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Kerstin S. nahm die iranische Flüchtlingsfamilie bei sich auf und verhalf ihr zu einer Wohnung.
© Fatina Keilani

Flüchtlinge in Berlin: Der mühsame Kampf gegen die Bürokratie

Kerstin S. nahm Flüchtlinge auf und verzweifelte fast an den Behörden. Nun hat sie der Familie aus dem Iran eine Wohnung verschafft.

Als Massom N. nach Deutschland kam, musste sie sofort am Herzen operiert werden; von Halberstadt aus schickte man sie ins Herzzentrum nach Berlin. Dort wurde die hochschwangere 24-Jährige operiert und kurz darauf per Notkaiserschnitt von einem gesunden Jungen entbunden. Er heißt Hiwa, Hoffnung. Mittlerweile ist er fast elf Monate alt. Doch als Massom N. aus der Klinik entlassen werden sollte, war unklar, wo man einen Platz für die kleine Familie aus dem Iran finden würde.

So entschloss sich Kerstin S., Krankenschwester im Herzzentrum, die Frau, deren Mann und das Baby privat bei sich aufzunehmen. „Ich habe gar nicht überlegt, ob ich es mache, nur wie, also welche Möbel ich wohin verschiebe“, berichtet die quirlige 57-Jährige. „Ich habe ja drei Zimmer und lebe allein.“

In diesem Augenblick begann zugleich die Geschichte einer Freundschaft, eines schier endlosen Ärgers – und eines großen Erfolges: Kerstin S. hat es mittlerweile fertigbekommen, der Flüchtlingsfamilie eine eigene Wohnung zu beschaffen. Aber zuvor konnte sie die Drei fast ein Jahr lang nicht mehr loswerden. Das klingt jetzt, als ob sie das gewollt hätte – aber das wäre falsch. Alle verstehen sich gut, sind Freunde geworden, Kerstin S. ist sicher, dass sie das Richtige getan hat, und der kleine Hiwa ist wie ein Enkelkind für sie. Sie rechnete auch gar nicht damit, dass es viel schneller geht. Trotzdem. „Ich war so wütend auf das Lageso!“, erzählt S. im Rückblick.

Damit meint sie das damals noch zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales. Seit August 2016 erledigt allerdings das neu geschaffene Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) die entsprechenden Aufgaben. Und seither laufe alles besser, meint S.

"Es war zum Wahnsinnigwerden"

Doch zurück zu ihrer Stressgeschichte. Das Lageso sei hocherfreut gewesen, dass die Familie privat untergebracht war. Kerstin S. bekam eine Menge Adressen und Telefonnummern der Familienbetreuung überreicht – bloß konnte sie dort niemals jemanden erreichen. Sie rief an, schrieb Mails. Den Fortgang der weiteren Monate beschreibt S. als „kafkaesk“. Sie fand sich stundenlang oder gar tageweise in den Wartezonen von Behörden wieder, wurde mit ihren Schützlingen immer wieder weg- oder weitergeschickt.

Ständig sei ein recht einfacher Vorgang undurchschaubar und kompliziert ausgeführt worden, sagt S. Am ICC habe man vier Stunden auf die Ausgabe eines Armbandes gewartet, dann anderthalb Stunden auf den Bus zur Turmstraße, dann eine Stunde Wartezeit bis zur Ausgabe einer Bearbeitungsnummer, dann drei Stunden Wartezeit, bis festgestellt wurde, dass leider Vor- und Nachnamen vertauscht worden seien und man jetzt doch woanders hin müsse.

„Nach drei Stunden Warten hieß es dann, hier sei der zweite Stock, zuständig seien die im dritten, und die im dritten schickten uns dann wieder in den zweiten mit den Worten, die da unten hätten bloß keine Lust zum Arbeiten, es war zum Wahnsinnigwerden“, erinnert sich S.

Wie Flüchtlinge das alleine schaffen sollten, sei unvorstellbar. Oftmals seien sie auch nach zehn Stunden Warten nach Hause geschickt worden, weil Feierabend war. Und oft erreichte S. nur einen Erfolg, wenn sie mal richtig auf den Putz haute.

Fast unmöglich, eine Wohnung zu finden

Es reihte sich ein Frust-Erlebnis ans andere. Während Kerstin S. mit der Familie schon am Frühstückstisch Deutsch lernte, verschob laut S. das Bundesamt den Start der Integrationskurse immer wieder. Und auch die Wohnungssuche, eine Katastrophe. Sie habe bestimmt 400 Wohnungsanzeigen beantwortet, sagt S., und dann tatsächlich einen Eigentümer gefunden, der an die Familie vermieten wollte. Doch das sei beim Lageso gar nicht durchgedrungen. Allein um das Wohnungsangebot abzugeben, musste man mehrere Stunden warten. „Man verfolgte unterdessen, wie das Angebot kopiert, abgestempelt und weitergeleitet wurde. Dann wartete man erneut wochenlang, inzwischen waren die Wohnungen anderweitig vergeben.“

So wie auch hier. Sechs Wochen hatte der brave Vermieter die Wohnung freigehalten, dann gab er auf. Die meisten Wohnungen in der erlaubten Preisklasse könnten Flüchtlinge ohnehin nicht mieten, so S., weil man dafür einen Wohnberechtigungsschein brauche. Der werde für mindestens ein Jahr vergeben, aber so lange hätten viele Betroffenen noch keine Aufenthaltserlaubnis.

Und obwohl das Lageso ja angeblich total überfordert war, obwohl dort angeblich unter Hochdruck gearbeitet wurde, habe man in den Zimmern durchaus Mitarbeiter bei Kaffee und Kuchen plaudernd erlebt, „die keineswegs im Stress waren“, während auf den Fluren teilweise schlafende Menschen lagen. Es habe manchmal so ausgesehen, als ob man die Flüchtlinge ganz bewusst so mürbe machen wollte, damit sie aus Resignation wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Die Hoffnung auf Arbeit und ein gesundes Herz

Kerstin S. möchte den Mitarbeitern des Lageso keinen Vorwurf machen; sie weiß, dass diese speziell seit Beginn der Flüchtlingswelle im Herbst 2015 massiv überlastet waren. Dennoch sei wohl ein bisschen viel schiefgegangen.

Deshalb wurde das inzwischen besser funktionierende Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten geschaffen. Dessen Sprecher Sascha Langenbach konnte sich nicht konkret zu den Vorwürfen äußern. Zum einen wollten Massom und Fazel N. nicht ihren Nachnamen nennen aus Angst vor Nachteilen, zum anderen wäre dies datenschutzrechtlich kritisch.

Massom N., ihr Mann und der mittlerweile auch noch bei Kerstin S. eingezogene Bruder Hamed sind ihrer deutschen Freundin unendlich dankbar. Noch in diesem Januar soll Einzug in die neue Wohnung sein. Auf die Frage, was sie sich für das neue Jahr wünschen, sagt Fazel N. sofort: „Ich will arbeiten.“ Er kann alle Arten von Lastwagen und -kränen fahren, hat für die US-Army im Irak Flugzeuge verladen. Seine Frau hofft, dass ihr Herz gesund wird. Sie braucht wohl noch eine OP.

Auch Kerstin S. hat einen Wunsch: „Dass Hiwa eine gute Ausbildung und Chancen in diesem Land bekommt. Das ist ein sehr intelligenter Junge!“ Er sei doch ein künftiger Rentenzahler. Das müsse doch jeder sehen.

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