zum Hauptinhalt
Feiern macht Spaß - und Lärm- Auf der Kreuzberger Admiralbrücke gibt es einen Zapfenstreich. Dabei hat die Nacht doch gerade in den Innenstadtkiezen eine besondere Energie - die es zu schützen gilt.
© Kai-Uwe Heinrich

Nachtruhe in Berlin: Legalisiert den Lärm!

Warum darf immer noch ein einzelner genervter Nachbar hunderten Nachtschwärmern den Partyspaß verderben? In der Innenstadt sind Ruhezeiten Quatsch – wer keine Beats mag, soll rausziehen. Ein Plädoyer für Eulenschutzgebiete.

Neulich in Kreuzberg: Unweit des Görli feiert ein Kulturverein in einem Hinterhof sein Sommerfest. Es gibt Getränke, die nur „Spritzig“ oder „Sauer“ heißen und sich ihren Wodka nicht anmerken lassen. Hunde schweifen zwischen Tanzbeinen umher. Kinder, die dafür schon zu müde sind, legen sich schlafen. Es ist mehr Hippie-Happening als Dumm-Dumm-Disco, die Lautstärke beträchtlich, aber die Gläser können noch auf den Boxen stehen und tanzen nicht mit. Dann kommt die Polizei, ein Nachbar habe sich beschwert, Sie verstehen sicher. Nun, so richtig versteht es keiner, aber die Organisatoren machen trotzdem leiser, später wieder etwas lauter, die Polizei kommt wieder. Alle kennen das Spiel.

Es wird Zeit, es nicht mehr zu spielen. Die Nachtruhe ab 22 Uhr gehört in einigen Straßenzügen Berlins abgeschafft.

Schon immer teilt sich die Hauptstadt in Lerchen und Eulen – doch die Gesetze kennen nur den Tag und gehen an der Lebensrealität von immer mehr Berliner Nachtmenschen komplett vorbei. Bei 20 Grad um kurz vor Mitternacht hundert Menschen den Pssst!-Finger vorzuhalten, weil ein einzelner Nachbar sich aufregt, ist in etwa so angebracht wie eine Helmpflicht für Fußgänger.

Die Simon-Dach-Straße in Friedrichshain oder die Oranienstraße in Kreuzberg sollten zu Sondergebieten erklärt werden. Diese neuen Eulenschutzgebiete sollten Konzerte und Musik auch spätabends und nachts ermöglichen. In Hamburg kann schließlich auch niemand die Reeperbahn stilllegen, selbst wenn es manchmal Ärger gibt. Und wenn Teile von Prenzlauer Berg durch neue Anwohner schon zu spaßfreien Ruhezonen zurechtgeklagt wurden, muss auch das Gegenteil möglich sein.

Prenzlauer Berg wurde zur Ruhezonen zurechtgeklagt – auch das Gegenteil muss möglich sein

Friedrichshain-Kreuzberg ist eine besondere Gegend. Der Bezirk wird sicher nicht im Alleingang die weltweite Flüchtlingsproblematik lösen und vielleicht noch nicht einmal Coffeeshops eröffnen dürfen. Aber für die gefühlte Mehrheit der Nachtmenschen in einigen seiner Ecken Politik machen zu dürfen, sollte drin sein. Parallel könnte die Erziehung der Besucherschaft weiterlaufen. Es geht nicht um den Schutz in Ecken schiffender Sauftouristen – sondern um einen Schutz der Nacht, die eine besondere Energie und für viele deshalb eine besondere Bedeutung hat.

Die rechtliche Umsetzung der Eulenschutzgebiete wäre sicher nicht leicht. Doch Berlin wächst weiter, vier Millionen Menschen könnten es bis 2030 sein, die sich den Platz unter Sonne und Mond teilen. Einheitliche Regeln für alle sind in einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft wenig hilfreich. In einer Straße mit 70-Prozent-Anteil Kreativtätiger um sieben Uhr morgens mit ordentlich Lärm die Straße aufzubuddeln ist aktuell trotzdem immer noch gängige Praxis.

Parallel zu den Eulenschutzgebieten könnten in Wohngebieten die Ruhe-Regeln verschärft werden, damit nicht ein Techno-Freak zehn Familien mit Kindern mit seiner Vorliebe für laute Musik bis exakt 22 Uhr nervt. Vor allem für Zuzügler wäre die Einteilung der Stadt sinnvoll. Kind-und-Kegel-Familien aus süddeutschen Dörfern sollen ebenso wie Webdesigner aus Glasgow wissen, wo sie hinziehen – und was in der jeweiligen Gegend angesagt ist.

Natürlich berührt die Dezibel-Debatte auch die Frage nach dem Recht auf Stadt. Das sollte auch Nachtmenschen zugestanden werden. Früher wurden Clubbetreiber als Hallodris betrachtet, die sich an der Steuer vorbei eine goldene Nase verdienen, durch die sie dann ihr Geld wieder zu verpulvern pflegten. Heute zahlen diese Geschäftsleute reguläre Abgaben für ihre Clubs, Bars und Konzerthallen. Diese sind Treffpunkte für Touristen und Berliner. Und natürlich Spielwiese der digitalen Boheme, die zum Wohlstand der Stadt beiträgt – auch wenn ein Malocher im Blaumann das Rumgeklicke auf einer Tastatur vielleicht nicht unmittelbar als Arbeit begreift.

Berlin ist vor allem als globales Dorf populär geworden, das jedem seinen Freiraum lässt. Nun, da diese Räume schon physisch weniger werden, weil auch die letzte Lücke zugebaut wird, müssen Regeln her, die den Geist Berlins erhalten – und damit die Stadt für alle.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

Zur Startseite