartanisch eingerichteter Raum in einem Container, der schon seit vielen Jahren die Geschäftsstelle von Energie beherbergt. Mehr als ein Dutzend Leute arbeiten hier, ein Drittel, vielleicht auch die Hälfte von ihnen, wird gehen müssen. Wer einen Vertrag für die Regionalliga bekommt, wird, wie bei den Abstiegen zuvor, Einkommenseinbußen hinnehmen und mehr tun müssen. Die Arbeit wird in der Regionalliga nicht weniger, nur auf weniger Schultern verteilt. „Das ist schon ein Problem“, sagt Töffling, „denn die Mitarbeiter sind ohnehin an der Belastungsgrenze.“

"Es gab so viele Rückschläge und Probleme hier"

Der Abschied fällt ihm schwer. Trotz der vielen Abstiege aus der ersten, zweiten und jetzt sogar dritten Bundesliga hat er sich in Cottbus wohlgefühlt, was keine Selbstverständlichkeit für einen Randberliner ist, der auch schon Sprecher des 1.FC Union war. „Um Cottbus und die Region tut es mir besonders leid“, sagt der 46-Jährige. „Es gab so viele Rückschläge und Probleme hier – auch, was die Universität und die gesamte wirtschaftliche Situation vor allem in Sachen Energiewende anbelangt. Der Fußball hingegen war viele Jahre lang etwas, worauf die Menschen stolz sein konnten.“

Stadion der Freundschaft. Das Stadion wurde ausgebaut, kannte jeder im Land.
Stadion der Freundschaft. Das Stadion wurde ausgebaut, kannte jeder im Land.
© picture-alliance/ dpa

Dass der Abstieg zwar für den Verein ein wirtschaftliches, für die Stadt beziehungsweise deren knapp 100 000 Einwohner aber eher ein mentales Fiasko ist, hört man in diesen Tagen von vielen Cottbusern. Die Hochburg der Turner, Leichtathleten und Radfahrer, die 1995 die erste Bundesgartenschau – mit blühenden Landschaften – im Osten ausrichtete, hat in den vergangenen Jahren viele negative Nachrichten verkraften müssen. Die Abwanderung junger Menschen wurde nicht wirklich gestoppt, die Technische Universität musste fusionieren, mit der geplanten Kreisgebietsreform droht Cottbus sogar der Verlust der Kreisfreiheit.

„Sollte der Landtag dies tatsächlich beschließen, wäre das eine weitaus größere Niederlage als die im Stadion der Freundschaft“, sagt Stadtsprecher Jan Gloßmann. „Es hätte zumindest unmittelbarere Auswirkungen auf die Bürger, angefangen vom öffentlichen Nahverkehr, sprich: der Straßenbahn, über die Müllgebühren bis hin zur Kitabetreuung.“

Dass die finanzielle Ausstattung dadurch besser würde, behaupte man zwar in Potsdam, sagt Gloßmann. „Unsere Berechnungen sagen allerdings etwas anderes. Energie kann wieder aufsteigen, aber wenn wir den Status einer kreisfreien Stadt erst einmal verloren haben, gibt es wahrscheinlich kein Zurück mehr.“

Die Arbeitslosigkeit in der „Lausitzmetropole“, wie Cottbus sich gern nennt, ist derzeit mit etwa acht Prozent so gering wie selten in den vergangenen 25 Jahren, aber das kann sich schnell ändern, wenn beispielsweise die Arbeitsplätze in der Kohleindustrie wegfallen. Zwar hat der schwedische Energiekonzern Vattenfall seine Braunkohlensparte gerade an die tschechische EPH-Gruppe verkauft, aber die Zitterpartie der Kumpel ist damit noch nicht zu Ende. Meldungen von der mit Sulfat belasteten und vom Eisenockerschlamm getrübten braunen Spree und Besetzungen von Tagebauen und Kraftwerken, wie sie am Pfingstwochenende durch teilweise militante Gruppen erfolgten, verunsichern viele. „Energie ist abgestiegen, Chaoten haben unser Kraftwerk gestürmt – wir sind doch hier nur die Schmuddelkinder der Nation“, sagt ein 34-jähriger Ingenieur aus Schwarze Pumpe bitter. „Die wollen keine Atomkraft, keine Windräder, kein Erdgas von Putins Gnaden und auch keine Braunkohle, aber mit dem Hintern im Warmen sitzen – wie soll das gehen?“

Neuanfang könnte auch ein Zeichen sein

Die Cottbuser und überhaupt die Niederlausitzer seien schon eine spezielle Art von Menschen, sagt Lars Töffling schmunzelnd. „So haben wir seit dem Abstieg fast hundert neue Mitglieder gewonnen. Das soll einer verstehen.“ Vielleicht ist das ja auch ein Zeichen für einen Neuanfang. „Es sind zu viele Fehler gemacht worden“, schätzt der langjährige Stadionsprecher von Energie und Sportreporter Georg Zielonkowski ein. „Das zeigt schon die Tatsache, dass es keinerlei Vorbereitungen für die Regionalliga gab. Deshalb sind viele sehr gute Nachwuchsspieler längst zu anderen Vereinen gegangen – leider. Wie das mit den Sponsoren klappt und ob man den Trainer ,Pele’ Wollitz halten kann, wird sich in den kommenden Tagen entscheiden. Gut wäre, wenn es generell einen Neustart im Verein gäbe – mit mehr Professionalität, aber vor allem auch mit mehr Menschlichkeit.“

Und Oliver Kahn musste auch schon so manchen Ball aus dem Cottbusser Netz holen ....
Und Oliver Kahn musste auch schon so manchen Ball aus dem Cottbusser Netz holen ....
© dpa

Das wünscht sich auch der ehemalige Oberbürgermeister von Cottbus, Waldemar Kleinschmidt: „Einen Fußballverein in dieser Größe und in diesem Umfeld darf man eben nicht nur wie ein Wirtschaftsunternehmen führen“, sagt er. „Da muss man viele Menschen – Spieler, Angestellte, Fans und Sponsoren – mitnehmen und begeistern. Da kann es nicht nur ums Geld gehen.“

Ein Neuanfang im Verein könnte auch ein Zeichen für alte und neue Sponsoren sein. Die Wirtschaftskraft ist nicht besonders groß in der Region, immerhin haben Vattenfall und Envia und auch die Sparkasse Spree-Neiße schon signalisiert, dass sie wieder zur Verfügung stehen. Hoffnung setzen manche auch in den neuen Besitzer der Braunkohlensparte: EPH-Firmenchef Daniel Kretinsky soll ein begeisterter Fußballanhänger sein und hat sich in seiner tschechischen Heimat bereits den Club Sparta Prag gekauft.

Den Cottbusern würde es schon reichen, wenn er das – auch mit EU-Geldern geförderte – Stadion der Freundschaft übernehmen würde. Das hat Energie der Stadt abgekauft, aber die Unterhaltung dürfte mit den weitaus geringeren Einnahmen in der Regionalliga – man spricht von zwei statt von vier Millionen Euro Jahresetat – schwierig werden.

Die Hoffnung bleibt

EPH-Sprecher Daniel Castvaj kann über solche Spekulationen nur lächeln. Er kennt Energie Cottbus, weiß, dass der Verein von Vattenfall unterstützt wird und gerade in die vierte Liga abgestiegen ist. Aber erst müsse man das Wirtschaftliche sorgfältig abwickeln, sagt er: „Für alles andere ist es jetzt noch zu früh.“

Und so bleibt den Cottbusern in diesen Maitagen zumindest die Hoffnung. Und die Erkenntnis, dass alles relativ ist. „Die mageren sieben Jahre sind vorbei“, schrieb ein heimischer Fußballreporter, weil die Energie-Fans vor genau sieben Jahren nach der verlorenen Relegation gegen Nürnberg über den Abstieg in die zweite Liga trauerten. Heute wären sie glücklich, wenn sie wieder dort wären. „Die zweite Liga ist eigentlich die richtige für einen Klub wie Cottbus“, sagt Lars Töffling. Und man merkt ihm an, dass er trotz allem gern dabei wäre, wenn es denn wieder einmal aufwärts ginge.

Direkt am Stadion der Freundschaft vorbei fährt die Parkeisenbahn zum Cottbuser Tierpark und zu den Pücklerschen Pyramiden. In einem der kleinen, offenen Wagen sitzen zwei Jungen in roten Energie-Trikots. Ein Mann, vermutlich der Vater, erzählt, dass Energie Cottbus hier auch schon gegen Bayern München gewonnen hat. „Was? Echt? Wirklich gegen Bayern?“ Die Kleinen staunen. Und beginnen zu träumen.

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