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Egal, wie unberechenbar das Wetter ist: Heiß war es allemal in den ersten Augusttagen. Abkühlung findet man wie dieser Mann zum Beispiel im Wannsee.
© Stephanie Pilick/dpa

Hitzewelle in Berlin: Der Hitzerekord bleibt heiß umstritten

Temperaturrekord oder nicht? Wie gemessen wird, woher die unterschiedlichen Werte kommen - und warum ein mutmaßlicher neuer Allzeitrekord in der Statistik gar nicht auftaucht.

Die nächste Hitzewelle mit Temperaturen weit über 30 Grad rollt an. Alle reden übers Wetter – und jeder erzählt etwas anderes. Historische Hitzerekorde werden geknackt oder verfehlt, Temperaturangaben fliegen herum wie die Fieberwerte eines Patienten, der allmählich ins Delirium driftet: 40,3 Grad am Freitag in Bayern, 39,5 in Brandenburg, 38,9 in Berlin, aber nicht in Dahlem und deshalb kein Rekord. Oder doch? Zeit, sich mit kühlem Kopf über den Zahlensalat herzumachen.

"Ich bin auch nicht glücklich mit dieser Situation", sagt Jörg Riemann vom Wetterdienst Meteogroup, als er für den Tagesspiegel zunächst die Berliner Werte einordnet. Demnach ist mit 38,9 Grad am Freitag tatsächlich ein Rekordwert gemessen worden. Allerdings wurde er nur an der Messstation Kaniswall erreicht, die sich auf einem kleinen Sandhügel im Naturschutzgebiet Gosener Wiesen an der südöstlichen Stadtgrenze befindet – aber erst seit 1996. Es gab sie also noch nicht an jenem 11. Juli 1959, als an der Messstation auf dem Flughafen Tempelhof das Thermometer auf 38,1 Grad stieg. Die Messreihe hier reicht bis 1876 zurück und ist damit die älteste der Stadt. Mit 38,0 Grad wurde der alte Rekord am Freitag haarscharf verfehlt.

Als ebenso seriös gilt unter Meteorologen die Station in Dahlem, wo seit 1908 ständig gemessen wird und die Referenzwerte fürs „langjährige Mittel“ herkommen, dem weltweit die Periode 1961 bis 1990 zugrunde liegt. Die Daten für Deutschland verwaltet der Deutsche Wetterdienst (DWD) als Bundesbehörde. Er betreibt auch die Stationen, auf deren Werte auch private Wetterdienste wie Meteogroup zugreifen. In Dahlem also stieg das Thermometer an jenem Julitag 1959 auf 37,8 Grad. Dieser quasi-amtliche Wert wurde erst am 4. Juli dieses Jahres überboten: 37,9 Grad.

Tücken trotz klarer Vorgaben für die Stationen

Die Beschaffenheit der Wetterstationen schreibt die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) vor, damit die Daten vergleichbar sind. Riemann zählt auf: Thermometer in zwei Meter Höhe über kurz gemähtem Rasen, kein Betonboden, gute Belüftung des eingehausten Thermometers durch Ventilator bei regelmäßig gereinigtem Filter, mindestens zehn Meter Abstand zum nächsten Gebäude, kein Baum als Schattenspender.

Dass trotzdem Tücken bleiben, zeigt sich in Dahlem: Dort wurden nach Auskunft von Riemann lange auffällig kühle Werte gemessen, nachdem die Station von der Podbielskiallee in den Botanischen Garten verlegt worden war. Später stellte sich heraus, dass die Kühle mit der Bewässerung des Grüns ringsum zu tun hatte. Solche Fehler werden immer wieder im Nachhinein korrigiert – teils durch Berechnungen, teils durch Umbauten. Auch der Brandenburger Rekord – 39,8 Grad 1992 in Lübben – wurde im Nachhinein auf 39,2 Grad korrigiert. Und auch die Messreihe aus Tempelhof hat den kleinen Haken, dass die Station im 20. Jahrhundert zweimal umgezogen ist, also nicht seit 1876 vom exakt gleichen Ort misst.

Der Weltrekord wurde 2012 gar komplett storniert, nachdem er über 90 Jahre gegolten hatte: Die 57,8 Grad an einem Militärposten in der libyschen Wüste erkannte die WMO ab, weil die Wetterstation auf einem asphaltähnlichen und damit für die Gegend atypischen Boden stand. Nun gelten 56,7 Grad von 1913 aus dem Death Valley als höchster je gemessener Wert.

Auch private, nichtamtliche Daten werden erhoben

Berlin hätte am Freitag vielleicht sogar 39 Grad gemeldet, wenn es die Station am stark versiegelten und entsprechend heißen Alex noch gäbe. Die existierte von 1969 bis 2011. Dann musste sie weg, weil der Pachtvertrag mit dem Bezirk Mitte auslief. Auch Stationen in Frohnau, am Ostkreuz und in Lichtenberg sind verschwunden. Dafür gibt es welche in Buch, Tegel, Marzahn und Schönefeld. Hinzu kommen Stationen privater Wetterdienste, die weitere, nichtamtliche Daten liefern.

„Mir sind die Uralt-Reihen aus Dahlem und Tempelhof wegen der Vergleichbarkeit am liebsten“, sagt Riemann. Selbst den Deutschland-Rekord der 40,3 Grad in Kitzingen sieht er kritisch, weil die Station relativ neu sei. Dafür seien die Messstellen an den bisher heißesten Orten, in Freiburg und Karlsruhe (40,2 Grad im August 2003) nicht mehr in Obhut des DWD. Nach Angaben des Wetterdienstes Qmet war es in Karlsruhe am Freitag sogar noch heißer, nämlich 41,2 Grad. Das wäre definitiv der bundesweite Allzeitrekord. Nur amtlich gemessen ihn niemand mehr, weil die Messstelle - nach 132 Jahren! - 2008 vom DWD nicht mehr als offizielle Wetterstation geführt werde, obwohl sie nach wie vor dort steht.

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