Nachruf auf Artur Brauner: Der letzte Tycoon des deutschen Films
Die West-Berliner Legende Artur Brauner wollte Hollywood Konkurrenz machen. Jetzt ist er im Alter von 100 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
„Wenn ich in Rente ginge“, sagte Artur Brauner, „würde ich sterben.“ Da war er schon 95, hatte auf der Berlinale seinen Ehrenbären entgegengenommen und bezifferte seinen Arbeitstag auf 12 bis 14 Stunden, sieben Tage die Woche. Nun ist der berühmte Berliner Filmproduzent tatsächlich gestorben, knapp vier Wochen vor seinem 101. Geburtstag. Und es war auch zuletzt nie die Rede davon, dass er tatsächlich in Rente gegangen sei.
Allerdings waren seine späten Jahre auch weniger von der Arbeit an neuen Filmen geprägt als vom zähen Ringen mit Banken, Finanzämtern und Steuerfahndern. Brauner, dem in seiner Glanzzeit ein Vermögen nahe der Milliarden-Grenze nachgesagt wurde, wenn auch in D-Mark, hatte offenbar selbst den Überblick über sein handgestricktes Firmengeflecht verloren. Schlagzeilen machte er zuletzt 2014, als sein Name in Verbindung mit einer hohen zweistelligen Millionensumme auf einer Steuer-CD der schweizerischen Leumi-Bank auftauchte.
Sein Lebenswerk wird durch diese Vorwürfe nicht beschädigt, dafür ist es einfach zu groß und zu bekannt. Als seine Familie ihm zum 95. Geburtstag einen umfassenden Werkkatalog schenkte, waren darin über 500 Filme dokumentiert, die er sämtlich mit seiner Spandauer Firma Central Cinema Company produziert oder koproduziert hatte.
Deutschlands einziger Einmann-Kinogroßbetrieb
„Artur Brauners Gesellschaft ist Deutschlands einziger kinematographischer Einmann-Großbetrieb“, stellte der „Spiegel“ schon 1957 in einer umfangreichen Titelgeschichte fest und sprach von der totalen Entscheidungsfreiheit eines industriellen Potentaten. „Tycoon“ ist der althergebrachte Begriff für diese Sorte von Filmmogul, und Artur Brauner war wohl der letzte seiner Art, nicht nur in Deutschland. Er nutzte seine Freiheit, um schneller zu sein als die Konkurrenz, die lange vor allem aus der „Bavaria“ mit ihrem schwerfälligen Apparat bestand.
Es sei für ihn nicht ungewöhnlich, schrieb der Spiegel seinerzeit, dass er nach zweiminütiger Denkpause über einen 1,2-Millionen-Mark-Film entscheide und seine Verträge und Kalkulationen in irgendeinem Hotelspeisesaal zwischen Entrecôte und Birne Helene auf einer Papierserviette entwerfe. Allein für die Kinosaison 1957/58 hatte er auf diese Art 17 Filme zustande gebracht, durchweg in Spielfilmlänge.
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Artur Brauner wurde 1918 im polnischen Lodz geboren als Sohn eines Holzhändlers. Seinen eigentlichen Namen Abraham legte er zu Schulbeginn ab. Nach dem Abitur arbeitete er 1936 mit einer Gruppe junger Zionisten im Iran an zwei Dokumentarfilmen, kehrte zurück und floh unmittelbar vor dem drohenden Abtransport ins Warschauer Getto in die Wälder an der russischen Grenze; 49 Angehörige sollen in dieser Zeit von den Nazis ermordet worden sein. Aus seinem eigenen Leben und Überleben in diesen Jahren machte er bis zuletzt ein Geheimnis.
Brauner drehte Filme ohne Lizenz der Alliierten
Die offizielle Biografie setzt nach dem Krieg ein, als Brauner mit seinem Bruder Wolf nach Berlin reiste und unterwegs Therese Albert kennen lernte, die als angeblich „arische Polin“ namens Maria dem Holocaust entkommen war. Ihr Schwager Joseph Einstein galt als König des Berliner Schwarzmarkts, witterte auch Chancen im Filmgeschäft und spendierte Brauner das Startkapital für die Central Cinema Company GmbH, deren Kürzel CCC weltweit bekannt wurde. Dieser verbreitete allerdings lange die Legende, er habe einen Pelzmantel seiner Schwiegermutter für 20.000 Reichsmark verkauft. 1947 heiraten Artur und Theresa Brauner, Einstein setzte sich wenig später nach Südamerika ab.
„Sag die Wahrheit“ hieß der erste Film, an dessen Produktion Brauner beteiligt war – ein von der Kritik vernichtetes, aber an den Kinokassen erfolgreiches Drama über einen Mann, der 24 Stunden lang nur noch die Wahrheit sagen will und folgerichtig in ein Irrenhaus eingewiesen wird. Die Stars Sonja Ziemann, Georg Thomalla und Aribert Wäscher gewann er für seine erste CCC-Produktion „Herzkönig“, die er nur mit Strohmännern realisieren konnte, weil er keine Lizenz der Alliierten besaß. Brauner steckte das verdiente Geld in den halb autobiografischen Film „Morituri“, den er auf einem Freigelände in der sowjetischen Zone drehen durfte.
Finanziell wurde das ambitionierte Projekt ein Desaster. Niemand war zu dieser Zeit am Schicksal einer Gruppe von KZ-Häftlingen interessiert, die nach der Flucht an der russisch-polnischen Grenze zu überleben versuchen. Aber das Prinzip funktionierte: Mit seichten Unterhaltungs- und Musikfilmen verdiente Brauner immer wieder das Geld, das er mit „Problemfilmen“ verlor, die ihm am Herzen lagen. Der „Bild“-Zeitung sagte er einmal, er habe 1942, gerade 24 Jahre alt, an einem Massengrab in die offenen Augen eines Zehnjährigen geblickt und sich selbst geschworen, „niemals die Opfer vergessen zu lassen“.
Konfliktfrei war mit Brauner nicht zu arbeiten
Dieses Versprechen löste er mit vielen Filmen über die NS-Zeit und den Holocaust ein – und das bis in die späten Filme „Hitlerjunge Salomon“ (1989) und „Der letzte Zug“ (2006). Er war der erste deutsche Produzent, der mit dem kommunistischen Polen Filme koproduzierte, und er beschäftigte viele aus dem Exil heimgekehrte Filmprofis wie Fritz Lang oder Robert Siodmak. Konfliktfrei ging diese Zusammenarbeit allerdings selten voran, weil Brauner selbst sich in alle Details einmischte, willkürlich Nachdrehs ansetzte und niemandem künstlerische Freiheit zugestand. Es sei, meinte er, schließlich sein Geld.
Mit dem ging er auch sonst eigenwillig um. Siodmak, Regisseur des wichtigen Brauner-Films „Die Ratten“, buchstabierte das Unternehmen CCC aus eigener Anschauung so: „Cahlt ciemlich cögerlich“. Bei der für Künstler zuständigen Kammer des Berliner Arbeitsgerichts war Brauner Dauerkunde, trug Klagen und Plädoyers persönlich vor und vergaß nie, darauf hinzuweisen, dass eine Niederlage ihn und seine Firma in den Ruin treiben werde. Er prozessierte gegen Pola Negri, Barbara Rütting, Sonja Ziemann, Nadja Tiller, Paul Hubschmid und zahllose Schauspieler und Regisseure. Berühmt wurde der Prozess mit Lex Barker, der sich 100.000 Mark erstritt, als Brauner aus einem Film zwei machte, aber nur eine Gage zahlen wollte.
Immer sah er sich von Leuten umgeben, die sein Geld verschleudern wollten. Eine oft erzählte Anekdote berichtet, er habe sich für einen Drehtag eine Kuh geliehen und darauf bestanden, dass sie vor der Rückgabe gemolken werde. Ihm wird auch der Satz zugeschrieben, Sparsamkeit sei die Fähigkeit, Geld so auszugeben, dass es einem keine Freude bereite.
Zentrum des Brauner-Imperiums wurde 1950 ein 14 Quadratmeter großes Büro im legendären Studio in Haselhorst. Es handelte sich um eine ehemalige Giftgasfabrik der Nazis, die billig zu haben war. Repräsentation war Brauner ohnehin egal. Er setzte auf Masse und Umsatz: Im Rekordjahr 1958 drehte die CCC 19 Filme, es begann die Reihe der Großproduktionen mit Regisseuren wie Fritz Lang, Robert Siodmak und Harald Reinl: großes Kino mit Stoffen wie dem „Tiger von Eschnapur“ und „Kampf um Rom“.
Ein paar Sexfilme gingen später auch auf sein Konto
In den Sechzigern schaffte es Brauner aber nicht, eine Alternative zum Neuen Deutschen Film zu etablieren, stattdessen schwamm er mit Karl-May- und Edgar-Wallace-Produktionen im Kielwasser seines ehemaligen Produktionsleiters Horst Wendlandt; auch ein paar Sexfilme im Stil der Zeit gingen auf sein Konto. Später versuchte er sich in TV-Produktionen, doch seine große Zeit war vorbei. 1965 entließ er den größten Teil seiner 230 Mitarbeiter, 1970 schloss er das CCC-Studio in Eiswerder ganz. Es erlangte später neuen Ruhm als Schauplatz legendärer Theaterproduktionen der Schaubühne unter Peter Stein. Von 1972 bis 1980 entstanden insgesamt nur noch zehn CCC-Filme, meist als internationale Koproduktionen.
Doch von Ruhestand war noch keine Rede. Brauner wollte seine Lebensgeschichte aufarbeiten und begann mit den Arbeiten an einem Zyklus von „jüdischen Filmen“ über das Schicksal der Nazi-Opfer, die zum Teil sehr kontrovers aufgenommen wurden. Am bekanntesten ist "Hitlerjunge Salomon", ein Film über einen jüdischen Jungen, der sich unter falscher Identität als Übersetzer bei der Wehrmacht durchschlägt. Durch diesen ambitionierten Zyklus erreichte er nach 40 Produzentenjahren spät die Anerkennung, die ihm die Filmkritik bis dahin versagt hatte. 1990 widmete ihm das Filmmuseum Frankfurt sogar eine Ausstellung und übernahm sein Archiv.
Andererseits ist mit dem „Hitlerjungen Salomon“ eine Zurückweisung verbunden, die Brauner bis zu seinem Tod erregt hat. Denn der Film, der bereits den Golden Globe gewonnen hatte, wurde von der deutschen Auswahlkommission nicht für den Oscar nominiert. „Wenn ich nach Amerika komme und sage, ich bin der Producer von ’Hitlerjunge Salomon’, dann öffnen sich alle Türen“, sagte er, „und ich werde bemitleidet, weil man mir den Oscar geraubt hat.“ Immer sah er dabei auch Verschwörer am Werk, denen die fortwährende Erinnerung an die Nazi-Verbrechen ein Dorn im Auge sei.
Brauner war der König vom Kudamm
Neben all dem wuchs, weit weniger beachtet, das Immobilienvermögen Brauners: Wohnhäuser vor allem, viele in bester Kudamm-Lage, das „Hollywood Media Hotel“ als herausgehobenes Einzelobjekt. Doch wie so viele, die im wirtschaftlich wundersamen West-Berlin reich wurden, geriet auch er durch die Folgen der Wende ins Schlingern. Der Neubauboom nach der Wiedervereinigung ließ den Wert des Bestands schrumpfen. „Fluktuation sondergleichen, Leerstand von rund 20 Prozent und Mietrückstände in achtstelligen Eurobeträgen“ – so fasste Brauner 2005 in einem Interview die Ursachen der Misere zusammen.
Die Folge: Er geriet in Zahlungsnot und in einen kaum noch entwirrbaren Dauerstreit mit Hypothekenbanken, der bis in eine Zwangsversteigerung eskalierte. Dann forderte das Finanzamt rückwirkend mehr als sechs Millionen Euro Gewerbesteuer und ließ eine Hypothek auf Brauners Privathaus eintragen. Brauner fühlte sich von den Immobilienbanken über den Tisch gezogen, kämpfte mit offenen Briefen und großformatigen Anzeigen, musste sogar um sein Wohnhaus in der Koenigsallee fürchten, das er einst der Villa von Kirk Douglas hatte nachbauen lassen.
Irgendwie ging im Chaos dieses Kampfes auch der Spitzname „Atze“ verloren, jener kumpelnde Berlinismus, mit dem Brauner zur Ikone des West-Berliner Gesellschaftslebens aufgestiegen war: hoch geschätzt selbst von Leuten, die nur vage ahnten, was ein Filmproduzent eigentlich tut. Er wurde oft in einem Atemzug mit Rolf Eden genannt, der eine komplett entgegengesetzte Vorstellung von der Gestaltung seines Privatlebens hatte, aber ein ähnliches Immobilienimperium aufhäufte, mit dem er auf Dauer wohl auch glückhafter verfuhr. Zeitweise ging in Berlin der Schnack um, dem einen gehöre die eine Hälfte des Kudamms, dem anderen die andere.
Mit 90 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück
Richtig ist auf jeden Fall, dass sich beide auf unzähligen Galas, Empfängen, Eröffnungen in Berlin getroffen haben und später, als die Wende andere Prominente in die Stadt gelockt hatte, wie Dinosaurier der versunkenen West-Berliner Gesellschaft einfach immer weiter machten. Erst als Brauner die 90 schon überschritten hatte, reduzierte er langsam auch seine Präsenz in der Öffentlichkeit.
Was er nicht reduzieren konnte, das war der Ärger mit der Steuer. Anfang 2014 sprach sich herum, dass sein Name auf einer Schweizer Daten-CD aufgetaucht war, die jemand den nordrhein-westfälischen Behörden verkauft hatte. Ein Guthaben von 100 Millionen Euro flog auf. Brauner aber hielt dem entgegen, dort bestünden auch Verbindlichkeiten in gleicher Höhe, alles sei „von A bis Z versteuert“. Und: Er bange nun um Kredite für neue Filmproduktionen. Mit damals 95 Jahren.
Zu diesen Produktionen kam es schließlich nicht mehr. Es wäre auch irgendwie zu viel gewesen für dieses beispiellose, lange, berlinische Leben. Artur „Atze“ Brauner starb am Sonntag, knapp zwei Jahre nach seiner lebenslangen Gefährtin Theresa, nach einem Schwächeanfall.