Hotel Meininger in Berlin: Der Hipster-Discounter
Schön ist das Billighotel Meininger am Hauptbahnhof von außen nicht. Trotzdem zieht es Massen junger Leute an. Ein Besuch in Berlins beliebtestem Schulklassenhotel.
Ein bisschen so ist es wie ein Springbrunnen, das Hotel Meininger am Hauptbahnhof. Unermüdlich spuckt es Schwälle von Schülern, Lehrern und Betreuern aus, die sich über den Washingtonplatz ergießen und langsam in Hauptbahnhof oder Regierungsviertel versickern. Der Betonklotz wirkt verloren auf dem noch graueren Bahnhofsvorplatz, neben dem gigantischen Glaskasten, der täglich fast 300 000 Menschen schluckt. So zentral es auch liegt, befindet es sich doch irgendwie im Niemandsland. Und trotzdem ist das Ein-Stern-Hotel fast 365 Tage im Jahr vollständig ausgebucht. Backpacker, Junggesellen und vor allem: Schulklassen.
Manfred Bartel, 63, wartet mit seinen jüngeren Kollegen, die Fahrkarten an die langsam eintrudelnden Schüler verteilen, auf den Treppenstufen vor dem Hotel. Seit Jahren organisiert er die Studienfahrt seines Nürnberger Gymnasiums nach Berlin. „Ich finde, in der Hauptstadt sollte jeder Schüler mal gewesen sein“, sagt er. Auch im Meininger ist Bartel nicht das erste Mal zu Gast. „Der Preis ist günstig, pro Nacht zahlen die Schüler nur 35 Euro“, sagt der Lehrer. „Die Lage ist günstig, direkt am Hauptbahnhof, nur ein Steinwurf zum Brandenburger Tor.“
Jana, 17, steht ein paar Meter weiter. Mit ihren Freundinnen tauscht sie sich aufgeregt darüber aus, was sie heute wo shoppen wollen. „Berlin ist mega, die Spree ist toll und vor allem der Alexanderplatz“, schwärmt sie und freut sich, denn „heute dürfen wir endlich auch mal zum Ku’damm“. Nur beim Thema Hotel verfinstert sich ihre Mine: „Es stinkt, weil wir die Fenster nicht aufmachen dürfen, die Bettlaken sind dreckig.“ „Und das Essen ...“, stöhnt einer.
In Bahnhofsvierteln steigen oft zwielichtige Gestalten ab
Bahnhofsviertel haben einen schlechten Ruf. Rotlichtmilieu, Anziehungspunkt für Trinker und Taumelnde, dürftige Absteigen mit zwielichtigem Charme und fragwürdigem Publikum. Doch keine Spur von Bahnhofsmoloch im Eingangsbereich des Hotels. Mehr wirkt das Meininger wie der Hipster-Discounter unter den Billighotels: In der Lounge fläzen ein paar Schüler in modernen Drehstühle, daneben stehen self-made designte Tischchen, eine bunte Couch und – damit auch keiner vergisst, in welcher Stadt er eigentlich ist – eine Farbfotografie des Brandenburger Tors bei Nacht, es füllt die ganze Wand. Und zwischendrin Kristina Rösler. Die junge Chefin pendelt zwischen Rezeption, Büro und Küche. Sie leitet das Hotel mit 848 Betten, das sich mehr und mehr auf Schülergruppen spezialisiert hat: „Wir haben viele Mehrbettzimmer und junges Personal, das auf die Jugendlichen zugeht und nicht so steif ist“, sagt Rösler. „Und das mit den Fenstern“, klärt sie auf, „überlassen wir den Lehrern. Wir wollen aber keine Verantwortung tragen, wenn Essen oder Dosen auf den Platz fliegen.“
Jan, Maurice und Moritz gefällt es hier eigentlich ganz gut: „Beschweren können wir uns nicht, das Hotel ist modern, die Lage ist überragend“, sagt Jan. Die drei 17-Jährigen gehören zu den etwas unausgeschlafenen Drehstuhlfläzern und komplettieren mit ihren Undercut-Frisuren das Innendesign. Die drei kommen aus Neunkirchen an der Saar und wirken noch etwas überrollt von der Großstadt. Neun Uhr Treffpunkt? Das ist für sie viel zu früh. „Berlin macht Spaß, es ist groß, gibt viel zu sehen“ sagt Maurice. Den Ku’damm fanden sie gut, Potsdamer Platz fast noch besser und zum Essen gehen sie meistens in den Bahnhof – gegen Dunkin’ Donuts, McDonalds und Döner verliert jedes Hotelbuffet. „Wobei“, Moritz überlegt kurz, „ich hätte schon gedacht, dass hier noch viel mehr los ist.“
Wenig Auslaufmöglichkeiten - ein Traum für jeden Lehrer
Das, was junge Touristen in der Stadt suchen, dieses besondere Berlin-Gefühl, finden sie hier ganz bestimmt nicht. „Gerade abends ist in der Gegend Flaute“, sagt Moritz. „Deswegen chillen wir immer an der Spree.“ Dass seine Jungs die Berliner Partymeilen bislang wohl noch nicht auskundschaften konnten, ist Lehrer Michael Knobe ganz recht – auch deswegen steigt er so gern im Meininger ab. „Das ist eine sichere Gegend hier, es gibt wenig Auslaufmöglichkeiten“, sagt er grinsend und zwinkert den drei Drehstuhljungs zu. „Die Schüler können uns nicht abhauen – es sei denn, sie nehmen die Öffis.“ Da haben es ältere Gäste teils besser, fürs Doppelzimmer mit Frühstück zahlten sie jetzt beispielsweise für Sonnabend auf Sonntag übers Internet 90 Euro. Viele genießen den fototrächtigen Blick auf Spree und Weite und Strandbar von der Dachterrasse aus – es sei denn, sie gucken mit dem Kopf nach unten meist aufs Handy, wie viele der Jugendlichen.
55 Schüler haben Knobe und seine Kollegen dabei. Deshalb hat die Klassenfahrt, wie für die meisten Meininger- Gäste, ein Reiseveranstalter organisiert. Auch Kristina Rösler hilft. „Wir arbeiten mit den Lehrern Hand in Hand“, sagt die Chefin, „und wenn sich jemand sehr daneben benimmt, beschließen wir schon mal zusammen mit den Betreuern, denjenigen heimzuschicken.“ Doch das haben bislang weder Manfred Bartel noch Michael Knobe erlebt.
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